Nach dreizehn Jahren. Sofie Schankat. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sofie Schankat
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783748201595
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ihren Kopf auf die Hände auf. Sie hatte das Gefühl, dass diese Worte so ziemlich das einzige gewesen waren, was ihre Mutter ihr nach der Scheidung bei ihren seltenen Treffen noch gesagt hatte. Sie war von der ersten Sekunde an ein riesiger Fan von Markus gewesen. Die beiden hatten sich blendend verstanden; für Veronicas Mutter war er sofort wie ein Sohn gewesen, und sie für Markus die Mutter, die er so früh verloren hatte. Und als die Scheidung kam … da war sie auf Markus’ Seite geblieben. Veronica war für sie diejenige gewesen, die alles kaputtgemacht hatte und Schuld an der Trennung war.

      Dabei wusstest du ja nicht einmal, was wirklich los war. Aber ihre Mutter hatte doch recht. Ich habe versagt als Ehefrau und Mutter. Hatte sie nicht Markus damals ewige Treue geschworen? Beistand in guten wie in schlechten Zeiten? Sie hatte ihn betrogen mit ihren Büchern und mit ihrer Angst. Markus. Der einzige Mann, den sie je geliebt hatte.

      Wenn das alles damals nicht passiert wäre … vielleicht wären sie dann jetzt noch zusammen. Wir hätten das hinbekommen. Ich hätte das hingekriegt. Sie waren so jung und frisch verheiratet und im Grunde hatten sie doch gerade einmal Yannick mit Mühe geschafft. Veronica jedenfalls hatte das mit ihrer Familie nur mit Mühe hinbekommen. Sie hatte es mit Markus versuchen wollen. Eigentlich hatte es auch so gut gepasst – immerhin war er als Profisportler oft unterwegs gewesen und Veronica hatte somit viel Zeit alleine gehabt. Doch dann war so schnell Yannick gekommen und dann war das mit Amy passiert. Dann war alles aus dem Ruder gelaufen.

      Eine Auszeit hatte sie sich nehmen wollen. Abstand. Und dann war sie nicht wiedergekommen. Weil ich zu feige bin. Sie hatte sich Markus niemals ganz anvertraut. Damit hatte sie ihn auch betrogen, denn er war immer für sie da gewesen, hatte immer ein offenes Ohr gehabt.

      Sie hatte ihn und ihre Kinder im Stich gelassen. Ihre Mutter hatte ihr mit diesen Worten, die genau das sagten, was Veronica ohnehin wusste und was sie so belastete, das Messer noch tiefer in die offene Wunde gerammt. Und sie hatte es nie geschafft, es wieder ganz herauszuziehen.

      Veronica wurde plötzlich bewusst, dass sie weinte. Sie sah Markus plötzlich wieder ganz lebhaft vor sich. Den jungen Markus, ihren Markus. Nicht den gestressten, alten, verbitterten Markus, zu dem er geworden war. Sie sah seine goldigen, weichen Haare vor sich, die Yannick auch hatte, genau wie die zu große Nase und die aufmerksamen, großen, tiefdunklen Augen. Zartbitteraugen hatte Veronica immer liebevoll gedacht, weil sie sie an Zartbitterschokolade erinnert hatten. Seine weichen, lieben, freundlichen Züge und der Dreitagebart. Yannick war ihm wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten. Wenn Markus gelacht hatte – bis heute flatterte die Horde Schmetterlinge in ihrem Magen auf, wenn sie an sein Lachen dachte. Oder an seinen Schmollmund. Er hatte die Mundwinkel immer nach unten gezogen und die Unterlippe vorgeschoben wie ein kleines Kind.

      Veronica hatte alles an ihm geliebt. Und doch hatte sie sich nicht getraut, ihn zu lieben, ihm das zu zeigen, zu geben. Sie hatte seine Liebe genommen, doch sie hatte Angst davor gehabt zu geben. Sie hatte Protagonistinnen entworfen, die das konnten. Die das sagen und tun konnten, was Veronica selbst sich nie getraut hatte. Markus hatte ihre Manuskripte und Bücher damals alle begeistert gelesen – aber ob er verstanden hatte, dass Veronica eigentlich durch ihre Protagonistinnen ihm etwas hatte sagen wollen?

      Da war sie wieder, die Schraube, die sich in Veronicas Bauch grub, ganz tief und schwer. Und dieses nagende Gefühl in der Brust, als würde jemand ihr Herz anfressen. Veronica zog die Nase hoch und setzte ihre Brille ab, um sich mit einem Taschentuch die Tränen aus den Augenwinkeln und von den Wangen zu wischen. Sie vermisste Markus. Sie hatte ihn schon eine Sekunde, nachdem sie gegangen war, vermisst. Aber auch damals war sie wieder zu feige gewesen. Du hast ihn losgelassen. Aber in sich drinnen hatte sie es eben nicht.

      Und letztendlich hatte sie doch auch ihm ihren Ruhm und Erfolg zu verdanken. Denn ohne dieses fehlende Stück in ihrem Herzen, das sie bei ihm verloren hatte, hätte sie niemals so emotional schreiben können. Vielleicht war das das Schicksal eines jeden Künstlers: Einsamkeit, unerfüllte Träume und Sehnsüchte und eine aufgewühlte Seele, auf der so einiges lastete.

      Du bist Bestsellerautorin. Veronica setzte ihre Brille wieder auf und sah zu dem Regal hinüber, in dem ihre Bücher standen. Auf denen Veronica Treu stand, deren Inhalt aus ihrem Herzen kam, aus denen sie ihre Kraft schöpfte. Du hast dir deinen größten Traum erfüllt, Veronica. Und wäre ihr das denn mit Markus, Yannick und Amy gelungen?

      Manchmal, da hatte sie keinen Zweifel daran, dass sie sich für die richtige Sache entschieden hatte. Aber in ihren schwachen Momenten war sie sich dessen nicht mehr sicher. Doch eine Sache wusste sie: Ihre Kinder litten unter ihrer Entscheidung.

      Yannick wird in ein paar Wochen achtzehn. Wie können wir eigentlich verantworten, dass er noch immer mit seiner kleinen Schwester ein Bett teilt und sie im Arm hält und sich Hörspiele beim Einschlafen anhört? Er war so ein unglaublicher Junge. So großherzig und liebevoll. Er hatte sich doch noch nie über irgendetwas beschwert. Dabei hatte er immer schon Dinge getan und erduldet, die man keinem Kind zumuten durfte. Er hat das getan, wozu Markus und ich nicht fähig waren. Ich wusste gleich, dass wir nicht in der Lage sind, Amy wirklich das zu geben, was sie braucht.

      Amy. Die war doch überhaupt nicht in der Lage, ohne ihren Bruder klarzukommen! Wir haben in unserer Elternrolle versagt. Ist das Ziel einer Erziehung nicht, einen mündigen Erwachsenen aus einem Kind zu machen, der selbstständig für sich sorgen kann?

      Bei Yannick machte Veronica sich da keine Sorgen. Der hatte sich vollkommen normal entwickelt. Aber Amy? Amy war doch vollkommen unfähig, sich von ihren Eltern und vor allem von ihrem Bruder zu lösen! Und das ist doch unsere Schuld.

      Veronica steckte den Ehering zurück in die Stofffalte, in der er seit dreizehn Jahren ruhte, und klappte das kleine Samtkästchen zu. Mit einem leisen Klock schloss der Magnet.

      »Ähm … Mama?«

      Sie zuckte heftig zusammen und ließ das Kästchen mit einem Poltern in der Schreibtischschublade verschwinden. »Ja, was ist?« Sie zog die Nase hoch und fuhr sich noch einmal rasch über die Augen.

      Amy öffnete die Tür. Da stand sie, bildhübsch, aber blass, kränklich, mit diesen Ringen unter den Augen, in denen stets Misstrauen und Angst lagen. »Ich wollte … gibt es gleich Frühstück?«

      Veronica bekam ein Lächeln hin, indem sie all ihre Kraft zusammensammelte, und erhob sich. »Ja, warte, ich komme schon.«

      Der Abschied war gekommen. Die zweieinhalb Wochen waren wieder viel zu schnell vergangen. Yannick nutzte die Zeit, in der Veronica mit Ginny Gassi ging und Amy ihren Koffer fertig packte, um noch ein letztes Mal durch das Haus zu gehen, das er so sehr liebte. Es war genau nach seinem Geschmack eingerichtet. Bereits im Flur türmten sich Bücher in deckenhohen Regalen und so ging das im Wohnzimmer weiter. Wo etwas Platz an der Wand war, hingen eingerahmt die Cover der Bücher, die sie geschrieben hatte, und die Plakate zu Verfilmungen dieser Bücher. So hatte das Haus einer Autorin auszusehen, deren große Leidenschaft Literatur war.

      Yannick ging langsam durchs Wohnzimmer und ließ seinen Blick schweifen. Alles voller Bücher. Ein richtiges Lesesofa, gleich daneben Ginnys Kuschelecke – ein zerknautschtes Körbchen mit allerlei Decken, aus denen die Beagle-Hündin sich ein gemütliches Nest gebaut hatte –, und den kräftig bekritzelten Notizblock auf dem Sofatisch, daneben vier leere Kaffee- oder vielleicht auch Teetassen und noch ein einsamer Keks auf einem Teller.

      Yannick genoss es, alleine zu sein, ganz in Ruhe durchs Haus gehen und seinen Gedanken nachhängen zu können. Und das konnte man hier, inmitten von Büchern, am besten. Bücher strahlten etwas aus, sie erzeugten eine ganz besondere Atmosphäre. Sie schienen sich ihm geradezu aufzudrängen, winkten einladend mit ihren Buchdeckeln, versprachen das Abtauchen in eine andere Welt, die Möglichkeit, jemand anderes zu sein und sein eigenes Leben mit all den Problemen und Sorgen zu vergessen. Und wenn man ein gutes Buch las, dann tauchte man mit etwas wieder auf, womit man sich noch lange Zeit beschäftigen konnte, mit etwas, das es einem ermöglichte, verändert über sein eigenes Leben zu denken, es anders zu sehen. Vielleicht seine Probleme gar nicht mehr als so unüberwindbar zu betrachten, weil die im Buch noch viel größer gewesen waren oder weil der Protagonist letztendlich