Der Hauptkommissar ist jetzt in Fahrt, lockert energisch den Kragenknopf und schlenkert unduldsam mit den langen Beinen.
»Viertens: Ihre Bemerkung zu den >sogenannten< Spezialisten möchte ich aus Höflichkeitsgründen gegenüber den Anwesenden zu diesem Zeitpunkt übergehen. Nur so viel dazu: Es hätte nicht viel gefehlt und Sie, verehrte Kollegin, wären bei Ihrem ... etwas überraschenden Eintritt fast das Opfer der Neun-Millimeter-Browning eines dieser, wie Sie anzumerken beliebten, >sogenannten< Spezialisten geworden. Ich habe doch recht, Jerry, oder?«
Die Frage peitscht ziemlich überraschend auf den ahnungslosen S.I.B.-Captain herunter. Für einen Sekundenbruchteil durchschlägt sie die Panzerung aus Kolonialpatt und bringt ein verlegen grinsendes Waliser Jungengesicht zum Vorschein.
»Positiv!«, kommt die kurze Antwort aus dem wieder aristokratisch versammelten Antlitz des Engländers.
Maria Leiden-Oster schluckt.
»Fünftens: Der Mann, den ich der SpriKo zur Unterstützung zugesagt habe, ist kein >Supermann<, aber ein Kollege mit verschiedenen Meriten und mit Fähigkeiten, die Sie im Laufe der Zusammenarbeit mit ihm hoffentlich noch zu schätzen lernen wissen. Er wird in ungefähr einer Stunde im Präsidium eintreffen und sich dann sicherlich bei Ihnen melden. Der Kollege Ganser ist übrigens durch eine Nebelkarambolage auf der Autobahn aufgehalten worden und bittet um Entschuldigung für die Verspätung!«
Benedict hat die größte Wut herausgelassen und versucht, mit dem letzten Satz das Feld für Kriminalhauptmeister Ganser vorzubereiten.
»Ach ja, mit dem Dunklenbroich. Das ist mir absolut neu. Wo holt man sich denn heute eine Gelbsucht?«
Das nahezu versteinerte Gesicht der Leiden-Oster verzieht sich widerstrebend zu einer Grimasse. Als sie die zusammengebissenen Lippen dann öffnet, ist sogar der Anflug eines winzigen Lächelns zu erkennen. »Muscheln!«
Grotesk. Ein einziges Wort, ein ganz bestimmtes Wort, scheinbar völlig fehl am Platz, reißt die harschen Wortbarrikaden der vergangenen Minuten ein. Die erstarrten Fronten und Gesichtszüge lösen sich in allgemeinem Glucksen auf.
»Wie bitte?«
Benedict versucht seine so plötzlich entspannten und fröhlichen Gesichtszüge hinter der vorgehaltenen Hand zu verbergen, beschließt aber dann doch die Flucht nach vorne, sieht der Kommissarin direkt ins Gesicht und prustet los. Da auch die drei ausländischen Kollegen jetzt in ein mehr oder weniger offenes Gelächter ausbrechen, der Sinn für die Komik der Situation ist ihnen nicht entgangen, hat auch die Kommissarin auf ihrem Stuhl Mühe, die Versteinerung beizubehalten.
»Ja, Muscheln«, kommt es zwischen ihren Lippen hindurch, und sie fügt, nun wenigstens schief grinsend, hinzu: »In einem Restaurant während seines Kurzurlaubs!«
Aber störrisch wie ein Maulesel, der sich gegen die Trense wehrt, kommt die Kommissarin auf ihr Thema zurück. »Nein, da ist für mich überhaupt nichts komisch dran! Das nächste weibliche Opfer ist doch schon vorprogrammiert, aber meine Vorschläge werden in der Kommission abgelehnt, und die Ermittlungen laufen in schöner Halbherzigkeit weiter. Nein, danke! Herr Kollege, die Stimmung unter den Frauen dieser Stadt sieht etwas anders aus, als Sie sich denken. Es kann sein, dass Sie da bald eine böse Überraschung erleben werden!«
Das Lachen hat sich wieder irgendwohin verkrochen. Benedict runzelt die Stirn. »Für den Dunklenbroich kriegt die SpriKo natürlich Ersatz. Ich kümmere mich darum, dass wir noch eine Kollegin aus dem 2. K loseisen können!«
Unruhig rutscht der Hauptkommissar auf der Schreibtischkante herum, aber der von innen aufsteigenden Kälte ist so nicht beizukommen. Er steht auf und geht zunehmend nervöser in dem Raum hin und her.
»Möchten Sie die von Ihnen zuletzt gemachte Andeutung noch irgendwie präzisieren oder mir konkrete Verdachtsmomente dazu mitteilen? Dinge, die polizeiliches Vorgehen erforderlich machen, oder war das dann alles?«
Die Kommissarin Maria Leiden-Oster steht steif und wieder verschlossen auf. »Nein, das war’s von meiner Seite!« Dann, mehr mit Blick auf die anderen drei Polizisten: »Sollte ich zur unrechten Zeit hereingeplatzt sein, bitte ich um Entschuldigung. Danke!«
Die Tür ist zu. Die Männer im Raum sind wieder unter sich. Benedict lässt einen lang auf gestauten Atemzug heraus. Er fühlt sich immer beengter in seinem taillierten Hemd und der Weste darüber.
Patrick O’Connell zeigt seine Grübchen. »Überall die gleichen Probleme mit den Weibern!«
Die anderen Polizisten entlassen ihre Spannung über lautes Räuspern. McGrath holt sich noch eine Cola aus dem Kühlschrank. Der Engländer blättert abwesend in seinem grünen Hefter. Hauptkommissar Benedict steht jetzt an einem der beiden Fenster und sieht hinaus. Gegenüber verschwindet die Kommissarin im Präsidium. Jetzt, da der Nebel weg ist und die Herbstsonne scheint, sieht das Polizeihauptquartier gar nicht mehr so klotzig und bedrohlich aus. Richtig niedlich aus dieser Perspektive.
Nach einer Weile wendet er sich wieder um in den großen ISAT-Raum. »Können wir dann mit unserer Lagebesprechung weitermachen?«, sagt er dann ruhig.
»Weitermachen ist gut!«, kichert O’Connell.
»Also, ich darf noch mal wiederholen ...«
Doch dazu kommt es nicht, denn wieder wird die Tür auf gerissen, und im Raum steht Gernot Ganser. »Hallo Chef! Sie sind aber schwer zu finden. Sind Sie bei den Kanalarbeitern gelandet oder was ... oh ... Entschuldigung ... äh ...«
*
Auf dem zweiten Stock des Präsidiums ist es gegen 18 Uhr schon ziemlich ruhig. Das Geschehen verlagert sich zu diesem Zeitpunkt routinemäßig in die Kriminalwache im Erdgeschoss. Hauptkommissar Benedict verglich das einmal mit der Situation eines Krankenhauses, wo auch gegen Abend und am Wochenende auf den Stationen Ruhe einkehrt und nur dringende Fälle in der Ambulanz behandelt werden. »Unsere Ambulanz ist eben die Kriminalwache«, sagte er damals an einem der vielen gemeinsamen Spätdienstabende zu Gernot Ganser.
Der macht sich wieder mit seiner alten Arbeitsstätte vertraut, bewundert den neuen Farbton der Flurwände. Es riecht auch noch nach frischer Farbe. Vereinzelt hört er Schreibmaschinenanschläge und Stimmengemurmel hinter verschlossenen Türen. Irgendwo fallen Münzen klappernd in den Geldschlitz eines der Zigarettenautomaten. Das Geräusch hallt in dem großen runden Lichtschacht laut wider.
Dann steht der >ausgeliehene< Kriminalhauptmeister nach über einem Jahr wieder vor der Tür zum Ersten Kommissariat. Sein Kommissariat. Bevor er die Klinke niederdrückt, rekapituliert er nochmals kurz, was Benedict ihm eben in diesem langen Vieraugengespräch über die Situation des 1. K. im Allgemeinen und über die Spritzer-Ermittlungen im Besonderen mitgeteilt hat.
Ja. Hinter dieser Holztür steht eine verdammte Ansammlung von Fettnäpfchen herum, und er, Gernot Ganser, hat überhaupt keine Lust, da reinzutrampeln.
Die Stille in dem großen Dienstraum des 1 .K ist fast noch beängstigender als auf dem Flur draußen. So wirkt das Geräusch der sich öffnenden Tür wie der flache Schlag eines Lineals auf die Schreibtischplatte. Der tief über den Tisch gebeugte Kopf der blonden Frau im Zimmer fährt erschrocken hoch. Misstrauische Augen schauen den eintretenden Mann durch große Brillengläser hindurch an.
»Ja ...«
»Kriminalhauptmeister Ganser vom KD-Lehrgang Duisburg zum 1. K Düsseldorf versetzt. Ich melde mich zum Dienstantritt, Frau Kollegin!« Während Ganser spricht, baut er sich in Habachtstellung vor der Frau am Schreibtisch auf und schlägt übermäßig knallend die Hacken zusammen. »Der Supermann!«, entfährt es den verblüfften Lippen der Kommissarin, und sie zwinkert erstaunt mit den Augen.
»Der was?«, grinst Ganser ebenso erstaunt zurück. »Gernot Ganser heiß' ich, Kriminalhauptmeister bin ich, und die Affen hier