Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek. Peter Schrenk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Schrenk
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783745212532
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»Es nützt euch alles nichts. Bloß keine falsch verstandene Solidarität. Die schadet euch in diesem Fall nur. Wenn ihr die Angriffe solcher Mistkerle überleben wollt, körperlich und seelisch, müsst ihr genau dahin kommen! Ganz cool den Typen allemachen. Er oder ihr! Und das läuft nicht, wenn ihr rumkreischt oder die Kontrolle verliert. Das macht solche Schweine nämlich noch mehr an! Dann seid ihr entweder tot oder landet im Landeskrankenhaus wie viele eurer Schwestern vor euch!« Die Stimme der in der Hocke sitzenden Kursleiterin klingt brüchig. Hart klatschen die flachen Hände zusammen. Grauer Kreidestaub rieselt von ihren Handflächen. »Okay, Günther, bist du fertig? Gut. Karin! Du bist die nächste!«

      Um 21 Uhr 45 verlässt die Instrukteurin, die von den Kursteilnehmerinnen Nina genannt wird, das Gebäude in der Gerresheimer Straße im Hildener Norden und geht zu ihrem grünen Ford Fiesta. Noch einen weiteren Lehrgang hat sie an diesem Freitagabend zu leiten. Im Düsseldorfer Stadtteil Unterrath. Dort warten zwanzig junge Frauen auf die Kampfsportlerin Nina mit der großen Hornbrille. Und diese Frauen sind sehr viel fortgeschrittener als die Teilnehmerinnen der Volkshochschule Hilden-Haan.

      *

      Die weichen Hände, die den krümeligen Tabak auf das Zigarettenblättchen häufen, zittern. Die trockene Zunge braucht lange, um die nötige Feuchtigkeit auf die Gummierung zu bringen. Erst das vierte Streichholz zündet. Tief atmet der Mann im Sessel den scharfen Rauch ein. Er wippt leicht mit dem Oberkörper hin und her. Vor und zurück, vor, zurück, vor, zurück, Lungenzug, vor, zurück. Warum hatte sie ihn auch nicht in Ruhe gelassen. Er hatte sich doch scheiden lassen, damit sie ihn in Ruhe ließ. Oder hatte sie sich scheiden lassen? Egal, vor, zurück, vor, zurück, Lungenzug. Natürlich hatte es ihm leid getan, wie sie so dalag, im Gras. Mit dem ganzen Blut, ekelhaft, diese Frau mit Blut, seine Frau. Vor, zurück, vor, zurück. Lungenzug. Aber warum hatte sie ihn auch verfolgt, mit diesen Beschimpfungen. Solche Worte, so schmutzig, diese Demütigungen. Unerträglich für einen Mann, für ihn. Ja, ja. Doch, es geschah ihr ganz recht. Sie war eine schlechte Frau gewesen. Hatte Mutti ja immer schon gesagt. Vor, zurück, Lungenzug, vor, zurück. Mutti hatte ja auch dafür gesorgt, dass dieser Polizist nicht noch mal gekommen ist. Dieser Dunklenbroich. Vor dem hatte er Angst. Vor, zurück. Der wollte ihn ins Gefängnis bringen. Lungenzug. Dabei sah sie auch noch so toll aus, als sie tot war. Das Blut war nicht gut, nein, aber ihr Körper war noch ganz heiß gewesen von dem Kampf und hatte seine feuchte Gier befriedigen können, während es am Himmel knallte. Das erste Mal überhaupt. Vor, zurück, vor, zurück, Lungenzug, vor, zurück.

      Der Mann mit dem dünnen Blondhaar drückt den gelb aufgeweichten Zigarettenrest in einer Untertasse aus. Er geht in dem kleinen Raum mit kurzen Schritten hin und her. Zwischen den Zähnen stößt er dabei kleine, monotone Pfiffe aus, die seine nervösen Schritte rhythmisch begleiten. Dann setzt er sich, immer noch leise vor sich hin pfeifend, an die Tastatur seines Computers. Der Powerbefehl bringt den Bildschirm zum Flimmern.

      Heute ist wieder eine neue Sendung mit diesen Spitzenprogrammen aus Berlin gekommen.

      Aber schon während er den Joystick in die Hand nimmt, weiß er, dass er wieder losmuss. Die heiße Fieberblase steigt pulsierend zwischen den Beinen hoch, kriecht warm in den Bauch, füllt als brodelnde Lustlava den Brustkorb, um dann mit grell-gelben Blitzen in den Kopf zu fahren. Morgen. In dieser Nacht ist es schon viel zu spät. Die Straßen würden leer sein. Morgen ist Samstag. Morgen Abend, wenn es dunkel wird. Vor, zurück, vor, zurück. Und morgen würde er den Strumpf nicht vergessen. Selbst, wenn es dunkel wäre. Vor, zurück, vor.

      *

      »Tja dann ...«

      Benedict hat den Jaguar gegenüber der Diskothek am Krupp-Gelände geparkt, aber Madeleine zögert noch auszusteigen. Das Schweigen zieht sich hin. Der Geruch ihres französischen Parfüms steigt ihm in die Nase. Je reviens. Diese erwartungsvolle Stille nistet sich in den feinen Sitzen aus Conolly-Leder ein und beginnt süßlich zwischen den Köpfen der beiden Insassen herumzuwabern. Vitus H. Benedict sitzt hinter dem Steuer und blickt starr geradeaus auf die Ampel vor der Autobahnüberführung auf der Hildener Straße. Das Grün scheint in der Nacht klarer als das Rot.

      Er weiß, dass ihn die schmale Frau von der Seite anblickt. Und er weiß, dass er die Situation brechen wird. Wie so oft in der Vergangenheit. Er schüttelt den Kopf.

      »Ich versteh’ euch trotzdem nicht«, sagt er dann rau in die Stimmung hinein, in der alles möglich schien, »wir waren uns doch vor Semesterbeginn einig, dass wir das Dürrenmatt-Stück machen wollten. Und jetzt kommt ihr auf einmal mit diesen Frauengeschichten!«

      Ein Moment der Enttäuschung, dann hat sich Madeleine Clairence-Ganser wieder gefangen. Sie beißt sich kurz auf die eben noch zu Zärtlichkeit bereiten Lippen und antwortet ebenso bewusst spröde: »Wir sind aber nicht auf dem Polizeipräsidium, wo die Bullen nach deiner Pfeife tanzen! Bei den Frauen in der Theatergruppe hat eben ein Umdenkungsprozess stattgefunden. Da ist was passiert! Wir finden eben, dass dein Bankenstück von Dürrenmatt mit unserer Situation nichts zu tun hat. Das sind nicht unsere Bedürfnisse!«

      »Aber ein selbst erarbeitetes Stück über vergewaltigte Frauen? Hat das etwas mit deiner Situation zu tun? Ist das dein Problem?«

      »Ach weißt du, Benny«, seufzt Madeleine im Nachhall des gerade Zerstörten, »ich glaube, mein Problem kennst du schon lange sehr gut, und du weißt auch, dass es nicht nur mein Problem ist! Aber ich bin genau wie die anderen Frauen in der Theatergruppe der Meinung, dass wir gerade jetzt so ein Stück eher machen sollten als deinen komischen >Frank< von Dürrenmatt. Du weißt doch am besten, was hier in Düsseldorf gerade los ist!«

      Und nicht nur in Düsseldorf, ist Benedict versucht zu antworten, aber er bläst nur verärgert den Atem durch die Nase.

      »Aber das hat jetzt sowieso keinen Zweck!« Mit einem kurz angebundenen >Tschüs< öffnet die Frau an seiner Seite die Wagentür und steigt aus. Kühle Nachtluft weht kurz herein. Von dem Tanzschuppen auf der anderen Straßenseite dröhnt der Klang einer Bassgitarre herüber. Vitus H. Benedict sieht der Frau in der Lederjacke nach, bis sie in der Schimmelpfennigstraße zwischen Neubaublocks verschwunden ist. Dann wendet er den Wagen auf der breiten Ausfallstraße und fährt durch Benrath am Schloss vorbei auf die Schnellstraße Richtung Innenstadt.

      Aus dem Radio klingt blechern Rasta-Musik. Überlagert vom nöhlenden Gesang Peter Toshs. Er kennt das Stück. Hat es auf einer LP zu Hause in seiner Oberkasseler Wohnung: Peter Tosh Wanted Dead & Alive. Ja, sie hatten ihn bekommen. In dieser Woche. Dead. In Kingston. Angeblich drei Einbrecher, die Geld wollten. Bekommen hatten sie den Reggae-Star. Auf der breiten Schnellstraße ist kaum Betrieb um diese Zeit, und Benedict kann die Gedanken auf der quirligen Musik herumpurzeln lassen. Natürlich hat er sich geärgert. Aber er ärgert sich halt immer, wenn seine Pläne nicht so laufen, wie er will. Schließlich hatte er schon die Bücher beim Stern-Verlag bestellt. Regiekonzept, Besetzungsliste, alles war vorbereitet. Und jetzt kommen die mit ihrer Frauensache. Im Moment scheinen sie überall zu spinnen.

      Im Rückspiegel nähern sich die Scheinwerfer eines schnell aufschließenden Fahrzeugs. Das Rot der Ampel muss schon einige Zeit vom grünen Licht abgelöst worden sein, und der andere Wagen rauscht zügig an dem noch immer haltenden Jaguar vorbei. Der setzt sich ruhig in Bewegung. Nein, über Gernot Ganser hatten sie auch nicht gesprochen, als er sie nach der VHS-Theatergruppe nach Hause gefahren hatte. Dieses Thema war schon seit geraumer Zeit zwischen ihnen auf merkwürdige Weise tabu. So sah er auch keinen Anlass, ihr von der kurzzeitigen Versetzung Gansers nach Düsseldorf zu erzählen. Vielleicht wüsste sie es ja auch schon und wollte nur nicht darüber reden.

      Die große Rundkuppel des Botanischen Instituts schimmert aus dem sonst im Dunkeln liegenden Universitätsgelände herüber. Dann grüßen von links die roten Warnlichter auf den Trossenspitzen der Fleher Brücke über den Rhein. Am Montag würde endlich die Arbeit des Teams anfangen können. Diese ganze vergangene Woche hatte er sich aus dem normalen Dienstbetrieb des 1. K schon fast ganz ausgeklinkt. Er musste