Ostfriesen morden anders. Peter Gerdes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Gerdes
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839264607
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nichts.

      Immo schien einer von denen zu sein. Jedenfalls stand sein Mund immer noch offen.

      Tomke blieb direkt vor ihm stehen, die Arme in die Seiten gestemmt, und strahlte ihn an. Die übrigen Passagiere mussten sich hinter ihr vorbeizwängen. Ein breiter Klotz mit weißblonder Stoppelfrisur glotzte sie vorwurfsvoll an. Seine Begleiterin mit dem kecken Pferdeschwanz lachte nur.

      Immo lachte nicht. »Was soll das denn?«, stieß er hervor, kaum dass er seinen Unterkiefer wieder in der Gewalt hatte.

      »Wie, was das soll?« Tomke, die ihre Hände just zur Begrüßungsumarmung erheben wollte, ließ sie wieder sinken.

      »Na das! Das da!« Immos Zeigefinger zielte anklagend auf Tomkes pralle kleine Halbkugel. »Ist das … war das …« Sein Gesicht verzog sich zu einem Ausdruck des Ekels: »Du willst mir doch wohl nicht erzählen, dass ich …«

      Tomke war wie vor den Kopf geschlagen. Mit vielem hatte sie gerechnet, auf manches gehofft. Dies aber hatte nicht auf ihrer Liste gestanden.

      Na ja, vielleicht hatte sie ein bisschen zu lang gezögert. Das war ja überhaupt ihre Art, das Zögerliche, in vielerlei Hinsicht. Den Besuch beim Gynäkologen hatte sie hinausgezögert, obwohl sie natürlich ahnte, warum ihre Regel ausgeblieben war. Den Termin bei der Beratungsstelle hatte sie zweimal verstreichen lassen. Und als es dann für eine Abtreibung endgültig zu spät gewesen war, da war sie richtig erleichtert gewesen.

      Ja, verdammt, sie wollte das Kind. Dieses Kind, das von Immo. Sie wollte es bekommen und haben und großziehen. Mit Immo.

      Nachdem ihr das klar geworden war, hätte sie es Immo wohl gleich sagen sollen. Aber es war nicht so einfach gewesen, sich dazu aufzuraffen, zumal sie schon länger nichts von ihm gehört hatte. Genau genommen seit dem Ende dieses gastronomischen Fortbildungslehrgangs in Cuxhaven nicht. Ein paar flotte Nächte, ein paar schnelle Schwüre – rückwirkend betrachtet, nahm sich die Sache mit Immo wie ein flüchtiges Abenteuer aus. Das war es natürlich nicht. Nicht mehr, denn ein Kind änderte ja alles.

      Am besten, hatte sie sich irgendwann gedacht, fahre ich einfach zu ihm hin. Nach Helgoland, wo er lebt und arbeitet und seine Wurzeln hat. Dann wird er ja sehen, dann wird er sich freuen, hoffentlich, dann wird alles gut werden.

      Tja, und da stand sie nun.

      »Natürlich will ich das!« Tomke konnte nicht verhindern, dass sie laut wurde. »Was denkst du denn, von wem sonst! Wofür hältst du mich?«

      Jetzt endlich begann Immo zu lächeln. Aber was sein markantes Gesicht da in die Breite zog, war nicht das glückliche Lächeln eines werdenden Vaters. Vielmehr war es eine gehässige Antwort auf ihre Frage. Ja, wofür hielt er sie wohl? Für ein neunzehnjähriges Hotelflittchen, dessen Tür leicht zu öffnen und deren Bett leicht zu entern war. Und das wohl Spaß machen durfte, so für ein Weilchen, aber mit Sicherheit keine Probleme, oh nein.

      Helgoland, dachte sie, ein harter Felsen im kalten Meer. Was hab ich mir bloß gedacht? Ihr fiel wieder ein, was sie in der Schule über die Engländer gehört hatte, die diese Insel nach dem Zweiten Weltkrieg hatten auslöschen wollen. Sie nannten sie »Hell-go-land«, das Land, das zur Hölle geht.

      Plötzlich waren Immos Hände doch auf ihren Schultern, ihren Armen, sein Gesicht war ganz nah, das gehässige Lächeln wie weggewischt. »Mensch, Mädchen, was denkst du dir denn«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Das ist jetzt alles anders bei mir! Ich bin jetzt Hotelier, weißt du, nicht mehr bloß Angestellter, ich leite das Haus Hallund, das mir mein Onkel vererbt hat! Ich bin jetzt zweiter Vorsitzender vom Museumsverein, und die Börteboot-Touren rüber zur Düne, die mache ich auch. Verstehst du?«

      Sie schaute hoch, ihm ins Gesicht, erkannte ihn kaum, vielleicht wegen des Tränenschleiers. Was wollte er ihr sagen? Wohl, dass er jetzt jemand war. Und sie und ihr Kind, waren sie denn niemand?

      »Und außerdem«, flüsterte er weiter, noch leiser und intensiver und drängender, »bin ich ja nicht mehr ungebunden. Ich bin verheiratet, verstehst du? Mit Annegret. Und da kann ich doch nicht einfach ankommen mit … mit … du weißt schon.«

      Sie spürte seinen vorwurfsvollen Zeigefinger an ihrem Bauch. Das Ungeborene bewegte sich zuckend. Auch Tomke zuckte zusammen. »Verheiratet?«, fragte sich heiser. »Was denn, so plötzlich? Davon hast du doch gar nichts … Wann war das denn?«

      Er wand sich, sein Blick schweifte hin und her, seine kräftigen Hände kneteten ihre Oberarme, dass es schmerzte. »Letzten Februar«, erwiderte er dann. »Solche Sachen machen wir hier immer außerhalb der Saison.«

      »Im Februar?« Jetzt war sie froh über den derben Griff seiner Hände, denn für einen Moment schien sich alles um sie zu drehen. »Im Februar? Der Lehrgang war doch im März! Dann warst du also schon verheiratet, als wir …«

      Jetzt war Oktober.

      Er zuckte die Achseln. »Ach, du weißt doch, wie das ist. So ein Lehrgang, das ist doch nichts, das ist doch off limits! Zählt nicht, quasi.« Er fixierte sie mit seinen blauen Augen. »Das war doch klar, oder? Dachte ich.«

      Wie kalt sein Blick auf einmal ist, dachte sie. Fröstelnd schüttelte sie seine Hände ab. »Zählt nichts, ja?«, erwiderte sie scharf. »Dachtest du, ja? Und was ist hiermit? Zählt das auch nichts?« Sie streckte ihren Babybauch noch weiter vor.

      Wieder dieses Achselzucken. »Dein Problem. Ich dachte, du nimmst die Pille. Ist doch normal.« Er kratzte sich hinterm Ohr. »Kann man das nicht noch wegmachen lassen?«

      Ihr war, als hätte sie diese Frage bereits Sekundenbruchteile früher gehört, als er sie ausgesprochen hatte. So klar war ihr auf einmal, wie dieser Typ tickte. Und dass sie niemals auf ihn würde bauen können. Aus, dachte sie, bloß weg. Fort mit Schaden. Oder vielmehr: Den Schaden, den wird er haben. Denn das wird ihn etwas kosten.

      Wortlos drehte sie sich weg, ganz ruhig ging sie davon. Aber nicht zurück aufs Schiff, auf die Funny Girl, die sie hergebracht hatte. Sondern Richtung Unterland, dorthin, wo es Hotels gab. So schnell wollte sie das Feld hier nicht räumen.

      Die Frau mit der rotblonden Mähne, die im Schatten einer der bunten Hummerbuden stand, Füße auf Schulterbreite, Fäuste in die Hüften gestemmt, die Augen weit aufgerissen, und zu ihnen herüberstarrte, bemerkte sie nicht.

      *

      »Da runter?« Stahnke wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Diese steile Stiege? Nur, damit wir an diesen Steinbrockenstrand kommen? Nachdem wir vorhin erst mühsam die tausend Stufen vom Unter- zum Oberland hochgekraxelt sind?«

      Sina lachte spöttisch. »184 Stufen waren es bloß! Und ich fand’s überhaupt nicht mühsam.« Leichtfüßig begann sie die schmalen Stufen am Steilufer hinunterzuhüpfen. Ihr rötlichbrauner Pferdeschwanz hüpfte keck mit.

      Hauptkommissar Stahnke stöhnte und rieb sich die Handflächen an seinen weißblonden Stoppelhaaren trocken. Für hochgebirgsartige Kletteraktionen war er eindeutig zu schwer gebaut, fand er. Auch wenn dieses Gebirge aus Buntsandstein nur gut einundsechzig Meter hoch war und sich auf hoher See, also in Stahnkes angestammten Revier, befand.

      »Vorsicht, Sina, nicht so schnell«, rief er. »Sonst brichst du dir noch den Hals!«

      Sie lachte nur, sprang weiter von Stufe zu Stufe und winkte ihm dabei zu. Es sah aus, als halte sie sich für eine Möwe und wollte jeden Moment abheben. Stahnke keuchte und klammerte sich mit doppelter Kraft ans Geländer.

      Über Nacht hatte der Wind deutlich aufgefrischt; das hatten sie beim Spaziergang übers menschenleere Oberland zu spüren bekommen. Eine besonders starke Böe hatte Sina tatsächlich von den Füßen gerissen. Stahnke hatte noch mit ihr gesprochen und erst mit Verspätung bemerkt, dass sie schon über die Wiese kugelte. Statt über sich selbst lachte Sina dann über ihn.

      Tja, auch eine Form von partnerschaftlicher Unterstützung.

      Stahnke war erst am vorletzten Treppenabsatz, als Sina schon den Strand erreicht hatte. Übermütig sprang sie zwischen Sandsteintrümmern herum, schlug dabei die Richtung ein, aus der sie gekommen waren, statt sich wenigstens