Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek. Peter Schrenk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Schrenk
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783745212532
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oder dreißig? Die Irisch Republikanische Armee? Wollt ihr mich auf den Arm nehmen?!«

      Die Blicke der drei Herren von den jeweiligen Inseln richten sich mit Interesse auf den Düsseldorfer, dessen erstaunte Frage sie gelassen aufnehmen. Nach einer kurzen Augenverständigung lässt der englische Captain einen fast resignierten Seufzer hören, bevor er aufsteht und zu dem neben dem Fenster aufgebauten Flipchart hinübergeht.

      »Ich glaube, wir haben bei unserem Kollegen von der deutschen Mordkommission etwas zu viel vorausgesetzt. Also speziell für dich, Herr Kommissar, eine kurze Einführung in die Struktur dessen, was allgemein und fälschlich als die Irisch Republikanische Armee bezeichnet wird.«

      Der schmale Mann nimmt sich den bereitliegenden Filzschreiber und malt mit wenigen Strichen ein schwarzes Viereck auf das Papier.

      »An der Spitze dieser von dir IRA genannten Terrorbande steht ein siebenköpfiger sogenannter Armeerat, der für die Abstimmung und Koordination der Terroraktionen zuständig ist und außerdem dafür sorgen soll, dass diese Aktionen politisch und propagandamäßig durch die Sinn Féin flankiert werden ...«

      »Die Sinn Féin ist der politische Arm der IRA, sie ist als Partei zugelassen!«, wirft O’Connell schnell ein und klopft mit seiner Pfeife auf dem Rand des großen Aschenbechers herum.

      McGraths Stimme überdröhnt das Klopfgeräusch des Dubliners: »In der Republik Irland haben sie jetzt bei der Wahl einen Anteil von ganzen 1,8 Prozent von den Gesamtstimmen erhalten, das sind gerade 30000 Wähler. So viel zur politischen Stärke der Sinn Féin!«

      »Können wir über diese Sache vielleicht etwas später sprechen?« Benedict sieht hilfesuchend den Engländer an, denn er befürchtet eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Iren.

      Captain Hart malt schnell ein neues Rechteck auf das Papier. Knapp unterhalb des ersten. »All right, Gentlemen, machen wir weiter mit den Provos. Dieser Armeerat wird angeblich gewählt von dem Executiv-Kommando, einer zwölfköpfigen Gruppe, die von einem sogenannten Armee-Konvent delegiert wird. Das ist aber, wie vieles andere da auch, nonsense! Sieben Leute des Executiv-Kommandos üben gleichzeitig auch die Funktionen im Armeerat aus.«

      Zwei weitere Rechtecke entstehen auf dem sich füllenden Papier.

      »Stabschef und Generalstab!« Der Ton Harts ist triefende Ironie. »Besteht aus zwölf IRA-Dienstgraden.«

      Ein Paar voneinander wegstrebender Pfeile weist auf zwei weitere schwarze Quadrate, die der emsige Faserstift jetzt mit Buchstaben füllt: »Kommando Süd. Kommando Nord.«

      Die nervige Hand des Captains füllt jetzt das restliche Papier bis zum unteren Rand mit kleineren Rechtecken und einer Vielzahl von Kreisen. »Zu jedem Kommando gehören drei Brigaden. Jeder Brigade sind vier Bataillone mit je einem ASU unterstellt. Ein Active Service Unit besteht in der Regel aus drei oder vier Terroristen. Das ASU ist auf Zellenbasis strukturiert. Nur jeweils ein Mann führt das ASU und kennt alle anderen. Bei den insgesamt sechs Brigaden handelt es sich um die Brigaden Londonderry, Donegal, Tyrone/Monaghan, Armagh, Dublin und Belfast.«

      Der Captain legt den Faserstift wieder auf die Metallablage und blickt leicht angewidert auf die Innenseite seiner rechten Hand, wo sich dunkle Farbstreifen abzeichnen.

      »Ich geh' mal die Hände waschen!«

      Als er nach einigen Minuten wieder zurückkommt, riecht es stark nach Seife. Sein Gesichtsausdruck ist nicht viel freundlicher, denn der penetrant riechende Schmutzlöser hat gegen die Edding-Power auf seiner Hand kaum etwas ausrichten können.

      »Aber das alles spricht doch nicht gegen meine angeblich falsche Auffassung über die Stärke der IRA-Organisation«, schüttelt Benedict seinen Kopf. »Das sieht doch ganz manierlich aus!«

      »Rubbish! Its all rubbish!«

      Mit diesen wütenden Worten unwillkürlich ins Englische fallend, springt der Captain nochmals auf, greift sehr zögerlich erneut nach dem Metallstift und macht einen energischen, diagonalen Strich über sein eben gefertigtes Werk.

      »Es ist nur für die Show!«, meldet sich auch der blonde Nordire von seinem Platz. »Das ist nur eine psychologische Sache. Damit soll den Leuten der Eindruck vermittelt werden, dass es sich immer noch um eine richtige Armee handelt. In Wirklichkeit haben sie so dreißig Scharfschützen und Dynamiteros, zwanzig Rekruten in Ausbildung und 500, die auf der Reserveliste stehen!«

      »Nach den Erkenntnissen der IntCorps-Leute gibt es überhaupt nur eine Brigade, die sich halbwegs der Soll-Stärke annähert, und das ist die Belfast Brigade. Insgesamt wissen wir von zwölf ASUs in Ulster, zwei im Kommando Süd und einem, das auf dem europäischen Festland operiert.« Der Captain kritzelt die Zahlen 12/2/1 quer über das Organisationsschema.

      »Und die Schläfer!« O’Connell hat lange nichts mehr gesagt. »Sie haben Schläfer in England, Holland, Belgien und hier in Westdeutschland!« - »Schläfer sind Leute, die erst dann >geweckt< werden, wenn sie für eine Aktion in dem jeweiligen Land benötigt werden. Zum Beispiel Anschläge auf unsere militärischen Einrichtungen in den britischen Zonen ... na, also hier in Nordrhein-Westfalen«, beeilt sich der Captain dem Hauptkommissar zu erläutern.

      »Ach ja?«

      Die Ironie bleibt den Anwesenden nicht verborgen, aber der Engländer zuckt nur die Schultern.

      »Unser Problem wird nicht Armeerat oder Sinn Féin heißen.« Der Vertreter Albions greift nochmals in die schmale Ablage und schlägt dann das vollgeschriebene Blatt hoch über den Flipchart-Ständer. »Unser Problem heißt für die nächsten Wochen«, der Schreiber quietscht hässlich über das weiße Papier, »Special Active Service Unit, kurz SASU!«

      Der Captain hat ein Faible für gute Abgänge. Mit den letzten Worten verlässt er seinen bisherigen Standort und setzt sich wieder hinter seinen Schreibtisch.

      »Allmächtiger Gott!«, stöhnt O’Connell und richtet genervt die Augen zur Decke. »Du solltest es mal bei der Shakespeare Company versuchen, Jerry. Wir glauben, dass die Provisionals zur Zeit große Probleme haben. Seit die irische Regierung die Aktivitäten der IRA auf unserer Seite stark unterbindet und die GARDA zusammen mit der Royal Ulster Constabulary und der englischen Armee grenzüberschreitende Operationen gegen die Leute durchführt, sieht es nicht so gut aus mit der republikanischen Bewegung. Das zeigen ja auch die Wahlergebnisse der Sinn Féin. Dadurch fehlt aber die Legitimation für die militärische Seite der Bewegung. Die Unterstützung für die IRA wird geringer. Es gibt das Irisch-Englische Abkommen von 1984. Die Iren tragen zwar die Wiedervereinigung mit Ulster im Herzen, aber es ist keine politische Tagesfrage mehr. Dazu kommen hohe Verluste bei den militärischen Aktionen der IRA. Dann die vielen unschuldigen Opfer bei Bombenanschlägen!«

      Unruhig steht Hauptkommissar Benedict auf. Starrt mit zusammengekniffenen Augen auf das Telefon. Verblüfft bricht der Dubliner seinen Vortrag ab. Die beiden anderen blinzeln erstaunt mit den Augen. Voller Konzentration fixiert der deutsche Polizist das Telefon auf dem Schreibtisch. Auf der angestrengt gefurchten Stirn erscheinen winzige Schweißperlen.

      Es klingelt. Das Telefon klingelt.

      Befriedigt lässt der Kriminalbeamte die angehaltene Luft entweichen und ergreift nach dem dritten Läuten den Hörer.

      »Ja ... am Apparat ... nein, noch nicht ... ich kenne den Kalender, Kollege ... 5 Wochen noch ... also nur vier ... ja, ich habe verstanden ... Wiedersehen, Kollege!«

      Der Hörer liegt wieder auf der Gabel, und Benedict wendet den drei konsternierten Zuhörern unhöflich seinen Rücken zu. Sieht aus dem Fenster. Im flacher werdenden Licht der Abendsonne sieht das Präsidium auf der anderen Straßenseite merkwürdig verschwommen aus. Es scheint, als lösten sich die kantigen Konturen des mächtigen Steinbaus an den grätigen Rändern auf. So entsteht vor den Augen Benedicts das Bild eines leicht zitternden, vibrierenden Polizeihauptquartiers, das, kaum merklich aus seinem Gesichtsfeld herauswandert. Mit einem energischen Ruck wendet sich der Hauptkommissar wieder seinen ISAT-Kollegen zu.

      Die starren ihn noch immer entgeistert an. »Können ... kannst du das auf