»He, wenn ich diese Raubvogelfratze nicht schon irgendwo gesehen habe, will ich Jeremias heißen!«
Er reichte Holliday das Glas.
Der blickte hindurch und sah jedes einzelne Gesicht scharf an.
»Kenne keinen davon. Wen meinen Sie?«
»Den langen Burschen, der den Kopf gesenkt hält und mit gespreizten Beinen und nach innen stehenden Füßen in der Mitte des Kreises steht.«
»Scheint der Boß in dem netten Laden zu sein. Wahrscheinlich hat er vorhin die beiden armen Würmer noch verprügelt, ehe sie ins Bett kamen.«
Wyatt Earp nahm das Glas zurück und beobachtete weiter den Hof.
Für die zerschossene Lampe hatte einer der Männer rasch eine andere angezündet. Das ermöglichte den beiden stillen Beobachtern, die Vorgänge auf dem Hof im Fernrohr deutlich zu sehen.
»Also, diesen Burschen kenne ich«, wiederholte der Marshal.
»Gut oder schlecht?« wollte der Georgier wissen.
»Bestimmt schlecht. Da war irgendeine düstere Geschichte, die mich mit ihm zusammengebracht hat. Der Mann ist eine ganz undurchsichtige Erscheinung. Wenn ich ihn einmal sprechen hören könnte, dann wüßte ich vielleicht, woher ich ihn kenne.«
»Wahrscheinlich interessieren sich ein Dutzend Sheriffs und ebenso viele Richter für ihn!«
»Richter!« Wyatt ließ das Glas sinken. »Zounds, ich habe es. Ich habe den Kerl in einer Gerichtsverhandlung drüben in Amarillo gesehen. Da sagte er aus. Er war zwar nicht angeklagt, aber er unterschied sich von dem Mann auf der Anklagebank lediglich darin, daß er keine eisernen Handfesseln trug. Es ging damals um einen Überfall im Sands. Ein einzelner Reiter ist angefallen worden und entkam zwei Banditen. Einen von ihnen hatte er in Amarillo wohl wiedererkannt, eine Zeitlang nach dem Überfall. Da tauchte dieser Mensch da drüben als Zeuge auf. Er bezeugte, daß der Beklagte zu der betreffenden Zeit mit ihm zusammen drüben in Oklahoma City gewesen sei. Ja, so war es, und als er den Raum in der großen City Hall von Amarillo verließ, blickten ihm eine Menge Männer mit sonderbaren Augen nach. Ich habe diese Gestalt niemals vergessen, weil mich der herrische Blick und das mehr als selbstsichere Auftreten dieses Menschen damals mißtrauisch gemacht hatten.«
»Wissen Sie noch, wie er hieß?«
»Warten Sie… Winters oder so. Kann auch irgendein ähnlich klingender Name sein, der jedenfalls unecht wirkte. Ein gerissener, hartnerviger Mann mit befehlsgewohntem Gehabe und einem Auftreten, das mich auf merkwürdige Weise an Ike Clanton erinnerte!«
Doc Holliday hatte sich auf einen der plüschbezogenen Sessel niedergelassen und meinte seufzend: »Wäre es da nicht richtiger, wenn wir uns gleich wieder in unsere Sättel setzten und zusehen, daß wir rasch aus dieser behaglichen Gegend kommen? Denn wenn Sie erst irgendwo hintreten, dann ist da etwas faul.«
Wyatt Earp wandte keinen Blick vom Fenster.
»Am liebsten würde ich jetzt…«
»Ich weiß«, unterbrach ihn der Spieler und erhob sich, schob seine beiden elfenbeinbeschlagenen Revolver nach vorn und stülpte seinen Hut auf. »Gehen wir also, es ist tatsächlich auch besser so. Sonst schlafen wir am Ende noch schlecht.«
Sie verließen das Haus durch die Hoftür, die der Wirt nicht abgeschlossen hatte, als er aus dem Stall kam.
Dunkel lag die Straße vor ihnen.
Ein sichelscharfer Neumond stand hoch über der Mainstreet und warf ein geisterhaftes Licht auf die Häusergiebel.
Wyatt Earp und Doc Holliday überquerten die Straße und blieben neben dem Hoftor Cassedys stehen.
Es war ruhiger geworden da drinnen.
Die beiden lauschten und vernahmen nur Wortfetzen.
Bis der Marshal dann ganz deutlich hörte, wie ein Bursche sagte: »Und damit wir uns verstehen: Den beiden Kindern geschieht nichts. Hal hat es versprochen.«
Doc Holliday meinte, als sich die beiden Dodger etwas vom Hof entfernt hatten: »Glauben Sie wirklich, daß sich diese Burschen nur der Kinder wegen so aufgeführt haben?«
»Das soll es ja geben. Aber ich glaube es nicht. Vor allem nicht, weil dieser Winters dabei ist.«
Sie beschlossen, durch eine Quergasse an die Rückfront des Anwesens heranzugehen, um von dort aus vielleicht ungestörter Einblick in die Geschehnisse zu gewinnen, die sich da abspielten.
Es war Edward Chester gewesen, der diesen Satz gesprochen hatte: »Und damit wir uns verstehen: Den beiden Kindern geschieht nichts. Hal hat es versprochen.«
Danach wandte sich Ed um, packte Frank Macirian am linken Arm und schob mit ihm zum Tor.
»Wo wollen die beiden hin?« fragte Cassedy knurrend Hal Chester.
»Weiß ich es? Wahrscheinlich will Ed ein Bett für Frank suchen.«
»Ein Bett? Wozu, wir haben einen großen Heuschober.«
Aber Ed Chester war schon auf der Straße und warf das Tor hinter sich und dem Arizonamann zu.
Stumm überquerten die beiden Männer die Straße.
Ed hatte schon beim letztenmal, als sie hier durchkamen, das kleine Hotel drüben an der Ecke gesehen.
Jetzt klopfte er dort ein Mädchen heraus, das ein kleines Zweibettzimmer richten mußte.
So hatte Ed den Verletzten unter Aufsicht, Frank konnte sich nicht heimlich davonstehlen und den Sheriff informieren.
Gleichzeitig konnte Ed beruhigt darüber sein, daß Macirian wohl aufgehoben war.
Dem Umstand, daß niemand die beiden beobachtet hatte, verdankten sie mehr, als sie ahnten.
Das Schicksal hatte indessen in Gestalt des Marshals Earp und seines Begleiters des Georgiers Doc Holliday eingegriffen. Die beiden Freunde hielten mit Riesenschritten auf die Rückfront von Cassedys Anwesen zu.
Hal wollte gerade seinem Bruder folgen.
»Wo willst du hin?« rief ihm Cassedy nach.
»Meine Sache.«
»Irrtum, Brother, wir sind Partner.«
»Wenn schon. Ich kann gehen, wohin es mir beliebt. Du hast ja mein Pferd.«
»Das kann eine böse Falle sein…«
Da blieb Hal Chester stehen und wandte sich um. Er sah jetzt, im äußersten Kreisring des Lichtes stehend, plötzlich sehr gefährlich aus.
»Hör zu, Jack Cassedy, ich werde dir etwas sagen: Wenn du glaubst, daß ich dich fürchte, hast du dich geirrt. Sicher, du bist ungefähr fünfzehn Jahre älter als ich, aber ich bin Hal Chester und lasse mich von niemandem aufhalten und von meinem Ziel abbringen. Ich werde Geld haben. Du bekommst einen Teil, und zwar genau den, den ich dir zugedacht habe. Keinen Cent mehr, und von nun an wirst du dich so geben, wie sich ein Partner in deiner Lage zu geben hat. Vergiß nicht, daß ich bis jetzt ein einfacher braver Peon von der Gloster Ranch bin, du aber der Anführer von…«
Cassedy hatte seinen Revolver in der Hand.
Aber Hal war wenigstens ebensoschnell gewesen.
»Haltet ihn fest!« brüllte Cassedy seinen Männern zu.
Dann peitschte ein Schuß los.
Halbom Chester hatte ihn nicht abgegeben, er kam aus dem Revolver des Desperados Cassedy.
Hal stand reglos da und starrte aus weiten Augen zu dem Bandenführer hinüber.
»Damned, Jack – das war… unfair. Ich habe dir… ein Geschäft gebracht… Die Kinder.«
»Du bist ein Betrüger!« stieß Cassedy rauh hervor. »Du hast zwei Kinder gebracht und das dritte an einem anderen Ort versteckt.«
Nun