Aber die Schwester des Bandenführers war verstockt und härter, als der Spieler vermutet hatte.
»Wir haben keine Kinder.«
Da trat Wyatt Earp an sie heran.
Das Kerosinlicht, das der Sheriff in der Hand hielt, warf ein zuckendes Licht in den Hausgang und geisterhafte Schatten über das Gesicht des Missouriers.
»Ich habe Sie aufgefordert, die beiden Kinder herunterzubringen, die Sie vor einer Viertelstunde hier durch den Flur der Treppe hinaufschoben. Ich kam ja vorn an die Tür, die Sie mir zu spät vor der Nase zuwarfen. Ich warte genau drei Minuten. Doc Holliday wird Ihnen dabei helfen.«
Die Frau starrte mit glasigen Augen in das Gesicht des Marshals, und jetzt roch Wyatt Earp, was er schon vermutet hatte: Diese Frau war betrunken.
Eine Trinkerin wahrscheinlich. Daher ja auch ihre Unbekümmertheit allen Drohungen gegenüber.
Holliday griff entschlossen zu, packte sie am Arm und hielt ihr mit der Rechten den Revolver entgegen.
»Komm, schönes Kind, der Marshal hat es eilig. Und jedem Richter der Welt ist es lieber, dich tot zu sehen als die beiden Kinder! Vorwärts!«
Er zerrte sie die Treppen hinauf.
Holliday durchstöberte die vier Zimmer oben.
Ohne Erfolg.
Das Licht, das die Frau angezündet hatte, war so schwach, daß man nur zwei Schritt weit sehen konnte.
Holliday blickte die Frau aus harten, eisigen Augen an.
»Sie sind betrunken, well, Ihre Sache. Meinethalben werden Sie dann im Schnapsrausch zur Hölle fahren.« Er setzte die kleine Lampe auf den Boden, stieß den Revolver vor und spannte den Hahn.
»Schicken Sie noch einen Blick gen Himmel, denn es ist gleich zu Ende.«
Unwillkürlich blickte die Frau hoch. Sie war plötzlich nüchtern geworden.
Holliday folgte ihrem Blick und gewahrte zu seiner nicht geringen Verwunderung eine gut getarnte Bodenklappe an der Decke.
Rasch senkte er den Blick.
»Warten Sie, ich habe es mir überlegt, ein so schnelles Ende wäre eine Gnade für solch eine Kreatur. Der Marshal wird Sie an den Galgen bringen! Sheriff! Sie kommt hinunter!«
Er schob die Alte zur steil nach unten führenden Treppe.
Als sie unten war, sprang er in einem federnden Satz hoch und bekam den kleinen Ring zu fassen, mit dem man die Klappe öffnen konnte.
Aber nirgends war eine Leiter zu sehen.
Wyatt Earp kam die Treppe hinauf.
Er blickte zu der Bodenklappe hoch und stellte sich genau darunter.
Jetzt machten sie es umgekehrt. Doc Holliday lief an, trat auf die zum Tritt geformten Hände des Marshals, bekam oben den Bodenrand zu fassen, jumpte sich hoch und kniete im Bodenraum.
»Die Lampe, Wyatt.«
Der Marshal reichte sie ihm hinauf.
Doc Holliday begann, den großen Bodenraum abzuleuchten.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er in einer niedrigen Ecke gleich unterm Dach auf einer Strohschütte die beiden Körper entdeckte.
Er stürmte darauf zu und hielt inne.
Seine entsetzliche Befürchtung traf glücklicherweise nicht zu.
Vor ihm lagen unter einer Decke ein kleines Mädchen und ein kleiner Junge. Beide schliefen tief und hatten ihre pausbäckigen Gesichtchen ins Stroh geschoben.
Der Spieler brachte es nicht fertig, sie aufzuwecken.
»Doc!« hörte er da die Stimme des Marshals.
Auf Zehenspitzen kam er zur Klappe zurück.
»Schon mal zwei Engel schlafen gesehen, Marshal?« fragte er leise.
Der Marshal, den ebenfalls eine Furcht befallen hatte um die beiden Kinder, atmete hörbar auf.
»Alles in Ordnung?«
»In bester Ordnung. Ich komme runter.«
Holliday reichte die Lampe hinunter und rutschte dann durch die Klappe, die er wieder hinter sich zuzog.
Unten im Korridor stand der Sheriff mit der Lampe vor der Frau.
Margret Cassedy lehnte zusammengekauert an der Wand.
Ihr hageres Gesicht wirkte jetzt eingefallen wie das einer Greisin. Das Kopftuch war verrutscht und hing ihr tief in die Stirn.
Der Marshal sah sie groß an.
»Wollen Sie nicht sprechen?«
Die Frau schüttelte den Kopf.
»Well, dann ist alles Weitere Ihre Schuld.«
Da warf sie den Kopf hoch.
»Was? Was ist meine Schuld? Habe ich ihn so gemacht? Er ist ein…«
»Verbrecher! Das wissen wir.«
Aber wußte der Marshal auch alles? überlegte die Frau. Wußte er wirklich, wen er da aus seinem Rattennest aufgestöbert hatte?
Der Sheriff stand mit zuckendem Gesicht dabei.
Wyatt blickte sich nach ihm um.
»Sie wissen auch nichts weiter, Mister Plumback?«
Der Sheriff schüttelte den Kopf.
Da donnerte ihn der Missourier plötzlich an: »Mister Plumback, Sie tragen den Stern des Gesetzes! Offenhar haben Sie vergessen, zu was Sie sich da verpflichtet haben. Sie müssen dem Gesetz dienen und nicht einem Schurken gehorchen, den Sie vielleicht zu fürchten haben. Wer ist dieser Mann, der den Burschen da draußen niedergeschossen hat?«
»Sommers, Marshal. Jack Sommers. Was soll ich mehr sagen?«
»Alles müssen Sie sagen! Es geht hier um zwei schwere Verbrechen, um Mord und Kindesraub. Wo kommen die beiden Kinder her? Und wer ist der Tote im Hof dort?«
»Den Mann kenne ich nicht.«
»Und seinen Mörder?«
»Ich weiß ja nicht, ob Jack ihn erschossen hat.«
»Well, Mister Plumback. Ich werde dem Gouverneur berichten, welch zuverlässigen Sheriff er hier in dieser Stadt sitzen hat.«
Earp tat, als wolle er sich abwenden.
Da packte der alternde Sheriff ihn am Arm.
»Warten Sie, Mister Earp«, sagte er.
Die Frau schrie plötzlich auf: »Wenn Sie reden, Sheriff, sind Sie ein toter Mann!«
»Noch ein Wort, Madam«, fuhr da der Spieler sie an, »und ich vergesse meine gute Erziehung. Sie wagen es, den Sheriff zu bedrohen in Gegenwart des Marshals? Wissen Sie, daß Sie sich jetzt selbst erledigt haben?«
Der Kopf der Frau sank auf die Brust hinab.
Wyatt Earp empfand schon Mitleid mit diesem zerrütteten Geschöpf.
»Jack Sommers ist Ihr Sohn?«
Sie schüttelte den Kopf.
Da krächzte der Sheriff: »Er ist ihr Bruder.«
»Und wer ist der Tote?«
»Ich kenne ihn nicht. Er kam heute abend…«
»… mit den Kindern?« schoß Holliday blitzschnell dazwischen.
»Das weiß ich nicht.«
»Lügen Sie nicht! Sie wissen es. Und wenn Sie so irrsinnig sind, mit dieser Lüge Ihres Bruders wegen zum Galgen