Ostfriesen morden anders. Peter Gerdes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Gerdes
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839264607
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die deiner Mutter übrigens sehr ähnlich sah. Was sollte ich denn machen!«

      Evelyn blieb ganz ruhig; darüber staunte sie selber. Was ihr Vater hätte machen sollen? Eine unglaubliche Frage! Treu bleiben, gefälligst. Sich seiner erstgeborenen Tochter zuwenden. Ihr das Vertrauen schenken, das sie verdiente, und sie zu seiner Nachfolgerin aufbauen, statt in der Gegend herumzuvögeln und darauf zu hoffen, einen männlichen Nachfolger zu zeugen, der genauso klotzköpfig war wie er. Aber auf den Gedanken, dass ein Mädchen in der Lage sein könnte, eine Firma zu leiten, war er natürlich nie gekommen!

      »Natürlich bin ich auch auf den Gedanken gekommen, dir die Leitung meiner Firma anzuvertrauen«, krächzte der alte Mann. »Warum sollte ein Mädchen dazu nicht in der Lage sein? Aber dann hast du ja fluchtartig das Nest verlassen. Tja, und nachdem du deinen eigenen Laden in den Sand gesetzt hattest, war mir klar, dass es wohl besser so war. Auch mit Eva habe ich es dann gar nicht erst nicht versucht. Sie weiß ja bis heute nicht, wer ihr Vater ist und wer ihr das Studium bezahlt hat.«

      Immer noch blieb Evelyn ganz ruhig; das konnte sie quasi sehen, weil sie inzwischen neben sich stand, innerlich schäumend vor Wut. Wie sie diesen verfluchten Kerl hasste! Aber was hätte es für einen Sinn, jetzt noch die ungekämpften Kämpfe vergangener Zeiten auszufechten? Das brachte ja doch nichts mehr. Wichtig war jetzt nur noch eins.

      »Diese … Eva«, presste sie zwischen den Zähnen hervor. »Die hast du doch wohl nicht in deinem Testament bedacht, oder?«

      »Aber natürlich«, sagte Bertram Wattjes. »Sie ist doch meine leibliche Tochter, genau wie du. Jede von euch bekommt die Hälfte, wenn ich mal nicht mehr bin. Mach dir keine Sorgen, es ist genug da, das reicht für euch beide.«

      Evelyn nickte, und sie brachte sogar ein Lächeln zustande, ehe sie das Zimmer verließ. Ein gequältes Lächeln. In ihrem Kopf schrillten Alarmglocken. Natürlich hatte sie jede Gelegenheit genutzt, sich einen Überblick über die Finanzen ihres Vaters zu verschaffen. Die Gesamtsumme war beachtlich, aber auch nicht astronomisch. Sie würde durchaus reichen, um all ihre Schulden zu tilgen und ihr außerdem noch ein angenehmes Leben zu gewährleisten. Wohlgemerkt, die volle Summe. Mit der Hälfte konnte sie gerade eben ihre Verbindlichkeiten begleichen, dann müsste sie wieder arbeiten gehen. So aber hatte sie sich das nicht vorgestellt.

      Außerdem kosteten Villa und Pflegedienst eine Menge Geld, was von den geringen Zinserträgen nicht aufgefangen wurde. Mit jedem Monat, der verging, schmolz Vaters Vermögen ein wenig zusammen. Und auf das, was blieb, wartete nicht nur sie, Evelyn. Sondern auch Eva, ihr Ebenbild. Mit der sie schwesterlich würde teilen müssen.

      Nein, verdammt! Das durfte nicht geschehen.

      Das würde auch nicht geschehen. Die demütigenden Jahre auf den Knien hinterm Putzeimer und an der ewig piepsenden Scanner-Kasse hatten sie hart gemacht. Sie wusste genau, was sie wollte, und war bereit, alles dafür zu tun.

      Sie begann damit, mehr über diese Eva herauszubekommen. Nach Feierabend folgte sie ihr mit Vaters Mercedes. Ihre Halbschwester wohnte in einem schmucken Häuschen unweit des Flusses Leda, und zwar nicht allein. Anders als Evelyn schien sie Glück bei der Partnersuche gehabt zu haben. Auf dem Türschild standen die Namen Eva Blohm und Dr. Michael Blohm. Aha, der Mann war Doktor! Evelyns Neid nahm zu und fachte ihre Wut weiter an.

      Kinder hatten die beiden nicht. Ihre Arbeitstage planten sie sehr eigenständig; jeder hatte sein eigenes Auto, bei gutem Wetter fuhren sie Fahrrad. In Sachen Freizeitsport gingen sie getrennte Wege; während er – ganz das Klischee – Tennis spielte und ins Fitnessstudio ging, bevorzugte sie Wassersport, was Aufkleber von Ruder- und Segelklub an ihrem Auto und ein Paddelboot neben der Garage bekundeten.

      Ausgezeichnet, dachte Evelyn und begann Pläne zu schmieden.

      Zuerst wandte sie sich Evas Auto zu. Während deren Ehemann einen großen Geländewagen besaß, fuhr sie einen filigranen englischen Sportwagen-Klassiker. Ihre Stiefschwester, stellte Evelyn fest, fuhr einen heißen Reifen; oft genug bremste sie erst im letzten Augenblick. Was, wenn die Bremsen einmal überraschend versagten? Airbags hatte der kleine Klassiker keine – er besaß noch nicht einmal eine Knautschzone, als Fahrerin saß man direkt hinter dünnem Türblech und mit dem Hintern fast auf der Straße.

      Die Bremsleitungen zu kappen, erschien Evelyn ein Leichtes; schließlich hatte sie viele Jahre lang mit den ältesten gebrauchten Gurken Vorlieb nehmen müssen und die ständig notwendigen Reparaturen meist selbst vorgenommen. Bei Dunkelheit und ohne Taschenlampe unter einem fremden Wagen sah das allerdings etwas anders aus. Evelyn musste wohl statt der Brems- die Kühlwasserleitung erwischt haben, jedenfalls bekam sie am nächsten Tag mit, wie Evas Wagen abgeschleppt wurde – mit heiß gelaufenem Motor, aber ansonsten unversehrt.

      Mist, dachte Evelyn. Sie hatte sich schon gewundert, dass Bremsflüssigkeit so dünnflüssig war.

      Die nächste Attacke startete sie auf Evas Kajak. Mit einem Handbohrer perforierte sie den Bootsboden gleich an mehreren schwer zugänglichen Stellen und verschloss die Löcher mit wasserlöslichem Kleber, wie Kindergärten ihn verwendeten. Es klappte wie geplant; die Bohrungen blieben unentdeckt, der Kleber löste sich bei der nächsten Leda-Tour, und Evas Boot lief voll Wasser. Nicht einkalkuliert freilich hatte Evelyn, dass das Kajak über Auftriebskörper verfügte und Eva über eine Schwimmweste. So rettete sie sich nass, aber ansonsten unbeschadet ans Ufer. Evelyn konnte von Glück reden, dass das lecke Paddelboot anschließend von der starken Strömung bis in die Ems getrieben wurde, wo es ins Saugrohr eines Baggerschiffs geriet und geschreddert wurde. Bei einer Untersuchung des Vorfalls wäre sonst womöglich etwas aufgefallen.

      Evelyn ließ sich nicht entmutigen. Als Nächstes sabotierte sie den Elektro-Rasenmäher ihrer Halbschwester; das Einzige, was sie damit erreichte, war jedoch, dass die Wicklung des Motors durchschmorte und Eva Ärger mit der Versicherung bekam, die den Schaden nicht ersetzen wollte.

      Auch der Versuch, Evas kleine Segelyacht im Leeraner Hafen mit Hilfe bordeigenenen Propangasflasche und eines Reibezünders an der Tür zur Kajüte in eine Bombe zu verwandeln, schlug fehl. Evelyn übersah, dass die Bootskajüte über eine Zwangsentlüftung verfügte, und als sich die Stegnachbarn über den bedenklichen Geruch beschwerten und Eva nachschauen kam, lag die Gas-Konzentration längst unterhalb der kritischen Schwelle.

      Evelyn wurde immer ärgerlicher, vor allem, weil ihr mittlerweile die Ideen ausgingen. Was sollte sie denn noch alles anstellen, um diese unerwünschte Person von dieser Welt in die nächste zu befördern? Einen Killer engagieren? Oder sich selbst eine Waffe besorgen?

      Eine Sekunde lang blieb ihr der Mund offen stehen, dann schlug sie sich mit der flachen Hand an die Stirn. Was hieß hier besorgen! Hatte ihr Vater nicht einen ganzen Schrank voller Waffen im kleinen Salon stehen? Er war immer schon ein passionierter Jäger gewesen, und mit zunehmendem Reichtum hatte er seine Sammlung erweitert. Evelyn verstand zwar nicht allzu viel von Schusswaffen, aber sie wusste, wo Vater seine Schrankschlüssel aufbewahrte. Der Rest würde sich finden.

      Unter dem Vorwand, Vater zu fragen, ob er einen Tee wünschte, betrat sie sein Krankenzimmer. Ihr Vater schlief; so zog sie nur die Vorhänge zu, öffnete leise die oberste Schublade der Kommode gleich neben dem Fenster und nahm das Schlüsselbund an sich. Schon war sie wieder auf den Flur hinaus gehuscht.

      Der Waffenschrank enthielt mehrere Jagdgewehre, die viel schwerer waren, als Evelyn erwartet hatte. Bestimmt waren sie auch entsprechend laut, überlegte sie; wie sollte sie denn damit ihrer Stiefschwester das Lebenslicht auspusten, ohne halb Leer auf sich aufmerksam zu machen? Zum Glück waren auch zwei Pistolen da und ein kurzläufiger Revolver. Zu dem fasste sie sogleich Vertrauen. Seine stupsnasige Öffnung war ausreichend groß, und mochte er auch ebenfalls recht laut sein, so konnte man ihn doch in geschlossenen Räumen verwenden. Genau das hatte sie vor.

      Vorher aber war es notwendig, sich ein wenig mit der Funktionsweise dieser Waffe vertraut zu machen. Und das sollte sie vielleicht nicht tun, ohne gewisse Vorkehrungen zu treffen. Zum Beispiel auch im Salon die Vorhänge zuzuziehen. Sie erhob sich und trat ans Fenster.

      Sie erstarrte, eine Hand in den Vorhangstoff gekrallt. Dieses Auto dort draußen, gleich neben dem Rollcontainer, hatte sie vorhin schon gesehen, aus