"Er heißt John Pitaschwili, ein eingebürgerter Georgier", erklärte er. "Er hatte Papiere dabei..."
"Kein Name, der mir etwas sagt", gestand ich.
"Aber Orry sagte er etwas."
"Ach!"
"Und wenn du dir die Computerausdrucke genauer angesehen hättest..."
Ich sah ihn etwas ärgerlich an. "Komm schon, Clive!", unterbrach ich ihn dann.
Der blonde Italo-Amerikaner lockerte seine Krawatte.
"Er ist zwar kein Ukrainer, wird aber mit Big Vlads Imperium in Verbindung gebracht. Früher hat er Drecksarbeit gemacht, zuletzt nur noch Sachen, die man im weißen Kragen erledigen kann."
"Geldwäsche!", schloss ich.
Clive Caravaggio nickte. "Dein Instinkt hat dich durch den Schlag, den du bekommen hast, nicht verlassen", stellte er fest. "Pitaschwili hat sein dreckiges Geld in einigen Läden an der Bowery stecken, die vermutlich einzig und allein diesem Zweck dienen..."
Ich hörte Clive nur mit einem Ohr zu, denn etwas abseits sah ich jemanden, den ich kannte.
Jemanden, den ich hier nicht erwartet hatte.
Captain Billy Dobbs vom Achtzehnten!
Er kam gerade aus dem Strand Book Store heraus und schien sich ein bisschen am Tatort umgesehen zu haben. Ich ging auf ihn zu.
Sein Kopf ruckte seitwärts, als er mich sah. Er schlug sich den Kragen seines grauen Wollmantels hoch. Sein Lächeln war gefroren, und er zeigte die Zähne dabei.
"Ah, Sie, Agent Trevellian...", murmelte er und verzog das Gesicht dabei.
"Was machen Sie hier, Captain Dobbs?", fragte ich. "An sich ist das doch nicht Ihr Fall. Das achtzehnte Revier ist zwar eines der größten in New York - aber so groß ist es nun auch wieder nicht."
"Ich war gerade in der Gegend", erklärte Dobbs kühl.
"Gerade in der Gegend? Am anderen Ende der Stadt?"
Er sah mich böse an.
"Was soll die Fragerei, Agent Trevellian? Haben Sie etwas dagegen, dass ich mich hier umsehe?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Durchaus nicht."
"Na, also!"
Dobbs blickte an meiner recht staubigen und leicht zerschlissenen Kleidung herab. "Sieht aus, als hätten Sie eine wilde Jagd hinter sich...", murmelte er dann.
Ich nickte.
"Kann man wohl sagen. Leider erfolglos."
"Haben Sie nicht den ganzen Block abriegeln lassen?"
"Schon, aber vermutlich zu spät."
"Oh..." Er zuckte die Achseln.
Ich holte meine Zigaretten aus der Manteltasche und reichte sie ihm. Er schüttelte den Kopf.
"Rauchen Sie nicht?"
"Nicht diese Sorte!"
"Verstehe..."
Ich nahm mir selbst eine und steckte sie mir an.
Dann sagte ich: "Sagt Ihnen der Name Pitaschwili etwas? John Pitaschwili?"
In Dobbs' Gesicht zuckte es.
"So heißt der Tote, das habe ich mitbekommen. Ist das vielleicht der Pitaschwili, der diese Schmuddelschuppen auf der Bowery betreibt? Belle de Jour heißt einer dieser Läden, glaube ich."
"Schon möglich." Ich pfiff durch die Zähne. "Sie scheinen sich auszukennen..."
"Ich lebe in dieser Stadt."
"Das tue ich auch."
"Ich weine dem Kerl und seinem Gorilla jedenfalls keine Träne nach."
"Ach, nein?"
"Er war Abschaum."
"Klingt, als wären Sie nicht gerade ein Freund von Pitaschwili gewesen, Captain Dobbs!", stellte ich fest.
Er atmete tief durch.
Dann streckte er mir seinen Zeigefinger entgegen wie eine Waffe.
"Hören Sie, Agent Trevellian, ich habe nichts gegen nackte Mädchen, die auf Tischen tanzen, auch beinahe nichts gegen Leute, die ihre Kundschaft so viel Geld für ein Glas Champagner abknöpfen, dass man glauben könnte, dass es sich bei den Blasen, die darin aufsteigen, um Goldstaub handelt. Aber ich habe etwas gegen weiße Kragen-Verbrecher, wie Pitaschwili, der die Drecksarbeit von anderen machen lässt und an den nie jemand herangekommen ist... Er war ein Geldwäscher und bis er dort war, wo er jetzt ist, hat er so manche über die Klinge springen lassen." Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen, als er fortfuhr. "Wussten Sie, dass er zu Shokolevs Syndikat gehörte?"
Meine Erwiderung war kühl und sachlich.
"Es wundert mich, dass Sie das wissen", stellte ich fest.
Ich wandte mich halb herum, um in den Book Store zu gehen.
Ich wollte mich noch einmal etwas am Tatort umsehen und mich etwas mit den SRD-Leuten unterhalten. Vielleicht gab es ja irgend eine interessante Einzelheit.
Aber Dobbs' Stimme hielt mich zurück.
"Agent Trevellian..."
"Ja?"
"Haben Sie..."
Er sah mich nicht an bei diesen Worten. Und plötzlich stockte er. Auf seiner Stirn bildete sich eine Falte.
"Was?", hakte ich nach.
"Haben Sie einen der Kerle erkannt, die dieses Blutbad angerichtet haben? Ein Gesicht oder so etwas?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Leider nein". erwiderte ich dann.
"Schade."
"Allerdings."
Dobbs grinste zynisch. "Ich meine, so werden wir dem, der diese Ratte namens Pitaschwili umgenietet hat, niemals einen Orden verleihen können!"
Ich sandte Dobbs einen eisigen Blick zu.
"Ich finde das nicht witzig, Captain Dobbs! Unsere Aufgabe ist es, Verbrechen aufzuklären. Das gilt für alle Cops. Und spielt es überhaupt keine Rolle, ob das Opfer selbst ein Gangster war."
Sein Gesicht war jetzt eine Maske.
"Vielleicht fehlt Ihnen einfach der Humor, Agent Trevellian!"
15
Jahrzehntelang war die Bowery eine der berüchtigsten Straßen New Yorks gewesen. Ein Symbol des sozialen Abstiegs. Obdachlose, Bars und billigste Absteigen hatten das Gesicht dieser Straße der Sünde geprägt.
Inzwischen hatte sich einiges geändert. Zwar hatte die Bowery noch immer ihren über die Stadtgrenzen hinweg bekannten schlechten Ruf, aber inzwischen wurde das Straßenbild längst mehr durch Restaurants und Apartmenthäuser als durch Bars und Bordelle geprägt. Von der Sünde war nur ein Hauch geblieben.