Wir können die Gegebenheiten des Lebens willkommen heißen. Das bedingungslose Ja ist Gastfreundschaft gegenüber dem Leben, in welchem Gewand es uns auch erscheinen mag. Im Buch Genesis gewähren Sarah und Abraham drei Fremden Gastfreundschaft, ohne zu ahnen, dass sie Engel sind. In der griechischen Mythologie zeigten sich Philemon und Baucis zwei Vorbeiziehenden, nämlich dem verkleideten Zeus und Hermes, gegenüber gastfreundlich. Insofern kann Gastfreundschaft das Göttliche im Unbekannten offenbaren. Ein Willkommen heißendes Ja sensibilisiert uns für die spirituelle Welt und offenbart sie uns. Zur Wirklichkeit Ja zu sagen bedeutet, die Ewigkeit aufzunehmen. Zum Endlichen und Begrenzten Ja zu sagen bedeutet, das Unendliche und Grenzenlose zu Gast zu haben.
Der Umstand, dass die Wirklichkeit vergänglich ist, muss nicht bedeuten, dass sie trivial, nutzlos oder oberflächlich ist. Er kann vielmehr ein Hinweis auf die Heiligkeit der Dinge sein. Heiligkeit ist Ganzheit. Das Heilige erkennen heißt, sich der heiligen Möglichkeiten in den endlichen Ereignissen bewusst zu sein. Heiligkeit ist die gesamte Beschaffenheit von Dingen, Ereignissen und menschlichen Beziehungen, vom Anfang bis zum Ende.
Muss die Vergänglichkeit es unmöglich machen, glücklich zu werden? In Prediger 1.2 wird gewarnt: „Es ist alles ganz eitel, es ist alles ganz eitel.“ Das hebräische Wort, das mit Eitelkeit übersetzt wird, bedeutet wörtlich „dünne Luft“. Dennoch wird uns in demselben Buch geraten, mit unserem Partner das Leben zu genießen, mit Freuden zu essen und zu trinken und all unsere Arbeit mit Begeisterung zu tun (Prediger 9.7-10). Die Antwort darauf, dass der Weg allen Fleisches so unersprießlich ist, liegt darin, die fleischlichen Dinge trotzdem zu genießen. Ein Weg in das Mysterium von Wandel und Vergänglichkeit könnte der des Paradox sein: Genüsslich Ja zu dem sagen, was unbefriedigend ist.
Wie wir vermeiden und annehmen
Wie Meister Eckhart sagt, müssen wir von allem loslassen, damit unsere Seele in „unbehindertem Nichtsein“ stehen kann. Welch unglaubliche Tiefe des spirituellen Bewusstseins zeigt sich in dieser Aussage! Doch dieses Bewusstsein kann auch das unsere sein. Zuerst sehen wir alles an uns selbst und um uns herum an und sagen: „All dies wird vergehen.“ Dann kontemplieren wir uns, ohne all das, woran wir haften, und sagen: „Ich möchte völlig unbelastet sein. Ich möchte rein gar nichts sein. Ich möchte in der vollen Herrlichkeit des Ja stehen.“
In unserer Kultur vermeiden wir es beflissentlich, uns die Wirklichkeit von Wandel und Tod vor Augen zu führen. Wir verhalten uns so, als wären wir nicht fähig, damit umzugehen. Doch wir sind mit einer natürlichen und verlässlichen inneren Technologie ausgestattet, mit Verlust und Vergänglichkeit umzugehen: Wir können trauern. Wenn wir nicht über unsere Gefühle hinweggehen oder sie betäuben, sind wir automatisch traurig, wütend oder ängstlich, wenn es zu einem Verlust kommt. Dies sind die Gefühle von Kummer, die uns dabei helfen, uns durch die unersprießlichen Tatsachen von Tod und Vergänglichkeit hindurchzuarbeiten. Wenn wir uns den Existenzbedingungen mit Gefühl stellen, dann kommt das Ja im Gewand des Trauerns daher. Die Tatsache, dass wir Kummer empfinden können, bedeutet, dass wir mit Verlusten und Vergänglichkeit umgehen und sie verkraften sollten. Unsere eigene Natur, wie auch die Natur als ganze, ist darauf kalibriert, mit dem Tod umzugehen, statt ihn zu verleugnen. Der Tod wird in der Tat jenen nicht fremd sein, die während ihres Erwachsenenlebens geübt haben, von ihrem Ego und dessen Verhaftungen abzulassen. Trauer, das Ja unter Tränen, ermöglicht es uns, die Wirklichkeit und ihre Bedingungen, einschließlich des Endes mit dem Tod, anzunehmen. Da jede der Gegebenheiten des Lebens einen Verlust repräsentiert, ist Trauerarbeit ein geschicktes Mittel, mit dem man ihnen allen begegnen kann. Wenn wir uns der gesellschaftlichen Verleugnung der Notwenigkeit von Trauerarbeit anschließen, verlieren wir unsere Chance, an dem, was uns das Leben bringt, zu wachsen. Es liegt an uns, jene Trauer zuzulassen, die die jeweiligen Lebensbedingungen erfordern. Es ist an uns, darauf zu vertrauen, dass Trauern genau der Weg zur Überwindung eines Verlustes ist und zum Fortschreiten zu dem, was als Nächstes kommt – das ist die Vorgehensweise der Evolution.
Durchleben wir zum Beispiel die Erfahrung, einen Partner oder eine Familienmitglied zu betrauern, so führt uns das dazu, den Menschen, den wir verloren haben, loszulassen. Der Kummer macht uns bereit, das Haften an der Vergangenheit schließlich aufzugeben und weiterzugehen, auf andere zu, die uns etwas Ähnliches bieten können wie das, was wir verloren haben. Wir werden keine neue Mutter bekommen, aber wir können mütterliche Momente bei anderen erfahren, die uns nähren und liebevoll umsorgen. Auf diese Weise fühlen wir uns nicht mehr allein und isoliert, sondern mit der Wirklichkeit ausgesöhnt und wieder mit anderen Menschen verbunden. Aussöhnung ist in der Tat die Fähigkeit, etwas anzunehmen, das dem Verlorenen nahe kommt. Es ist das Ja eines gesunden Kompromisses.
Angezogen oder abgestoßen
Unser Hingezogensein zu wie unser Abgestoßensein von Menschen, Orten und Dingen scheinen über eine glockenförmige Kurve zu verlaufen. Wir können in der Kurve drei Phasen feststellen: Steigen, Höhepunkt und Fallen. Wir hören einen Song und fangen an, ihn zu lieben (erhöhtes Interesse), kaufen daher die CD und hören sie ständig (Höhepunkt der Freude). Dann hören wir sie weniger oft (Nachlassen des Interesses), und schließlich wird der beste Song, den wir je gehört haben, kaum je wieder angehört. Sein Reiz hat den Gipfel der glockenförmigen Kurve längst überschritten.
Die gleiche glockenförmige Kurve tritt im Fall der Ablehnung auf, wie die Geschichte von der Schönen und dem Biest belegt. Anfangs verspürte die Schöne Abscheu, doch später wurde es Liebe. Da es sich um ein Märchen handelt, bleibt der positive Höhepunkt bestehen – „und sie lebten glücklich bis an ihr Ende“. Doch zu verlangen, dass der Höhepunkt irgendeiner Erfahrung bestehen bleibt, bedeutet, in einem Märchen zu leben.
Ein anderes Beispiel für die Kurve in Hinsicht auf Ablehnung ist unsere Reaktion auf ein Monster in einem Horrorfilm. Beim ersten Anblick wenden wir den Blick in Abscheu oder Schrecken ab. Doch während das Monster in einer Szene nach der anderen auftaucht, gewöhnen wir uns an seinen Anblick und fürchten uns nicht mehr. Die glockenförmige Kurve, eine innere geometrische Figur in allen von uns, ist in der Tat die Kurve, auf der wir zur Furchtlosigkeit fortschreiten.
Intime Beziehungen folgen dem gleichen Schema. „Es ist nicht mehr so, wie es einmal war“, sagen wir über eine Beziehung. Wir schwelgen in romantischen Gefühlen, kommen zum Gipfel der Erregung und stellen dann fest, dass der Kitzel verschwunden ist. An diesem Punkt haben wir zwei Alternativen. Wir können die Beziehung abbrechen oder eine neue, reifere, mehr auf Liebe gegründete eingehen, die nicht auf Kitzel, sondern auf Verpflichtung beruht. Den größten Fehler, den wir Menschen machen, ist, an dem, was ein Mensch zu einem bestimmten Zeitpunkt ist, zu haften und zu glauben, das würde sich niemals ändern. Erinnern wir uns an Goethes Faust, der einen Pakt mit dem Teufel schloss. Er sollte seine Seele verlieren, wenn er jemals zu einem Augenblick sagte: „Verweile doch, du bist so schön.“ Wir verlieren unser spirituelles Leben, wenn wir versuchen, an Perfektion oder Unwandelbarkeit festzuhalten.
In unserem fortlaufenden Bemühen, die Existenzbedingungen zu verleugnen, können wir uns vielleicht einen Partner ins Boot holen. Persönliche Beziehungen werden in einer Gesellschaft, in der Religion immer mehr an Bedeutung verliert, für unser Überleben immer wichtiger. Die „Beziehung“ wird zu unserer neuen Zuflucht, der neuen höheren Macht. Das Kollektive ist dem Persönlichen gewichen. Ohne etwas Geistiges dort oben, halten wir fest an dem Körperlichen hier unten. Daher führt das Scheitern einer Beziehung zu doppeltem Kummer, ja sogar zu Panik.
Jede