Die Amulettmagier. Natascha Honegger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Natascha Honegger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783960741930
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      Sie wollte einfach nur ihre Ruhe, doch die anderen Mädchen plapperten und plapperten und wollten einfach nicht still sein.

      „Du bist bestimmt schon sehr aufgeregt wegen deines Geburtstags“, kommentierte ein blondes Mädchen, dessen Namen Isa nicht einmal kannte. Syrillia? Syria? Oder doch Syra? Sie konnte sich nicht daran erinnern.

      Padam. Padam. Padam.

      „Nein“, erklärte Isa wahrheitsgetreu und fürchtete, ihr Kopf würde explodieren.

      „Aber warum denn nicht?“, fragte ein anderes Mädchen mit schwarzen Locken.

      „Keine Ahnung.“ Isa musste sich zurückhalten, das Mädchen nicht wütend anzuschreien und zu schütteln. Am liebsten hätte sie ihre Hände auf die Ohren gepresst und wäre aus dem Speisesaal gestürmt.

      „Also ich verstehe dich, mir geht es an meinen Geburtstagen auch so“, meinte ein drittes und ließ Isa vom Stuhl aufspringen.

      „Ihr versteht gar nichts“, schrie sie und die anderen blickten sie erschrocken an. Als sie die entsetzten Blicke sah, bereute sie ihre hitzige Reaktion sofort und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. „Ich habe seit Tagen Kopfschmerzen“, fügte sie rasch hinzu und sah, dass sich die Mädchen wieder entspannten.

      „Vielleicht solltest du dich etwas ausruhen“, meinte eines von ihnen mitfühlend.

      Isa nickte ihr zu, erhob sich dann erneut und quälte sich in das Zimmer, das sie mit zehn anderen Mädchen teilte. Wenn nur dieses Pochen aufhören würde …

      Mit offenen Augen lag Isa in ihrem Bett und lauschte auf das Atmen der anderen. Sie konnte es kaum hören durch den Aufruhr in ihrem Kopf, doch solange sie sich darauf konzentrierte, war der Schmerz nicht ganz so schlimm.

      Während das Mädchen wach im Bett lag, ohne dass es seinen dringend benötigten Schlaf fand, fasste es schließlich einen Plan: Es würde die Quelle dieser grauenhaften Tortur suchen und unschädlich machen. Koste es, was es wolle!

      Isa wartete noch eine Weile, dann erhob sie sich langsam aus ihrem Bett. Die anderen Waisenkinder schliefen tief und fest. Darauf bedacht, keinen Laut zu machen, stand sie auf und durchquerte das Zimmer.

      Dann schlich das Mädchen leise zur Treppe und hinab in die Eingangshalle. Schnellen Schrittes durchquerte es den Raum, als die Wanduhr eben begann, zwölf Uhr zu schlagen.

      „Mitternacht. Jetzt bin ich 13!“, dachte Isa.

      Doch die Freude musste warten. Erst musste sie dafür sorgen, dass dieses seltsame Hämmern aufhörte.

      PADAM. PADAM. PADAM.

      Noch lauter, noch schmerzvoller als jemals zuvor. Isas ganzer Körper schien zu vibrieren.

      PADAM. PADAM. PADAM.

      Ihr Blick fiel auf eine hölzerne Tür, auf der ein Schild mit den Worten Zutritt verboten prangte.

      Die Wohnung der Waisenhausleiterin.

      Langsam näherte sie sich dem schwarz gestrichenen Holz und drückte die Klinke nach unten. Abgeschlossen.

      „Mist!“, dachte sie. „Was soll ich jetzt tun?“

      Das Pulsieren war mittlerweile so laut, dass sie nur noch an eines denken konnte: Weg hier! Doch innerlich wollte sie etwas anderes. Sie wollte dem hämmernden Geräusch folgen und seine Quelle finden. Sie ausschalten.

      Mechanisch strich Isas Hand über das Türschloss. Es gab einen bläulichen Blitz, dann ein Klicken und das Schloss war offen.

      Der Mund des Mädchens klappte verblüfft auf, doch es hatte seinen Körper nicht mehr unter Kontrolle: Wie von selbst schoben seine blassen Hände die Tür auf und seine Beine traten in den Raum. Es war, als hätten sie ein Eigenleben entwickelt, das ihm ganz und gar nicht gefiel.

      Ein kleiner Wandschrank kam in Isas Blickfeld. Soweit sie das beurteilen konnte, war er die Quelle des Lärms, doch ihr Kopf dröhnte nun so heftig, dass sie kaum mehr einen klaren Gedanken fassen konnte. Hilflos musste sie mit ansehen, wie sie an das Schränkchen herantrat und erneut mit ihren Fingern über das Schloss fuhr.

      Ein Blitz, ein Klicken.

      Isa stöhnte und wollte sich gar nicht vorstellen, was geschehen würde, wenn die Waisenhausleiterin sie bei ihrem Einbruch erwischte. Doch was hätte sie denn tun sollen? Sie war machtlos gegen die Kräfte, die hier am Werk waren …

      Vorsichtig stellte sich das Mädchen auf die Zehenspitzen und linste ins Innere. Sein Blick glitt über glitzernden Schmuck, goldene und silberne Münzen und sogar einige wenige Edelsteine. Ein Schatz, wie es ihn noch niemals zuvor gesehen hatte. Doch der Anblick ließ Isa seltsamerweise so kalt wie Eis. Sie war nicht hergekommen, um etwas zu stehlen, nein. Sie war hergekommen, um sich etwas zurückzuholen. Ihr Eigentum.

      Und dort lag es, jenes Stück, das Isa begehrte: ein Amulett aus purem Gold, geschmückt mit Edelsteinen von der Farbe des blauen Himmels an klaren Sommertagen. Es wurde von einer ebenso blauen Aura umgeben, die so hell leuchtete, dass vermutlich jeder normale Mensch auf der Stelle erblindet wäre. Doch Isas Blick wurde davon magisch angezogen und ein warmer Strom aus purer Energie erfasste und liebkoste sie.

      Wie in einem Rausch streckte das Waisenmädchen die Hand danach aus und berührte es. Seine Hände hoben es heraus und strichen darüber wie über einen längst verloren geglaubten Schatz.

      Und in jenem Augenblick, in dem Isas Haut das Schmuckstück nach langen Jahren zum ersten Mal wieder berührte, verschwand das Pochen in ihrem Kopf und machte einer leisen, wunderschönen Melodie Platz.

      Und da war noch etwas, das Isa viele Jahre nicht mehr gespürt hatte: das Gefühl vollständig zu sein.

      Nach unzähligen Minuten begann ihr Gehirn, ganz langsam wieder zu arbeiten, und sie betrachtete zum ersten Mal bewusst, was sie da in der Hand hielt.

      Es war ein fein gearbeitetes Schmuckstück, einer Adligen würdig, und vermutlich Teil eines größeren Amuletts. Wie Isa bereits zuvor festgestellt hatte, schien es aus purem Gold zu bestehen, verziert mit mehreren hellblauen Edelsteinen. Diese waren es auch, von denen das strahlend blaue Leuchten ausging. Es hatte den Anschein, als hätte jemand eine bläuliche Flüssigkeit hinter Kristallglas gesperrt, in ihrer Konsistenz der von Nebel ähnlich.

      Das Gold war in einer außergewöhnlichen Struktur gearbeitet worden, die so aussah, als wären zwei Stränge aus Edelmetallen miteinander zu einem Ganzen verflochten worden. Es war ein Kunstwerk, keine Frage.

      Isa fuhr fasziniert über das wertvolle Stück und hörte weder die Tür noch die schnellen Schritte, die sich ihr näherten.

      „Was tust du da?!“, rief eine wütende Stimme und riss das Mädchen aus seinem tranceähnlichen Zustand. Erschrocken wirbelte es herum und stand ganz plötzlich der Waisenhausleiterin gegenüber, die sich wie ein bedrohlicher Schatten hinter ihm aufgebaut hatte. „Wie kannst du es wagen, hier einzudringen?!“

      „Ich …“, begann Isa und überlegte sich bereits fieberhaft eine Ausrede. „Ich wollte nicht …“

      Da fiel der Blick der Frau auf das leuchtende Amulett in Isas Hand und sie taumelte erschrocken zurück. Blankes Entsetzen flammte in ihren Augen auf und sie zeigte stumm auf das Schmuckstück.

      „Wie … Was …“, stotterte sie, dann durchschnitt ihr Schrei die Stille und ließ Isa zusammenzucken. „Nein!“ Die Frau begann, am ganzen Körper zu zittern und zu zucken, als würde sie Höllenqualen leiden. Doch Isa konnte nicht erkennen, was die Ursache dafür war. Das Amulett vielleicht?

      Die Augen der Waisenhausleiterin nahmen einen wahnsinnigen Ausdruck an. Speichel troff aus ihrem Mundwinkel. „Du!“, keuchte sie und zeigte anklagend auf Isa. Dann brach sie zusammen. Mit einem dumpfen Schlag traf ihr lebloser Körper auf dem Boden auf.

      Isa rannte. Ihre Beine trugen sie so schnell wie der Wind und hielten nicht inne, ehe sie die Klippen erreichten. Keuchend stützte sie ihre Hände auf die Knie und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen.