Tiggers schluckte. „Nelson ein Mörder? Jetzt nehmen Sie mich hoch!“
„Wilson war vorhin bei Ihnen, nicht wahr?“
„Bei mir? Nein. Wer ist Wilson? Ich kenne ihn nicht!“
„Ronny Wilson“, sagte ich. „Reporter der New York Post.“
„Ach der! Er ist nicht hier gewesen, jedenfalls nicht bei mir“, erklärte Tiggers.
„Wer ist das Mädchen, das im Lokal bedient?“
„Eine Nichte von mir, Nancy Summer. Sie macht ihre Sache gut.“ Er schüttelte den Kopf. „Mr. Nelson ein Mörder! Unglaublich. Wen soll er umgebracht haben?“
„Ronny Wilson unter anderem.“
Tiggers schluckte abermals. „Wo ist es passiert?“
„Hier im Hause. Kriegen Sie keinen Schreck, wenn die Sirenen in wenigen Minuten losheulen. Die Polizei ist schon auf dem Wege nach hier.“
„Ich bin nicht schreckhaft“, murmelte er. Er schielte den Schürhaken an. Ich fragte mich, was in Tiggers vorging. Er schüttelte abermals den Kopf, ohne etwas zu sagen.
„Ich möchte sichergehen“, meinte ich. „Beschreiben Sie mir Mr. Nelson, bitte!“
„Well... er sieht gut aus. Ich würde sagen, dass er fast vierzig ist. Sportlich athletische Figur, sicheres Auftreten, dunkles Haar, sehr helle Augen und eine heisere Stimme. Genügt das?“
„Das genügt“, nickte ich. „Empfing er viel Besuch?“
„Woher soll ich das wissen? Ich kümmere mich nicht um die Hausbewohner, solange sie pünktlich die Miete bezahlen.“
„Mischte sich Nelson gelegentlich unter die Gäste Ihres Lokals?“
„Das kam höchst selten vor. Er fand niemals den rechten Kontakt zu den Leuten, und wahrscheinlich wollte er das auch gar nicht. Er ist was Besseres.“
„Finden Sie?“, fragte ich bitter. „Wie haben Sie das festgestellt?“
„Ich setze natürlich voraus, dass er kein Mörder ist“, meinte Tiggers wie entschuldigend. „Nelson spricht und kleidet sich anders als die meisten Leute aus der Pilgrims Lane.“
„Welchen Wagen fährt er?“
„Einen Chevrolet, letztes Baujahr.“
„Haben Sie die Nummer im Kopf?“
„Nee. Ich bin doch kein Gedächtniswunder!“
„Hatte Mr. Nelson vor auszuziehen?“
„Nein, warum?“
„In der Wohnung befinden sich außer einigen Toilettensachen keine Hinweise darauf, dass jemand darin wohnt. Der Kleiderschrank ist leer, und im Kühlschrank ist nur noch eine Dose Bier.“
„Tatsächlich?“, wunderte sich Tiggers. „Das ist seltsam!“
„Offenbar hat Ihr seriöser Mr. Nelson sowieso die Absicht gehabt, diese, hübsche Gegend zu verlassen“, vermutete ich. „Kurz vor seiner Abreise kreuzte Ronny Wilson auf – und dieses Zusammentreffen endete mit einem Mord.“
„Wilson ermordet – hier, in meinem Haus!“, murmelte Tiggers. „Unglaublich!“
Ich erhob mich. „Ich werde jetzt ein paar Worte mit Ihrer Nichte wechseln“, sagte ich und ging zur Tür.
„Okay“, sagte er dumpf. Ich verließ das Zimmer. Als ich das Lokal betrat, war kein Gast mehr anwesend. Das Mädchen stand hinter der Theke und polierte Gläser. Sie schaute mich an und fragte: „Unterredung beendet?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nicht ganz. Wo sind die Gäste geblieben?“
„Gegangen, das sehen Sie doch!“
Ich setzte mich auf einen der Barhocker am Tresen. Es hatte keinen Sinn, sich aufzuregen. Die Burschen hatten verständlicherweise keine Lust gehabt, in eine FBI Ermittlung verwickelt zu werden.
„Möchten Sie was trinken?“, fragte das Mädchen und hielt ein Glas gegen das Licht, um zu sehen, ob es sauber war.
„Geben Sie mir einen Kaffee, bitte.“
„Kaffee?“, fragte sie. „Das muss ich auf dem Kalender vermerken. Kaffee schenken wir hier nur zweimal im Jahr aus.“ Sie stellte eine Maschine an. Die Maschine sah so stumpf und alt aus, dass ich geneigt war, dem Mädchen zu glauben. Der Qualität des Kaffees sah ich mit einiger Skepsis entgegen.
„Was taten Sie und Ihre Gäste, als auf der Straße der Schuss fiel?“, fragte ich.
„Gar nichts“, meinte sie, „Wir verhielten uns ganz still, um zu hören, was sich tat. Draußen war es fast schon dunkel. Hätte jemand von uns rausgehen und sich als Zielscheibe anbieten sollen?“
„Es hätte immerhin sein können, dass jemand Hilfe brauchte.“
„Niemand hat um Hilfe gerufen“, sagte sie kurz.
„In dieser Straße passiert wohl allerhand, was?“
„Die ganze Gegend ist ziemlich unruhig“, meinte sie ausweichend.
„Trotzdem arbeiten Sie hier?“
„Es ist ganz harmlos, wenn man sich an gewisse Grundsätze hält. Nach Eintritt der Dunkelheit gehe ich niemals ohne Begleitung auf die Straße. Das ist auch kaum notwendig. Ich arbeite hier und wohne im Hause. Wer hat denn geschossen?“
„Diese Frage erwartete ich eigentlich schon früher“, sagte ich. „Es war Ihr Mieter, Mr. Nelson.“
Die Kaffeemaschine fing an, merkwürdige Geräusche zu produzieren, aber Nancy Summer kümmerte sich nicht darum.
„Tatsächlich?“, fragte sie erstaunt. Sie stellte das Glas aus der Hand und legte das Wischtuch beiseite.
„Mr. Nelson!“ Sie blickte an mir vorbei ins Leere. „Seltsam!“
„Hätten Sie ihm das zugetraut?“
„Ich weiß es nicht“, murmelte sie. Ihr Blick kehrte zu mir zurück. „Auf wen hat er geschossen?“
„Auf mich.“
„Sind Sie denn hinter ihm her?“
„Und ob!“, sagte ich.
„Deshalb wohnte er also hier“, murmelte sie. „Ich habe mich oft darüber gewundert. Das war keine Gegend für ihn. Er hatte stets Geld und war gut gekleidet. Er musste sich also verstecken.“
„Sie sind ein hübsches Mädchen“, stellte ich fest. „Ist er mal mit Ihnen ausgegangen?“
„Ja, einmal.“
„Wann war das?“
„Vor drei Wochen.“
„Wo sind Sie mit ihm gewesen?“
„Wir sind hinausgefahren, über die Washington Bridge hinüber nach Jersey. Er führte mich in ein teures Speiselokal und später in eine schicke Bar. Dort tanzten wir zusammen und waren recht vergnügt. Mr. Nelson ist sehr charmant, wissen Sie.“
„Worüber haben Sie sich mit ihm unterhalten?“
„Oh, über alles Mögliche“, erinnerte sie sich. „Über einen Film aus Schweden, den wir beide gesehen hatten, über Baseball, und über tausend andere Dinge, die uns gerade in den Sinn kamen.“
„Seitdem hat er Sie nicht wieder ausgeführt?“
Das Mädchen griff wieder nach dem Glas. Sie polierte es ziemlich heftig. „Nein.“
„Bedauerten