Lottes bunter Lebensherbst. Gabi Ebermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabi Ebermann
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347093829
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seines Geschwisterchens verweigert? Allein schon dieser Gedanke ließ kein „Nein“ gegenüber dem neuen Erdenbürger zu. Das Leben ist eben nun einmal kein Kinderspiel und sie machten sich vielleicht einfach nur zu viele Gedanken. Es würde sich schon alles fügen. Sie hatten A gesagt, jetzt mussten sie wohl auch B sagen.

      Es waren längst noch nicht alle Zweifel aus ihren Köpfen beseitigt, doch im Moment fühlte es sich so an, als könnten sie es mit vereinten Kräften ein zweites Mal schaffen. Sie hatten sich schon vor Alexander viele Gedanken darüber gemacht, wie es sein würde, ein Kind in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft großzuziehen.

      Sie wollten sich nicht verstecken und es war ihnen klar, dass es da und dort zu Anfeindungen kommen würde. Ihre Liebe und Fürsorge für das Kind mussten so stark sein, dass jegliche Hänselei an ihm abprallen würde. Miki und Tom waren sich im Klaren darüber, dass es sich dabei um keine einfache Aufgabe handelte. Sie waren aber auch klug genug, zu wissen, dass es tausend weitere Gründe gab, die für andere Anlass genug sein konnten, jemanden auszugrenzen. Ein ärmliches Elternhaus, rote Haare, Übergewicht, oder gar nur eine Brille auf der sommersprossigen Nase. Wer nicht cool war, wurde gemobbt, das war schon immer so. Alexander würde cooler als cool sein, das mussten sie einfach hinbekommen. Seine gewinnende Art würde alle über den „Makel“ seiner Eltern hinwegsehen lassen.

      Ein Vorgeschmack auf derartige Anfeindungen bekamen sie damals gleich beim Erstkontakt mit Alexander zu spüren. Die Krisenpflegemutter, in deren Obhut sich der Kleine vorübergehend befunden hatte, war nicht gerade entzückt, ihren Schützling zwei Schwulen überlassen zu müssen und machte auch keinerlei Hehl daraus. Sie war schon jahrzehntelang Mama auf Zeit und kämpfte für die ihr anvertrauten Kleinen wie eine Löwin. Zwei Väter bedeuteten absolutes Neuland für sie und ihr Misstrauen war dementsprechend groß. So etwas kam in ihrer Vorstellung für eine gute Kinderstube einfach nicht vor. Als waschechte Wienerin polterte sie geradeaus heraus, was sie von dieser Sache hielt, nämlich gar nichts. Ein absolutes „No-Go“.

      Wie so viele andere auch war sie von den beiden aber im Eiltempo eingenommen worden. Nachdem sie Miki und Tom näher kennengelernt und das liebevoll eingerichtete Kinderzimmer gesehen hatte, schmolzen ihre Bedenken in Windeseile dahin. Es konnte sich selten jemand dem Charme der beiden entziehen. Die Warmherzigkeit, die Miki und Tom ausstrahlten, wirkte wie ein knisterndes Feuer, das sich rasend schnell ausbreitete. Sie waren liebenswürdig und unkompliziert. Der zärtliche Umgang mit dem Kleinen und die gerührten Blicke, mit denen die zukünftigen Papis ihn betrachteten, taten ihr Übriges. Miki und Tom waren so begeistert und beherzt bei der Sache, dass die Krisenpflegemutter binnen kürzester Zeit davon überzeugt wurde, dass diese kleine Gemeinschaft eine absolute Chance verdient hatte.

      4

      Lotte erzählte ihren Freunden im Seniorenheim beim Frühstück von den Neuigkeiten rund um Miki und Tom. Sie waren längst wieder ein vierblättriges Kleeblatt und eine eingeschworene Gemeinschaft: sie selbst, Hilde, Hans und Sophie.

      In der Zeit, in der Lotte in Australien weilte, war Johannas Platz am Tisch mit Sophie nachbesetzt worden. Gott hab sie selig, ihre liebe Freundin Johanna!

      Sie hatten damals freilich keinen einfachen Start. Hans und Hilde dachten gar nicht daran, die Neue an ihrer Freundschaft teilhaben zu lassen. Sie murrten, als sich Sophie auf Lottes Stuhl setzen wollte. Eigentlich wollten sie auch Johannas Platz nicht hergeben, aber die war schließlich tot und nur mehr in ihren Herzen vorhanden. Als sich Sophie endlich niedergelassen hatte, würdigten sie sie keines Blickes mehr. Sie verhielten sich demonstrativ abweisend, jeden noch so zaghaften Versuch der Neuen, etwas zur Kommunikation beizutragen, ignorierten sie ganz einfach. Schließlich waren sie das ihrer alten Freundin schuldig! Niemand konnte Johanna so einfach ersetzen. Sie fehlte ihnen immer noch sehr.

      Das ging tagelang so, bis Sophie beim Frühstück einmal verkündete, sie müsste sich endlich mit ein paar vernünftigen Menschen im Heim anfreunden, denn das hier war ja nicht mehr auszuhalten. Sie hatte es satt, täglich gegen die Bastion dieser eingeschworenen Gemeinschaft ankämpfen zu müssen. Das war ja lächerlich.

      „Ich gehe jetzt in den Park“, murrte sie vor sich hin, „dort ist es wenigstens bunt und friedlich“.

      Hilde horchte auf. Wer ihr farbenfrohes „Urban Knitting“ wohlwollend erwähnte, hatte sofort einen Stein im Brett bei ihr. Hilde war nach wie vor unermüdlich bemüht, den Garten mit ihren bunten Strickwerken aufzufrischen. Und Hans, der größte Bewunderer an ihrer Seite, unterstützte sie stets bei diesem Projekt. Es machte sie ausgeglichen und glücklich.

      Sophie konnte nicht ahnen, dass sie damit mitten ins Schwarze getroffen und damit unbewusst die Aufnahme in den Freundschaftsbund geschafft hatte.

      Lotte mochte Sophie sofort, einen lebensbejahenden Menschen mit rabenschwarzem Humor. Ihre Art, sich über die unabdingbaren Unannehmlichkeiten, die das Leben im Alter manchmal so mit sich brachten, ihre Witze zu reißen, war einfach großartig. Sie hielt sich erst gar nicht mit Diplomatie auf. Man konnte ihre Direktheit mögen, oder eben nicht. Sophie war das ausnahmslos egal. Wer ihren feinherben Umgang nicht vertrug, konnte ihr gestohlen bleiben. Hinter ihrer rauen Schale fand man jedoch eine feinfühlige, großherzige Person. Hilde, Hans und Lotte hatten das große Glück, diese Seite kennenlernen zu dürfen.

      Man konnte über sie denken, was man wollte, Sophie legte es nicht darauf an, anderen zu gefallen.

      Sie hatte für die meisten Alten Spitznamen kreiert. „Dreikäsehoch“ für die ehemalige Volksschuldirektorin, die so klein war, dass sie kaum über den Tellerrand hinaussah und in ihrer aktiven Zeit sicher von so manchem Schüler überragt wurde. „Rolli“ für den alten Major, der zur Begrüßung immer noch salutierte, wegen seiner Vorliebe für Rollkragenpullover, die er sogar im Sommer trug. Oder die „Schottin“, die immer erzählte, wo es dies oder das am günstigsten zu kaufen gab und was sie sich nicht alles erspart hatte durch ihre Umsicht. Das waren noch die netteren Bezeichnungen. „Kerzlschlucker“ für den ehemaligen Diakon, „Pillendreherin“ für die alte Apothekerin, „Stubenhocker“ für den introvertierten Karl und „Schneckenvolk“ für die, die mit dem Rollator unterwegs waren. Außerdem gab es noch „Spielverderber“, „Griesgram“, „Schwachomat“ oder Zwiderwurzn“. Ihr Einfallsreichtum war diesbezüglich unerschöpflich.

      Lotte ertappte sich das eine oder andere Mal dabei, diese Bezeichnungen wie selbstverständlich zu übernehmen.

      Sophie selbst war auch kein bisschen unauffällig. Sie trug gerne bunte Kleidung mit farblich abgestimmtem Haarband und war stets von einem zarten Klirren umgeben, das die vielen Armbänder, die sie immer allesamt auf einmal trug, von sich gaben. Sie war elegant, eine strahlende Erscheinung. Sophie sah man nie ungeschminkt, sie war eine echte Lady. Lotte hätte sie gerne einmal gleich nach dem Aufstehen gesehen, aber vermutlich stieg sie schon wie aus dem Ei gepellt aus dem Bett.

      Sophie lachte gerne und wusste, andere mit ihren sprühenden Geschichten von früher zu amüsieren. Wo immer sie auftauchte hob sich die Stimmung, solche Menschen waren Goldes wert. Lottes „Clique“ hatte großes Glück, so einen Ersatz für Johanna erhalten zu haben.

      Sophie war viele Jahrzehnte lang in einer Innenstadtboutique tätig gewesen und kannte nahezu die ganze Prominenz Wiens. Sie hatte immer zuvorkommend sein müssen. Lächeln und mit ihrer Meinung hinter dem Berg halten, so lautete die Devise. Gnä‘ Frau hin, gnä‘ Frau her. Sie hatte sich geschworen, auf ihre alten Tage nicht mehr auf Befehl zu lächeln. An ihr war rein gar nichts aufgesetzt oder unaufrichtig. Lotte vermutete zwar, dass ihre Erzählungen im Laufe der Jahre die eine oder andere Facette dazugewonnen hatten, aber diese kleinen Übertreibungen waren auch zu lustig. Darüber hinaus konnte einem manchmal schier die Spucke wegbleiben, bei dem, was ihr so alles herausrausrutschte. Es machte oft einen Heidenspaß, wenn sie die Leute mit ihrer unverblümten Art kompromittierte. Sie sagte dann, das sei das Recht der Alten, sie dürften wieder wie kleine Kinder naiv und ungeschönt ihre Meinung sagen. Es war ein Spiel für sie.

      Bei Lotte hatte es nur weniger Stunden bedurft, um Sophie zu durchschauen und zu mögen. Hans und Hilde hatten aber in ihrer Abwesenheit auch schon ganze Vorarbeit geleistet, Sophie auf Herz und Hirn geprüft und für würdig befunden, in ihrem Bunde aufgenommen zu werden.