Fünf Dinge, die wir nicht ändern können und das Glück, das daraus entsteht. David Richo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: David Richo
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783864102158
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wir glücklicher sind, wenn wir das, was wir am Leben nicht mögen, als eine Gegebenheit des Lebens akzeptieren. Unser achtsames Ja ist ein Eintritt in dieses schützende Paradox.

      Wenn wir den Dingen, die wir nicht ändern können, uneingeschränkt zustimmen, sagen wir Ja zu uns selbst, so wie wir sind in unserer sich unaufhörlich entfaltenden Autobiographie. Die Bedingungen der Existenz sind unsere persönlichen Erfahrungen und keine fremden Kräfte oder Hürden, die man vermeiden muss. Sie sind auch die universellen Erfahrungen aller Menschen. Alle Menschen, die je gelebt haben, sind diesen fünf Hauptgegebenheiten begegnet. Das macht sie zu einem Teil des Menschseins, und daher sind sie ein notwendiger Teil. Wenn wir schließlich die Gegebenheiten als Erweiterungen unseres menschlichen Daseins annehmen, sagen wir nicht aus Resignation oder zur Beschwichtigung Ja zu ihnen. Wir sagen Ja zu den Bestandteilen unseres eigenen Menschseins.

      Alle Gegebenheiten des Lebens basieren auf einer grundlegenden Tatsache: Jedem von uns kann alles nur Mögliche widerfahren. Das ist die Gegebenheit der Gegebenheiten. Den meisten von uns fällt es schwer, wirklich daran zu glauben, dass dies auch auf uns selbst zutrifft. Wir meinen, richtig großes Glück oder sehr großes Pech stieße nur anderen Menschen zu, nicht aber uns selbst. Voll und ganz daran zu glauben, dass uns jederzeit alles passieren kann, ist eine ausgesprochen erwachsene Errungenschaft, und sie gewährt uns zwei wundervolle Geschenke. Erstens lassen wir ab von der Ansicht, unser Ego sei privilegiert, es habe Anrecht auf Sonderbehandlung. Wir lassen von dem kindischen Glauben ab, ein Retter – sei er nun überweltlicher oder weltlicher Natur – würde kommen und für uns eine Ausnahme machen, so dass uns die harten Schläge des Lebens erspart bleiben. Zu glauben, dass uns alles passieren kann, hilft uns außerdem, demütig zu sein und Kameradschaft gegenüber unseren Mitmenschen zu empfinden. „Nichts Menschliches ist mir fremd“, schrieb der römische Dichter Terenz im zweiten Jahrhundert vor Christi. Es hat etwas Tröstliches, zu einer großen Familie zu gehören, mit allen anderen im selben Boot zu sitzen, ganz gleich wie hart das Leben werden mag.

      Die Gegebenheiten des Lebens sind ein Schlüssel zu unserer persönlichen Evolution. Nach der traditionellen buddhistischen Sicht ist die Geburt als Mensch ein großer Segen. Im menschlichen Bereich, heißt es, gäbe es für uns genau die richtige Mischung von Leid und Freude, die es uns erlaubt zu erwachen, zur Erleuchtung zu gelangen. Mit anderen Worten, die Gegebenheiten des Lebens liefern uns genau jene Mischung von Erfahrungen, die wir brauchen, um aufzuwachen.

      Allen Dingen wohnt der natürliche, nicht zu unterdrückende Drang inne, sich zu entwickeln, das heißt, innerhalb der sich wandelnden Bedingungen ihrer Umgebung ihr volles Potential zu erreichen. Darum ist auch die Hoffnung, die uns so oft tröstet, kein närrisches Hirngespinst. Hoffnung ist eine authentische Reaktion auf die dem Leben innewohnende Tendenz zur Erfüllung. Ein bedingungsloses – das heißt, achtsames – Ja gegenüber den Gegebenheiten, ohne Diskussion oder Klagen, ist alles, was dazu nötig ist.

      Gegebenheiten als Geschenke

      Das Wort Gegebenheit hat zwei Bedeutungen. Es ist ein Umstand, an dem wir nichts ändern können, aber es ist auch etwas, das uns gegeben wurde. Sobald wir Ja sagen, offenbaren sich die Gegebenheiten plötzlich als Geschenke, als geschickte Mittel der Evolution. Die Gegebenheiten sind unerbittlich, aber auch reich an Weisheit. Nur unter solch anspruchsvollen und fordernden Bedingungen konnten wir uns entwickeln. Die Gegebenheiten des Lebens sind Geschenke, weil sie die Zutaten von Charakter, Tiefe und Mitgefühl sind.

      Wie finden wir den Aspekt des Geschenks in den vielen Herausforderungen des Lebens? Zuerst und vor allem müssen wir davon ablassen, sie kontrollieren oder abwenden zu wollen. Dann verwandeln sich die mysteriösen Gegebenheiten in Türen zur Freiheit. Aber wir Menschen haben schon seit langer Zeit mit Abwehr und Widerstand auf die Herausforderungen des Lebens reagiert. Tatsächlich ist unser Widerstand gegen Unannehmlichkeiten Teil unseres menschlichen Erbes. Es entbehrt nicht der Ironie, dass wir so verzweifelt versuchen, das abzuwehren, was zu unserem Menschsein gehört und was die Bedingungen darstellt, die letztlich unser Wachstum bewirken.

      Der Satz „Die Dinge hinnehmen, die wir nicht ändern können“ mag sich so anhören, als müssten wir die Dinge nur deshalb akzeptieren, weil wir sie nicht ändern können. Haben wir erst einmal wirklich verstanden, dass das, was sich unserer Kontrolle entzieht, vielleicht genau das ist, was wir brauchen, erkennen wir, dass das Annehmen der Wirklichkeit unsere eigene Art und Weise sein kann, aktiv an unserer eigenen Evolution teilzunehmen. Gelassenheit ergibt sich nicht nur daraus, dass wir annehmen, was wir nicht ändern können, sondern auch daraus, dass wir es aufgeben, immer die Kontrolle haben zu wollen. Das, was uns geschieht, hat einen Sinn, und dieser Sinn ist vielschichtig, daher werden in diesem Buch immer wieder darauf zurückkommen.

      Das bedingungslose Ja macht uns bereit, Freude ebenso wie Schmerz zu erfahren. Die Welt zu ihren Bedingungen anzunehmen, heißt, ein heldenhaftes Leben zu führen. In den klassischen Heldensagen gibt es immer eine Zeit des Kampfes, in der der Held sich den Bedingungen der Existenz stellen muss. Ein Held ist jemand, der Schmerz durchlebt hat, von ihm transformiert wurde und ihn benutzt, um anderen zu helfen. So wie Shakespeare in King Lear sagte:

      Ein sehr armer Mann, zu den Streichen des Glücks zahm gemacht,

      den die Kenntnis und das Gefühl aller Arten von Elend gegen andre mitleidig macht.

      Die Gegebenheiten des Lebens statten Lear mit Mitgefühl gegenüber anderen aus. Unsere spirituelle Arbeit ist nicht bloß persönlich. Wir Individuen werden von dem glühenden Drang beseelt, die evolutionären Möglichkeiten des kollektiven menschlichen Geistes zu aktivieren. Letzten Endes widmen wir uns der spirituellen Praxis, damit wir die ganze Menschheit zusammen mit uns zur Erleuchtung bringen können. Es ist tatsächlich eine in das Gutsein eingebaute Eigenschaft, von sich selbst zu geben: Wie Aristoteles sagt: „Güte kann nicht anders als sich zu verschenken.“

      Für Wesen, die so komplex und kreativ sind wie wir, wäre es nicht befriedigend, in einer Welt ohne herzzerreißende Gegebenheiten zu leben. Shakespeare, Mozart oder Einstein hätte es in einer Welt, in der die Dinge sich nicht verändern und nicht enden, in der alles vollkommen vorhersehbar ist, in der es im Leben kein Leiden gibt und jeder uns wirklich liebt, nicht gegeben. Eine solche Welt wäre oberflächlich und letztlich „ekel, schal und flach und unersprießlich“, wie Hamlet von seiner begrenzten Welt sagt.

      Für kreative Menschen haben die Bedingungen der Existenz einen Sinn, der weit über die Bedeutung hinausgeht, die unsere Gesellschaft ihnen beimisst. Sie modellieren die Gegebenheiten des Lebens als Kunstwerk um. Das liegt daran, dass die Gegebenheiten Quellen der Kreativität und neuer Möglichkeiten sind. Unsere eigenen Unvollkommenheiten und die der Welt werden zum Rohmaterial für ein Meisterwerk. Der Künstler nimmt es und verdaut es, verarbeitet es zu etwas Nützlichem und Aufbauendem für andere, so wie ein Vogel, der seine Jungen mit Futter füttert, das er vorverdaut hat.

      Gegebenheiten als Gnade

      Um wirklich Glück im Leben zu finden, müssen wir uns emotional und spirituell entwickeln. Spirituelles Bewusstsein überwindet den Dualismus, unsere allzu simplen Vorstellungen von Gut und Böse. Ein bedingungsloses Ja ist ein Ja zu den Paradoxa des Lebens. Ein Paradox verbindet offensichtliche Widersprüche miteinander. So sagen wir zum Beispiel bedingungslos Ja zu einer von Veränderungen und Endlichkeit konditionierten Existenz. Wir können Verpflichtungen eingehen, auch wenn wir wissen, dass manche Pläne fehlschlagen. Wir können unser Mitgefühl aufrechterhalten, ganz gleich, wie ungerecht die Welt uns behandeln mag. Wir können uns liebevoll anderen gegenüber verhalten, ohne Rücksicht darauf, wie grausam sie sich uns gegenüber verhalten. Nichts, was uns geschieht, muss uns von dem Pferd namens Ja abwerfen. Wir können die dunkle Seite von Menschen erkennen und diese Menschen dennoch nicht verloren geben; das ist eine weitere Eigenschaft der spirituellen Reife.

      Hier einige andere Beispiele für die Paradoxa, die wir fröhlich annehmen können, wenn wir erkennen, wie wertvoll die Gegebenheiten sind:

      Obgleich alles sich ändert und irgendwann endet, erneuern die