Lottes bunter Lebensherbst. Gabi Ebermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabi Ebermann
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347093829
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Spielsucht. Lisa hatte stets akzeptiert, dass er sehr wenig zum gemeinsamen Leben beitrug. Sie wirtschafteten mit getrennten Kassen und sie fragte sich oft, was er mit seinem Geld eigentlich anstellte. Des lieben Friedens willen hatte sie gelernt, mit wenig auszukommen. Da sie sehr geschickt haushalten konnte, war für das Nötigste immer gesorgt. Große Sprünge konnten sie aber nie machen. Jim beteuerte, sich zu bessern und alles wieder gut zu machen. Lisa wollte ihm nur allzu gerne glauben.

      So besorgte sie für Jimmy einen Platz bei den anonymen Spielern, nahm einen Kredit auf, um die schlimmsten Schulden abzudecken, und übernahm noch mehr Stunden im Spital. Jim sollte sich vorerst um den Haushalt kümmern und gegen seine Sucht ankämpfen. Sie wollten ihrer Familie und ihrer Liebe eine zweite Chance einräumen, William und Aaron sollten nicht unter dem Unvermögen ihrer Eltern leiden müssen.

      Und genau in dieser Phase ihres Lebens hatte Lotte ihren Besuch angekündigt. Das Bemühen, ihr die perfekte Familie vorzuspielen, war gleichsam ein Versuch, wieder eine solche zu werden. So war es damals Lisas feste Überzeugung, dass sich alles zum Guten wenden würde. Doch Jimmy hielt nicht Wort. Er schaffte es nicht. Es dauerte nur wenige Monate, dann war die Sucht stärker als sein Wille. Er konnte nicht anders, einmal noch, nur ein einziges Mal noch! Ein großer Gewinn und er würde als der Held dastehen, der den Karren wieder aus dem Dreck gezogen hatte. Aber er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Sein Vorhaben misslang und sie gerieten tiefer denn je in eine aussichtslose Lage.

      Lisa traute sich kaum, ihre Mutmaßung laut auszusprechen, aber sie war sich nahezu sicher: bei Jimmys Tod handelte es sich nicht um einen Unfall. Er wählte vermutlich den ultimativ letzten Ausweg, seiner Familie eine sichere Zukunft zu bieten. Eine, in der William und Aaron, nachdem sie über die Trauer hinweggekommen waren und so Lisa es zuließ und nicht die Wahrheit über ihn preisgab, ihren Vater als liebenden Familienmenschen in Erinnerung behalten konnten. Eine, in der sie vom Geld seiner Lebensversicherung halbwegs wieder Fuß fassen konnten, ohne wie Verlierer dazustehen.

      Lotte lauschte den Worten ihrer Tochter fassungslos. Es war schrecklich für sie als Mutter, ihr Kind nicht in die Arme nehmen zu können, wenn es Trost und Beistand am nötigsten gehabt hätte. Sie fühlte sich erbärmlich.

      Noch Stunden nachdem sie und Lisa das Gespräch beendet hatten, saß Lotte wie versteinert da. Wie hatte ihre Tochter das nur durchgestanden und warum hatte sie sich ihr nicht längst anvertraut? Aber wie hätte sie ihr auch helfen sollen, wenn sie sich am anderen Ende der Welt befand?

      Es war gegen vier Uhr morgens, als Lotte in einen unruhigen, leichten Schlaf verfiel.

      6

      Lisa selbst war als geliebtes und umsorgtes Einzelkind großgeworden. Später als Jugendliche hatte sie die ehelichen Probleme ihrer Eltern sehr wohl mitbekommen, obwohl diese von Lotte bestmöglich unter den Tisch gekehrt wurden, um die Tochter nicht zu belasten. Es lief ganz bequem für das Mädchen, es musste nie wirklich einen Finger krumm machen zu Hause – Lotte putze hinter ihr her und ihr Vater Georg verwöhnte sie nach Strich und Faden. Es war ja nicht so, dass sie als Familie keine schöne Zeit miteinander verbracht hätten. Sie machten tolle Ausflüge und schöne Urlaube, wiewohl sie auf Grund Lottes Flugangst nie viel weiter als nach Caorle oder Umag kamen und sie feierten wunderbare Familienfeste. Lisa konnte sich noch sehr gut daran erinnern, wie Weihnachten, Ostern, Geburtstage, Erstkommunion, Firmung, Matura und ihre Promotion zelebriert wurden, als wäre sie eine Prinzessin. Sie stand gerne im Mittelpunkt und ihre Eltern hatten ihr das auch stets ermöglicht. Trotz aller Schlitzohrigkeit, die Georg in seiner Ehe an den Tag legte, war er in dieser Hinsicht ein echter Familienmensch. Sie hatten nie Geldsorgen, denn obwohl Lotte bei Lisa zu Hause blieb, waren sie durch Georgs Job im gehobenen Management mehr als gut gestellt. Beiden Elternteilen war es wichtig, ihrer Tochter eine geborgene Kindheit und Jugend zu ermöglichen und sie bei einem guten Start ins eigene Leben zu unterstützen. Lisa kostete das in vollen Zügen aus, ihr Medizinstudium war ihr zwar wichtig, aber mit der Studiendauer nahm sie es nicht ganz so genau. Es fehlte ihr ja schließlich an nichts. Sie durfte reisen, konnte nach Belieben ausgehen, shoppen und besaß sogar ein eigenes Auto: einen kleinen roten Fiat Panda, mit dem sie und ihre Freunde die Gegend unsicher machten. Mit dem Weg in die Selbständigkeit hatte sie es daher nicht übertrieben eilig gehabt.

      Als sie schon im Turnus war, lernte sie auf einem Gartenfest ihrer Freundin Jim kennen und lieben. Er war der Cousin ihrer Freundin, der als kleines Kind mit seinen Eltern nach Australien ausgewandert war. Als sich die beiden nach einem unbeschreiblich schönen Sommer wieder trennen mussten, war Lisa untröstlich. Lotte hielt das für eine vorübergehende Liebelei, aber in dieser einen Sache blieb Lisa hartnäckig. Sie sah in dem jungen Mann doch weit mehr als nur einen Sommerflirt. So hielten sie und Jim über fast zwei Jahre mittels Mails und endlosen Telefonaten den Kontakt aufrecht, bis Georg letztendlich solches Mitleid mit seiner mittlerweile sehr reif gewordenen Tochter bekam, dass er ihr für den Sommer eine Reise nach Australien schenkte. Lotte fiel fast in Ohnmacht damals, ihr schlotterten schon bei dem Gedanken an diesen langen Flug die Knie so heftig, dass sie sich setzen musste. Lisa aber war im siebten Himmel, und so kam es, dass sie ihre große Liebe in Übersee besuchte und Lotte und Georg erstmals seit mehr als drei Jahrzehnten wieder sich selbst überlassen waren.

      Es war nicht zu übersehen, sie waren sich fremd geworden und wussten sich nichts miteinander anzufangen. Egal ob sie ins Theater gingen, einen Ausflug planten oder auch nur abends ein Restaurant besuchten, es kam so gut wie nie eine Kommunikation zustande. Was war bloß aus ihnen geworden? Sie hatten doch früher immer so viel Spaß miteinander gehabt. In dieser Zeit musste sich Lotte eingestehen, dass sie sich endgültig auseinandergelebt hatten. Sie hatten sich nichts mehr zu sagen. Die einzige sie aneinanderbindende Gemeinsamkeit würde bald aus dem Haus sein, und dann wäre Lottes Hingabe an die Familie nicht mehr erforderlich. Sie hatte Georgs Leben und seine vielen Affären immer akzeptiert, weil sie und Lisa trotz allem das Wichtigste in seinem Leben zu sein schienen. Doch während Lisas Abwesenheit war ihr klar geworden, dass das wohl nur auf eine von ihnen beiden zutraf, Lotte selbst stellte schon lange nur noch eine zweckmäßige Gewohnheit dar. Sie hatte dafür gesorgt, dass für Georg immer ein behaglicher Rückzugsort existierte – wie praktisch! Sie musste sich zwar selbst auch nicht rechtfertigen was sie mit ihrem Leben anfing, es interessierte aber auch niemanden.

      Damals hatte Lotte begonnen, sich innerlich von Georg und dem Traum, mit ihm alt zu werden, zu lösen. Es schmerzte, aber sie musste unbedingt ihre Selbstachtung wiederfinden und ein eigenständiges Leben vorbereiten. Es war kräfteraubend gewesen, sich wieder persönlichen Interessen zu widmen und Freundschaften aufzubauen, die ihr nach einer Trennung von ihrem Ehemann Halt geben sollten. Es war nicht einfach, sich selbst wieder Beachtung zu schenken, das erste Mal nach so vielen Jahren herauszufinden, wer sie wirklich war und wofür sie eintrat. Sie ging auf Vernissagen, ins Fitnessstudio, allein ins Kino oder Theater und sogar ins Restaurant. Anfangs kostete es sie viel Mut, als Frau alleine unterwegs zu sein, nicht etwa aus Angst, dass ihr etwas geschehen würde, nein, aus Sorge vor den mitleidigen Blicken anderer Leute, die vielleicht dachten, sie hätte niemanden, mit dem sie ihr Leben teilen konnte. Aber so war es ja auch. Lotte lernte erst nach und nach, sich selbst genug zu sein und wieder wichtig zu nehmen. Sie wurde selbstbewusst und geschickt im Umgang damit, alleine Spaß zu haben und Freude zu empfinden.

      Damals hatte sie noch nicht ganz realisiert, dass auch Lisa gerade dabei war, die Weichen für ihr späteres Leben zu stellen. So hatte Lotte auch nicht bedacht, dass ihr schon bald ein Dasein nicht nur ohne Ehemann, sondern gänzlich ohne Familie, bevorstand. Das Haus voller Enkel, das sie sich immer erträumt hatte, würde am anderen Ende der Welt stehen. Für Lotte mit ihrer Flugangst unerreichbar weit entfernt.

      Als Lisa damals von Australien zurückkam, war sie wild entschlossen, ebendort ein gemeinsames Leben mit ihrem Jim aufzubauen. Sie absolvierte in Windeseile den Rest ihrer Ausbildung und bereitete alles vor. Lotte konnte es nicht verhindern, wollte ihr allerdings auch gar keine Steine in den Weg legen. Sie hatte ja gerade selbst ihr eigenes Leben neu geregelt. Obwohl sie sich von Georg getrennt und eine kleine Wohnung bezogen hatte, fühlte es sich trotzdem so an, als wäre sie verlassen worden. Sie war das erste Mal seit einer Ewigkeit auf sich allein gestellt. So behaglich sie ihr neues kleines Heim auch eingerichtet hatte, es fehlte das Leben in ihm, denn Lisa blieb aus Platzgründen bei Georg. Lotte hätte sie schon sehr gerne um sich