Darf eine Mutter neben ihrem Kleinkind noch anderen Interessen nachgehen? Wohl kaum – denn das Kind könnte dadurch Schaden nehmen.
Ideal Nr. 3:
Gute Mütter haben erfolgreiche und gesunde Kinder
„Unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir.“ Das wünschen sich die meisten Eltern. Doch leise schwingt oft auch die Vorstellung mit, dass die Kinder es einmal besser machen sollen. Heute stellt man sehr hohe Anforderungen an das Wunschkind. Schon im Mutterleib untersucht man durch pränatale Diagnostik, ob das werdende Wesen gesund ist. Besteht auch nur der Verdacht einer Behinderung, steht es der Schwangeren frei, das Kind „wegmachen“ zu lassen. Eltern, die ihr behindertes Kind annehmen möchten, stehen zunehmend unter Druck, weil sie der Gesellschaft unnötige Kosten aufbürden. Gute Mütter haben gesunde Kinder.
Darf dann das Kind tatsächlich das Licht der Welt erblicken, beginnt das große Erziehungswerk der Eltern. Schon Kleinkinder sollen fachgerecht und ausgiebig gefördert werden. Und man glaubt es kaum, aber das beginnt bereits mit der Frage, ob ein Kind Windeln tragen soll oder nicht. Ein neuerer Trend bürdet den Müttern auf, immer zu wissen, wann das Kleine mal muss, denn Windeln könnten es einengen. Deshalb wird auf Windeln verzichtet, und man wäscht dem Kind zuliebe die Bettwäsche, den Teppich oder das eigene T-Shirt, wenn – wie zu erwarten ist – das kleine „Geschäft“ danebengeht. Meist ist es eine Frage der Zeit, bis frau zu den Windeln wechselt. Nur leider muss sie deshalb in der Kunst der Erziehung bereits eine erste Niederlage verkraften.
Später werden dann gute Schulleistungen als Tor zu einem erfolgreichen Leben gesehen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat in einer groß angelegten Studie die Lebenssituation der Eltern untersucht. In einer Zusammenfassung schreibt Christine Henry-Huthmacher7 dazu: „Der Druck, schon beim Kleinkind nur keine Chance auszulassen, da sie sonst ihrer heutigen Elternpflicht, das Kind optimal zu fördern, nicht gerecht werden, scheint allgegenwärtig. Dieser Bildungsdruck setzt sich im Grundschulalter fort: Eltern unternehmen enorme Anstrengungen und investieren viel Geld in private Anbieter, damit ihr Kind gute Noten erhält … Damit die Kinder den Anforderungen der Schule gerecht werden können, helfen fast 40 Prozent der Eltern häufig bis regelmäßig bei den täglichen Hausaufgaben.“ Nicht selten übernehmen vor allem die Mütter diesen Job – und damit wird der Erfolg ihrer Kinder zu ihrem eigenen Erfolg.
Doch wird die Mutter, die geduldig zu ihrem auffälligen „ADHS-Kind“ steht, die stundenlang mit ihrem schwach begabten Kind übt, die jahrelang für ihr drogensüchtiges Kind betet, auch in die Liste der Top-Mütter eingetragen werden? Wohl kaum – denn gute Mütter haben erfolgreiche Kinder.
Ideal Nr. 4:
Gute Mütter machen ihre Kinder glücklich
Moderne Kinder müssen so ausgerüstet werden, dass sie sich bestmöglich verwirklichen können. Tag für Tag fährt Mama eine Art inneren Radar aus, um zu ergründen, was das Kind heute alles braucht. Sie ist die Partnerin, die geduldig alles ausdiskutiert, Therapeutin, die feinfühlig auf das empfindliche Seelenleben des Töchterchens eingeht, Spielgefährtin, die es zu kreativem Spiel animiert, Lehrerin, die mit ihm ausdauernd Vokabeln paukt, Chauffeuse, die es zu seinen vielfältigen Freizeitaktivitäten fährt, Modeberaterin, die es mit den begehrten Markenkleidern ausstattet, Troubleshooterin, die alle möglichen Schwierigkeiten aus dem Weg räumt, Bodyguard, der es von den Widrigkeiten des Lebens fernhält, und die Märchenfee, die darauf achtet, dass seine Bedürfnisse möglichst rasch befriedigt werden. Die heutige Kindheit will fachmännisch inszeniert sein. Denn Kinder spielen nicht mehr ganze Nachmittage in Haus und Garten, während Mama die Wäsche bügelt. Und wenn dann die Kinder trotz des mütterlichen Mammuteinsatzes Probleme haben, unglücklich oder unzufrieden sind, tragen die Mütter trotz allem die Schuld – denn gute Mütter machen ihre Kinder glücklich.
Ideal Nr. 5:
Gute Mütter machen keine Fehler
Die moderne Psychologie schildert Kinder oft als sehr verletzliche, hilflose Wesen, deren Entwicklung ganz von der Fürsorge ihrer Mutter abhängig sei. Besonders im zarten Säuglingsalter könne jeder Fehler und jedes negative Gefühl fatale Folgen haben und unheilbare Wunden in die zerbrechliche kindliche Psyche schlagen. Nervöses Verhalten, Ängste und Schulschwierigkeiten könnten vor allem auf eine Ursache zurückgeführt werden: Erziehungsfehler der Mutter. Diese Meinung ist heute zum Allgemeingut geworden. Letzthin erzählte mir eine Kollegin von der drogensüchtigen Tochter einer Frau aus unserem Bekanntenkreis. Als ich später über dieses Gespräch nachdachte, merkte ich, dass unsere Gedanken nicht nur voller Mitgefühl bei dieser Familie weilten. Im Gegenteil. Fast automatisch landeten wir bei der allzu häufigen Frage: Was haben die wohl falsch gemacht? Große Probleme werden schließlich durch große Fehler verursacht. Deshalb sind gute Mütter fehlerlos.
Raus aus dem Dauerstress
Durch sehr hohe Erwartungen an sich selbst versetzt man sich in Dauerstress. Erwartungen wirken wie eine Peitsche, sie treiben gnadenlos an und lassen uns nicht zur Ruhe kommen. Vor allem dann, wenn eine Mutter glaubt, dass sie allein für das Glück und den Erfolg des Kindes verantwortlich sei, erlegt sie sich eine fast unerträgliche Last auf. Denn tief in ihr drin bohrt es unerbittlich: Eigentlich müsste ich es noch besser machen.
Überhöhte Ideale wirken wie Treibmittel für Schuldgefühle, denn sie erzeugen viele Misserfolgserlebnisse. Normale Probleme, wie sie in jeder Familie irgendwann auftreten, werden dann als Niederlage gesehen statt als normale Herausforderung, die es zu bewältigen gilt. Fällt ein Kind aus dem erwarteten Rahmen, stellt sich sofort die quälende Frage: Was habe ich bloß falsch gemacht? Außerdem lädt man damit auch eine Bürde auf die Kinder, die jederzeit den mütterlichen Erwartungen entsprechen müssen. Es ist aber unmöglich, auf längere Zeit das perfekte Familienleben zu führen.
Manchmal kommen mir Mütter vor wie Leistungssportlerinnen. Täglich werfen sie sich in den Wettkampf mit der Zeit, bringen frühmorgens die Kinder in die Kita oder in die Schule, eilen zur Arbeit, zaubern etwas Essbares auf den Tisch, überwachen die Hausaufgaben, schlichten Streit, erledigen die Einkäufe, arbeiten im Haushalt, empfangen den müden Ehegatten und, und, und … Spätabends sinkt frau erschöpft ins Bett. So weit, so gut. Wenn man sich zusätzlich aber noch damit abquält, was man hätte besser machen können, ist die Grenze der Belastbarkeit irgendwann überschritten.
Stellen Sie sich vor, dass Sie im Hochsprung an einem Wettkampf teilnehmen. Täglich würden Sie trainieren und die Latte langsam immer höher legen. Zuletzt haben Sie die Marke von zwei Metern erreicht und schwingen sich unter Aufbietung aller Kraft darüber. Ist es realistisch zu erwarten, dass Sie dies jeden Tag erreichen? Unmöglich!
Wie hoch legen wir die Latte im Familienleben? Verlangen wir von uns, im übertragenen Sinn, dass wir ständig die Zwei-Meter-Grenze knacken müssen?
Idealistische Vorstellungen verringern das Selbstwertgefühl, denn man wird durch sie ständig seinem Unvermögen gegenüberstehen. Mit jedem neuen Misserfolg wird die quälende Gewissheit noch fester zementiert: Ich bin eine Versagerin. Deshalb ist es befreiend, wenn wir uns vom Ballast unerreichbarer Ideale trennen und sie durch realistische Vorstellungen und Ziele ersetzen.
Mögliche realistische Ziele:
• Kann man alle Bedürfnisse der Kinder stillen? Nein! Wir leben nicht im Paradies und Kinder können an Schwierigkeiten wachsen. Eltern können nur das weitergeben, was sie selbst besitzen, und an jedem einzelnen Tag kann man nur das leisten, wozu die Kraft reicht. Das gilt besonders für Alleinerziehende, die ihr Bestes geben, aber eine Mutter kann nun einmal den Vater nicht vollständig ersetzen. Glücklicherweise leben sie nicht auf einer Insel, und die Kinder sind eingebettet in diverse Beziehungen, die ihre Defizite ausgleichen können.
• Soll man nur für die Kinder leben? Nein! Mütter und Kinder brauchen ihren Freiraum zur persönlichen Entwicklung. Zwar benötigen die Kinder in den frühkindlichen Jahren viel zeitliche Zuwendung, doch später übernehmen Schule und