Ich halte mich derzeit in Harrisburg auf und würde mich gern mit Ihnen treffen, um persönlich darüber zu sprechen. Meine Handynummer finden Sie unten. Bitte rufen Sie mich sobald wie möglich an. Es handelt sich um eine eilige Angelegenheit.
Cris las die Nachricht drei Mal, ohne sie gänzlich zu verstehen. Ein FBI-Agent – einer, den Cris nicht kannte – untersuchte immer noch die Vorgänge der Verbrecherfamilie, gegen die sein Vater sich vor über einem Jahrzehnt auszusagen geweigert hatte, und er wollte mit Cris über etwas Privates sprechen. Das ergab überhaupt keinen Sinn, besonders der Teil, dass Roberto Booker direkt kontaktiert haben sollte.
Mein Vater will mit mir reden.
Das war der einzige Schluss, der Sinn ergab. Sein Vater hatte es schon einmal versucht – über seine Tante –, nachdem seine Schwester Grace gestorben war.
Cris hatte sich geweigert und dann war er verschwunden, ohne eine neue Adresse zu hinterlassen. Seitdem hatte er nicht mehr mit seiner Tante geredet, schon gar nicht, um ihr zu verraten, dass er seinen Namen geändert hatte und inzwischen seine eigene Programmierfirma besaß. Cris wusste nicht, wie der Agent ihn aufgespürt hatte, und es war ihm auch egal.
Booker konnte unmöglich wissen, wo Cris inzwischen wohnte. Möglicherweise hatte er seine alte Wohnung gefunden, aber Cris war noch nicht bei der Post gewesen, um einen Nachsendeantrag zu stellen, und das war ein Segen. Vielleicht konnte er den Typen blockieren, jeden Kontakt verweigern und hoffen, dass er ihn in Frieden ließ. Aber zuerst musste er herausfinden, ob dieser Agent echt war.
Cris machte seine Bürotür zu und schloss ab. Das Herz sprang ihm beinahe aus der Brust, als er seinen FBI-Kontakt Agent Strahm anrief.
Strahm meldete sich nach dem vierten Klingeln. »Hier ist Arrow.«
Ihr Code. »Hier ist Bullseye. Ich muss Sie um einen Gefallen bitten.«
»Oh, das ist das erste Mal. Was für ein Gefallen?«
»Nur eine Information. Haben Sie irgendjemandem persönliche Informationen über mich weitergereicht?«
»Natürlich nicht.« Strahm schnaufte. »Ich habe Ihnen Anonymität zugesichert. Glauben Sie mir, ich weiß, wie wichtig es ist, sich von den Kriminellen in seinem Leben zu distanzieren. Worum geht es?«
»Ein anderer Agent Ihres Büros hat mich aufgespürt. Ich weiß nicht, wie, aber es hat geklappt und er will mit mir über etwas Privates reden und ich muss wissen, ob es sich bei ihm um eine reale Person handelt oder nur um jemanden, der nur behauptet, für die Strafverfolgung zu arbeiten.« Cris hoffte, dass Strahm seinen Endlossatz verstanden hatte. Er geriet nicht oft aus dem Gleichgewicht, aber wenn er es tat, neigte er zum Plappern.
»Wie lautet der Name des Agenten?«
»Dwayne Booker.«
Strahm stieß einen leisen Pfiff aus. »Ich kenne ihn. Absolut geradlinig, ein guter Mann. Aber ich habe nichts läuten hören, dass es im Fall Ihres alten Herrn zu neuen Entwicklungen gekommen wäre. Daher habe ich keine Ahnung, warum er sich mit Ihnen treffen will.«
»Es hat etwas mit meinem Vater zu tun, aber ich will nichts mit ihm zu schaffen haben.«
»Hören Sie, ich forsche mal nach und sehe zu, ob ich etwas herausbekommen kann. Halten Sie sich an einem sicheren Ort auf?«
»Ja. Im Augenblick hat er keinerlei Möglichkeit rauszufinden, wo ich wohne.«
»Dann verhalten Sie sich ruhig. Ich prüfe, was los ist, und rufe Sie an.«
»Danke.«
»Passen Sie auf sich auf, Kleiner.«
Cris schnaubte, nachdem er aufgelegt hatte. Er war seit langer Zeit kein Kleiner mehr. Auch wusste er nicht, warum Agent Strahm während des Durcheinanders der Verhaftung und Verurteilung seines Vaters einen Narren an ihm gefressen hatte. Oder warum er weiterhin mit ihm in Verbindung blieb. Irgendetwas sagte Cris, dass er eine interessante Hintergrundgeschichte besaß.
Also sah alles danach aus, als ob dieser Agent Booker echt sei, aber das war für Cris nicht weiter wichtig. Er wollte keinen Kontakt zu seinem Vater. Jede Reaktion auf die E-Mail würde beweisen, dass Cris sie auch nur gelesen hatte, und er wollte nichts mit Booker zu tun haben. Er bewegte den Cursor zum Löschen-Button und verharrte dort. Unsicher.
Jemand klopfte. Cris' Finger zuckte und traf. Er konnte die Mail jederzeit aus dem Mülleimer holen, aber sein Herz raste zu sehr, als dass er sich darum geschert hätte. »Ja?«
»Ich bin's, Charles. Alles in Ordnung? Normalerweise schließt du nicht die Tür.«
»Ja, tut mir leid.« Er schoss zur Schlafzimmertür und drehte den Schlüssel, um zu öffnen und sich Chets lächelndem Gesicht gegenüberzusehen. »Ich weiß gar nicht, warum ich das gemacht habe. Tut mir leid.« Gott, er hasste es, Chet anzulügen.
»Schon gut. Du bist hier nur schon eine ganze Weile drin und ich wollte fragen, ob dir nach Mittagessen ist.«
Cris warf einen Blick auf die Wanduhr. Fast Mittag. Die verdammte Nachricht hatte ihn fast eine Stunde gekostet. Gott, er musste sich zusammenreißen.
»Sicher, dass alles okay ist, Schatz?«, fragte Chet. »Du wirkst angespannt.«
Verzweifelt auf Ablenkung aus schlang Cris die Arme um Chets Taille und zog ihn fest an sich. Brust an Brust, Unterleib an Unterleib. Chet legte die Hände auf Cris' Schultern, sein Lächeln wirkte eher neugierig als besorgt. »Nur ein bisschen in meinem momentanen Projekt versackt.« Das kam der Wahrheit nah genug, auch wenn es sich nicht um ein Arbeitsprojekt handelte.
»Das ist verständlich. Ohne das Thema wechseln zu wollen: Hat Jake dir schon geschrieben?«
»Nein.« Normalerweise schlief er nicht so lange. »Sollten wir ihn anrufen?«
Chet schüttelte den Kopf. »Ich finde, wir sollten ihm mehr Zeit lassen. Wir sind nicht seine Eltern. Es ist nicht unsere Aufgabe, jeden seiner Schritte zu überwachen.«
Cris verabscheute es irgendwie, wie vernünftig Chet klang. »Ich weiß, aber normalerweise hat er sich um diese Zeit schon gemeldet und ich bin vermutlich überfürsorglich und irrational, aber du hast ihn an diesem ersten Tag nicht gesehen.« An dem Tag, an dem Benny Cris' Hilfe für einen zutiefst depressiven Jake eingefordert hatte. »Er war wie ein Zombie. Hat überhaupt nicht reagiert. Ich hatte solche Angst und ich möchte ihn nie wieder so sehen müssen.«
»Ich weiß, Schatz, das tue ich wirklich. Soweit ich mich erinnere, hast du dich am nächsten Tag ziemlich schwer auf mich gestützt. Ich habe gesehen, wie viel Angst du um ihn hattest.« Er hinterließ sanfte Küsse auf Cris' Wangen. »An dem Tag habe ich begriffen, wie viel er dir bedeutet. Es ist nur natürlich, sich jetzt Sorgen zu machen.«
»Aber?«
»Kein Aber. Ich will nicht…« Chets Hintern vibrierte. Er griff nach seinem Telefon, dann betrachtete er lächelnd den Bildschirm. »Wo wir vom Teufel sprechen. Er hat verschlafen und ist auf dem Weg hierher.«
Cris drehte Chets Hand, sodass er die Nachricht selbst lesen konnte. Erleichterung erfasste ihn – aber nicht so umfassend, dass sie seine zunehmende Angst wegen Bookers E-Mail mit sich gerissen hätte. »Tja, gut. Ich sollte ihm den Hintern versohlen, dass er mir solche Angst eingejagt hat.«
»Ihm den Hintern versohlen, hm?« Chet drückte seine Schulter. »Ich wusste gar nicht, dass du auf so was stehst.«
»Kommt auf den Mann an.« Cris hätte Chet beinahe erzählt, wie er Jake hatte kommen lassen, indem er ihm gleich vier Finger in den Arsch geschoben hatte, aber die Erinnerung wühlte ihn auf und sie war privater Natur. Falls Jake das Erlebte wiederholen wollte, während Chet zusah, war das eine andere Sache. »Du hast ja deine eigene dominante Ader, die von Zeit zu Zeit durchschimmert.«
Chet leckte sich die Unterlippe. »Ich war nie in dem Sinne Teil der Szene, aber in meiner wilden Jugend habe