Inwiefern hilft oder behindert uns dieses Bedürfnis nach Kontrolle, wenn wir uns den Gegebenheiten des Lebens, den Lebensbedingungen hier auf Erden, gegenüber sehen? In einer Welt, in der die Dinge sich wandeln und ein Ende haben, ist eine Haltung von Akzeptanz und Vertrauen nur vernünftig. Doch dies ist ohne Loslassen der Kontrolle unmöglich. In einer Welt, in der wir uns nicht auf Kontrolle verlassen können, brauchen wir etwas anderes: Die Fähigkeit, mit unserem Bestmöglichen zufrieden zu sein und die Würfel so fallen zu lassen, wie sie wollen. Dann besteht die Arbeit darin, mit dem umzugehen, was geschieht, wie ungekämmt und unentzifferbar es auch sein mag. Sich auf das Kontrollieren zu versteifen, schränkt unsere Chancen ein, neue Optionen zu finden, die auftauchen, wenn sich auf unserem Weg neue Möglichkeiten auftun. Zufälligkeit wird weniger erschreckend und reizvoller, wenn wir neue Horizonte darin finden.
Ein Beispiel dafür, wie das Leben und das Schicksal manchmal überraschende Wege einschlagen, gibt das Leben der Autorin Margaret Mitchell. Sie arbeitete als Journalistin in ihrer Geburtstadt Atlanta, ohne besonders daran interessiert zu sein, einen Roman zu schreiben. Eines Tages wurde sie von ihrem Pferd abgeworfen und sah sich gezwungen, mehrere Monate zur Gesundung zu Hause zu verbringen. Um sich die Zeit zu vertreiben, begann sie einen Liebesroman über Atlanta zu Zeiten des Bürgerkriegs zu schreiben. Sie arbeitete schließlich zehn Jahre daran. Vom Winde verweht wurde 1936 veröffentlicht, gewann den Pulitzer Preis und wurde zu ihrem Vermächtnis an die Welt.
Nichts Getrenntes
Aldous Huxley sagte einmal, der Satz “Ich bin” enthalte zwei Irrtümer: Ich erweckt den Eindruck von Getrenntheit, bin erweckt den Eindruck von Dauerhaftigkeit. Doch es scheint eine Gegebenheit der Ökologie zu sein, dass es keine Getrenntheit gibt, sowie eine Gegebenheit der physischen Existenz, dass alles sich ändert. Diese beiden Konzepte sind miteinander verbunden, denn wenn alles miteinander verknüpft ist – und es kein getrenntes Ich gibt –, stehen wir nicht im Konflikt mit der Gegebenheit der Vergänglichkeit. Wenn wir verzweifelt versuchen, einen sicheren Hafen zu finden, flüchten wir vor der den Geist bereichernden Gegebenheit des Lebens, dass alles so angelegt ist, dass es sich ändert und wandelt.
Die buddhistische Praxis der Achtsamkeit erkennt das Leiden an, das mit Wandel und Vergänglichkeit verbunden ist, und empfiehlt, nicht vor dem Leiden zu fliehen, sondern, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Wir sitzen ohne Einmischung des Egos inmitten dessen, was geschieht – Angst, Verlangen, Kontrolle, Urteilen, Illusion, Klage. Wir tragen zu unserem eigenen Leiden bei, wenn wir uns auf die Ängste und Begierden des Egos einlassen, anstatt einfach als atmendes Wesen, das sich ständig mitten im Strom der Ereignisse befindet, hier zu sein. Indem wir unsere missliche Lage ohne redaktionelle Kommentare allein als das erfassen, was sie im Grunde ist, und sie bejahen, hören wir auf, gegen die Wirklichkeit anzukämpfen. Ja zu sagen bedeutet, Zugang zu einer Stimme in uns zu gewinnen, die sich von der unseres bauchrednerisch jammernden Egos unterscheidet. Das Ja spiegelt unsere wahre Natur wider – unsere Buddha-Natur –, hin zu uns, dem gerechten und aufmerksamen inneren Zeugen.
Die Wirklichkeit fügt sich nicht unseren Wünschen oder Plänen, sondern bleibt unbeirrbar auf ihrem eigenen schmalen Pfad. Sich gegen die Wirklichkeit zu stellen, ist gewiss ein Grund für Leiden. Vom Einfluss eines sich einmischenden Egos frei zu sein, bedeutet folglich Freiheit von Leiden. Wir legen den Glauben an Dauerhaftigkeit ab, weil das Festhalten, das daraus folgt, eine Ursache für Leiden ist. Das Ego liebt es, zu greifen und festzuhalten, erfährt jedoch auf diese Weise nur Bangigkeit und Enttäuschung. Wir lassen los, damit wir glücklich sein können. Loslassen ist kein Verlust, sondern eine Befreiung.
Es gibt zwei Achsen, auf denen wir leben können. Im Zentrum beider Achsen steht die Hoffnung:
Wir können mit Glauben, Hoffnung und Liebe, der Achse des Lichts, leben. Oder wir können mit Furcht, Hoffnung und Gier, der Achse der Finsternis, leben. Wenn wir außerdem die rechte Spalte betrachten, können wir erkennen, dass wahre Liebe Angst aufhebt. In der linken Spalte lässt der Glaube Festhalten oder Gier unnötig werden, da wir Spatzen darauf vertrauen können, dass wir auch ohne eine von Getreide überfließende Scheune das haben werden, was wir brauchen. In der unteren Reihe befreit uns die Liebe mit ihrer wunderbaren Fähigkeit, zu vertrauen und loszulassen, von Gier. In der oberen Reihe befreit uns Glaube von Angst, denn auch er bedeutet Vertrauen. Hoffnung, die sowohl positiv als auch negativ sein kann, ist der Angelpunkt all unserer Neigungen. In ihrem negativen Aspekt kann sie dazu führen, dass wir festgefahren oder angebunden bleiben. In ihrem positiven Aspekt ist sie das Vertrauen, dass Finsternis nicht andauert, sondern nur eine Eklipse ist, nach der das Licht zurückkehren wird. Hoffnung ist das bedingungslose Geschenk an unser neugieriges und lechzendes Ich, das im Laufe des Lebens immer wieder von einer Achse zur anderen springt.
Eine zweihändige Praxis
Mir ist bewusst, dass ich immer auf gewisse Weise furchtsam sein werde. Aber mein Verhalten und meine Entscheidungen müssen nicht auf Furcht gegründet sein. Ich kann meine Furcht in einer Hand halten und meine Verpflichtung, nicht mehr in einer auf Furcht gegründeten Weise zu agieren, in der anderen. Diese Kombination erscheint mir irgendwie praktikabler als überhaupt keine Furcht.
Eine hilfreiche spirituelle Praxis in jeder misslichen Lage ist, beide Hände auszustrecken, die Handflächen kelchförmig nach oben zu öffnen und sich vorzustellen, eben diese Gegensätze in den Händen zu halten. Wir spüren das leichte und ausgeglichene Gewicht der beiden, da unsere Hände leer sind. Dann sagen wir zum Beispiel: „Ich kann gelassen beides in meinen Händen halten, meinen Wunsch nach einer Beziehung und den Umstand, im Augenblick keine zu haben.“
Und noch ein Beispiel: Ich verliere meinen Job und bin deprimiert und verängstigt. Gleichzeitig weiß ich, dass ich einen neuen Job suchen muss. Also halte ich mit gelassener Akzeptanz der Wirklichkeit meines Verlustes meine arbeitslose Lage in der einen Hand. In der anderen Hand halte ich meinen Plan, mich auf Arbeitssuche zu begeben. Auf diese Weise sinke ich aus meiner Depression – von Zeit zu Zeit eine Gegebenheit eines jeden Lebens – nicht weiter in Verzweiflung ab. Meine Gegensätze zu halten, gewährt mir Gelassenheit und Mut. Diese Praxis verbindet den Ansatz der Achtsamkeit mit der psychologischen Arbeit am Selbstwertgefühl.
Ich kann in meiner misslichen Lage sitzen wie ein Zeuge und nicht als Kläger oder Richter: „Ich bin nun einmal in dieser Situation und ich sitze hier voll und ganz in ihr und atme in sie hinein. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass ich damit umgehen und sie durchstehen kann, ohne von ihr niedergeschmettert zu werden. Ich kann Vertrauen in meine Kompetenz haben, weder auf dramatische Weise überwältigt zu werden, noch stoisch davon unberührt zu sein. Dieses Gefühl der Kompetenz befreit mich von Furcht, denn Furcht führt zu Machtlosigkeit. Ich stelle mir vor, dass ich meine missliche Lage in der einen Hand halte und meine Kraft, damit zu arbeiten, in der anderen. Eine Hand ist gelassen achtsam, die andere arbeitet tapfer. Wenn ich auf diese Weise beide Wirklichkeiten halte, bin ich in Übereinstimmung mit den Dingen, wie sie sind, und ich tue alles, damit sie sich zum Besseren wandeln. In dem Maße, in dem ich an Mut gewinne, das zu ändern, was ich ändern kann, und die Gelassenheit, das zu akzeptieren, was ich nicht ändern kann, gewinne ich an Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Mit sofortiger Wirkung bekräftige ich, dass ich in der Lage bin, mit all dem umzugehen, was mir für den Rest meines Lebens passieren mag. Ich habe bislang so viel geschafft und weiß daher, ich werde allem, was noch vor mir liegen mag, begegnen können. Und wenn ich Unterstützung brauche, werde ich sie finden. Nichts wird mein Leben so umstürzen, dass ich darunter zusammenbrechen werde.“
Die Grenzen unserer Selbstakzeptanz stimmen mit den Grenzen der Kraft, uns selbst zu aktivieren, überein. Je mehr wir an unsere Kompetenz glauben, unseren gebrochenen Status wieder her zu stellen, desto weniger spüren wir die Furcht, die uns in diesem Zustand hält. Ein jegliches Ereignis, das in beiden Händen gehalten wird, kombiniert Wirklichkeit mit Hoffnung auf Erneuerung. Das ist es, was „mit etwas umgehen“ bedeutet.