Nach dreizehn Jahren. Sofie Schankat. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sofie Schankat
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783748201595
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von Fotos, doch ihn jetzt mit eigenen Augen zu sehen, so verändert … Er war alt geworden. Und streng und ernst. Der Mann sah das sofort, auch auf die Entfernung. Das war nicht mehr der Sonnenschein-Markus. Das war ein Mann, der vom Leben böse überrascht worden und der dazu gezwungen worden war, seine Pläne zu ändern, mit ihnen jedoch nicht hatte glücklich werden können. So sah wohl ein vom Leben gezeichneter und vom Schicksal getroffener Mensch aus. Nichts mehr war von dem freundlichen, sanften, liebevollen und lebensfrohen jungen Mann mit den goldigen Haaren und den dunklen Augen übrig geblieben.

      Der Mann beobachtete mit einem seltsamen Gefühl der Leere und Fremde, wie Markus über den Parkplatz ging, seine Sporttasche über der Schulter, und ein Auto aufschloss. Von Markus’ damaligen DEL- Gehalt war inzwischen vermutlich nicht mehr viel übrig – aber es musste ihnen ganz schön gutgehen. Veronica musste doch Millionen eingenommen haben, so erfolgreich, wie ihre Bücher auf der ganzen Welt verkauft wurden.

      Der Mann hatte sich … er hatte sich eine glückliche Familie vorgestellt, zufrieden und harmonisch und fröhlich. Doch ihn beschlich plötzlich die Ahnung, dass es so nicht sein würde. Vielleicht hatte er sich auch all die Jahre eine Bilderbuchfamilie vorgestellt, um sich selbst zu beruhigen. Da war Angst, was ihn nun nach all den Jahren tatsächlich erwarten würde.

      Ankunft in Heschbach

      Am späten Nachmittag kamen Amy und Yannick nach einigen Umstiegen und einem Zugausfall endlich in Heschbach an. Sie hatten schon vom Zugfenster aus einen Eindruck von der Großstadt bekommen. Von ihrer Geburtsstadt, in der sie ihre ersten Lebensjahre verbracht hatten, an die sie sich aber nicht mehr erinnern konnten. Und hiergewesen waren sie auch noch nie. Es war ihnen auch nie von Heschbach erzählt worden, nicht ein Wörtchen. Dabei hatte Markus hier in der ersten Liga gespielt, und das sogar sehr erfolgreich. Manchmal, wenn er tatsächlich einmal Zeit gehabt hatte, hatte Markus abends stundenlang an Yannicks Bett gesessen und ihm von seiner Karriere erzählt. Amy hatte längst geschlafen und auch Yannick waren die Augen fast zugefallen. Aber er hatte sie tapfer offen gehalten und Markus gelauscht. Das war immer etwas Besonderes gewesen. Aber von Heschbach, von der DEL hatte Markus nie erzählt. Und irgendwie hatte Yannick sich auch nie getraut, danach zu fragen. Und nun wohnten sie hier.

      Amy und Yannick hievten ihre Koffer aus dem Zug auf den vollen Bahnsteig. Markus wartete bereits auf sie. Sie erkannten ihn gleich an seinen Sportklamotten und der Cap auf dem Kopf. Er erweckte in diesem Aufzug immer den Anschein, ein durchaus sehr attraktiver, lässiger, Anfang vierzigjähriger Sportler zu sein. Wäre da nicht dieser ernste, verschlossene, gestresste, schlecht gelaunte Gesichtsausdruck gewesen, der ihn streng und verbittert wirken ließ. Auch jetzt starrte Markus wieder mit versteinertem Gesichtsausdruck und Kaugummi kauend auf den hässlichen Boden, die Hände in den Hosentaschen vergraben.

      Yannick stieß ein Seufzen aus. »Der hat ja mal wieder beste Laune! Dabei hat die Saison ja noch nicht einmal angefangen!« Es war oft nicht leicht, Markus als Vater zu haben, der ständig so gestresst und schlecht gelaunt und grimmig und ungeduldig war.

      Als hätte er Yannicks Stimme gehört, sah Markus in dieser Sekunde auf, erblickte seine Kinder und winkte. »Amy, Yannick! Da seid ihr ja!« Man musste ihm zugute halten, dass er oft zumindest versuchte, seine schlechte Laune mit einem Lächeln zu überspielen, auch wenn ihm das häufig nicht ganz gelang, so wie jetzt. Und seine Mundwinkel klappten auch gleich wieder nach unten und rutschten in ihre Position zurück, mit den Lippen eine gerade, schmale Linie zu bilden. »Das ist ja wieder typisch, wie? Ein Zugausfall, und dann auch noch Verspätung …«

      »Jetzt sind wir ja hier«, sagte Yannick und konnte einfach nicht ganz verbergen, dass er sich nicht so darüber freute, seinen Vater wiederzusehen, wie er das eigentlich hätte tun sollen. Dieses ernste, missmutige Gesicht hatte ihm sofort wieder schlechte Laune gemacht. Das Verhältnis zu Markus war wirklich angespannt in letzter Zeit.

      Zum Glück machte Amy Yannicks kühle Begrüßung wieder wett, indem sie Markus umarmte und mit ihren blaugrünen Augen zu ihm hochsah. »Schön, dich wiederzusehen. Auch wenn ich Mama schon vermisse.«

      Markus versuchte erneut ein Lächeln, das ihm dieses Mal auch schon besser gelang und jetzt eher traurig als schlecht gelaunt wirkte, und nahm Amy ihren Koffer ab. »Wie war es denn am Meer? Hattet ihr eine schöne Zeit?«

      »Ja! Wir waren jeden Tag am Strand und für ein paar Tage sogar in Amsterdam. Da haben wir eine Grachtenfahrt gemacht und das Anne Frank-Haus besichtigt …«

      Sie machten sich auf den Weg zum Parkhaus durch den großen und vollen Bahnhof. Yannick lief ein Stückchen hinter Markus und Amy. Sie hatte das leichter. Sie hatte nicht ein so angespanntes Verhältnis zu Markus, und Markus war auch bei weitem nicht so schnell ungeduldig und gereizt ihr gegenüber wie gegenüber Yannick.

      Markus hatte wieder einmal ein neues Auto. Er bekam seine Autos meistens von seinem Verein zur Verfügung gestellt, genau wie eine möblierte Wohnung. Yannick war schon skeptisch-gespannt auf die neue Wohnung. Das Auto zumindest war nicht schlecht. Yannick liebte Autos. Er konnte es kaum erwarten, achtzehn zu sein und alleine fahren zu dürfen. Auch wenn er ja leider noch kein eigenes Auto hatte und so schnell vermutlich auch keins bekommen würde.

      Yannick nahm auf dem Beifahrersitz Platz, Amy ließ sich auf der Rückbank nieder. Als sie das Parkhaus verließen, standen sie prompt in der Innenstadt an einer roten Ampel. Eine schöne, große, belebte Innenstadt. Yannick konnte sich nicht erinnern an damals, als sie in Heschbach gewohnt hatten. Manchmal glaubte er, sich ganz dunkel und verschwommen an irgendetwas zu erinnern, und das Düstere, Schmerzvolle in Markus’ Augen schien ihm zu bestätigen, dass da irgendetwas gewesen war – aber er konnte diese verschwommene Erinnerung, von der er nicht einmal wusste, ob sie überhaupt wirklich existierte, nicht scharfstellen, nicht aus seinem Unterbewusstsein hervorholen, sie nicht richtig festhalten. Es waren verschleierte Fetzen, die manchmal hochzukommen schienen, aber niemals zusammenhängend oder greifbar waren. Und nach Antworten suchen, Markus gar fragen, das trauten er und Amy sich nicht.

      Yannick hatte seinen müden Kopf gegen die Kopfstütze des Beifahrersitzes gelehnt und blinzelte zu seinem Vater hinüber. Da lag immer diese … diese Bitterkeit in seinem Blick, die ihnen oft den Mut nahm, ehrlich und unbefangen mit Markus zu sprechen. Eigentlich hatte doch schon immer in der ganzen Familie Melancholie, Traurigkeit und ein gewisser Hang zum Negativen geherrscht, eine gewisse Sprachlosigkeit. Als läge ein Schatten über ihnen allen. Als wäre die ganze Familie in ein Geheimnis gehüllt. Yannick fröstelte plötzlich trotz der Hitze im Auto und wandte seinen Blick von Markus ab.

      Amy sah aus dem Autofenster. Sie fuhren durch fremde Straßen, deren Namen sie nicht kannte, mit denen sie nichts in Verbindung bringen konnte, mit denen sie keine Erinnerungen verknüpfte. Keine Kindheitserinnerungen, keine Erinnerungen an früher. Weder schöne noch schwere. Ihr war hier nichts vertraut, sie erkannte nichts wieder, sie fühlte überhaupt nichts beim Anblick der Straßen, Gebäude, Häuser, Bäume und Wiesen. Ihre Erinnerungen waren zerstreut auf so viele Städte. Und vermutlich waren sie auch mit jedem neuen Ort, an dem sich neue Erinnerungen gebildet hatten, blasser geworden. Amy könnte niemals an einen Ort zurückkehren, der für sie ein Heimkommen war. Mit dem noch viele Erinnerungen und Gefühle verbunden waren. Oft hatte Amy das Gefühl, dass ihr da etwas sehr Kostbares verwehrt geblieben war, etwas sehr Wichtiges. Ein richtiges Zuhause. Einen ganz bestimmten Ort, den man mit Zuhause in Verbindung bringen konnte. Und zwar für immer. Das Dünenhaus, das fühlte sich vielleicht mittlerweile ein bisschen so an. Dass sie vor einigen Stunden noch am Meer gewesen waren … das schien schon wieder ganz weit weg zu sein.

      Nun wohnten sie im Mariannenweg 12. Es war eine ruhige Straße mit schönen kleinen Miethäusern. Hausnummer 12 war ein hübsches Haus mit zwei Wohnungen. Die Sladowskis waren in die obere gezogen.

      Markus hatte gerade den Kofferraum geöffnet, als ein roter Mazda CX-3 mit wummernder Musik in den Mariannenweg eingebogen kam und mit einem Affenzahn an ihnen vorbeibrauste. Amy war erschrocken ein paar Schritte zurückgesprungen. Ohne das Tempo großartig zu drosseln, kam der Mazda in einer winzigen Lücke zum Stillstand.

      Angeber und Protze gibt es hier also auch, stellte Yannick grimmig fest.

      Die Fahrertür des Mazdas flog auf und ein junger, durchtrainierter