Die Amulettmagier. Natascha Honegger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Natascha Honegger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783960741930
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und ihre Augen weiteten sich. „Eine echte, wie man sie aus den Sagen kennt?“

      Isa zuckte die Schultern. Woher sollte sie das denn wissen? Sie war schließlich keine Hellseherin.

      Endlich passierten die Kinder das Haus des Schreiners und ließen Merlina durch ein weiteres Tor hinter sich.

      Als die Mädchen durch das hohe Gras zum Rand der Klippen hochstiegen, verschwand der Mond ganz plötzlich hinter den Wolken. Isas Freundinnen blieben abrupt stehen und warfen einen unsicheren Blick in den Himmel.

      „Wenn der Mond nicht bald wieder kommt, dann können wir unmöglich zur Höhle der Wahrsagerin hinabsteigen“, meinte Pentrilla besorgt, und Isa glaubte, ein leichtes Zittern darin zu vernehmen. „Wenn wir auf dem Weg einen Fehltritt machen, stürzen wir die Klippe hinunter.“

      Isa nickte. Es gab nur einen einzigen Ort, an dem man die steil abfallende Küste hinabsteigen und so Madame Seirones Unterschlupf erreichen konnte: einen schmalen Pfad, ungefähr drei Fuß breit und steinig. Man hatte ihn zu jener Zeit erbaut, da Merlina noch nicht durch eine Stadtmauer geschützt gewesen war und die Höhle als Zufluchtsort für die Menschen gedient hatte. Der Pfad war damals jedoch fast dreimal so breit gewesen, sodass ihn auch Kutschen hatten befahren können.

      Isa warf wie ihre Freundinnen einen kurzen, prüfenden Blick zum Himmel, ehe sie diese beruhigte. Die Wolke, die den Mond verdeckte, war nicht besonders groß und würde bald vorübergezogen sein.

      Die seltsame Gabe, auch des Nachts sehen zu können, hatte das Mädchen schon lange. Mit fünf Jahren hatte es begonnen und seit jenen Tagen war seine nächtliche Sicht immer ein wenig besser geworden. Auch jenes magische Leuchten seiner Augen, das es seit seiner Geburt von allen anderen Menschen unterschied, war stärker geworden. Mittlerweile funkelten sie so hell wie die Sterne am dunklen Himmelszelt. Die Tatsache, dass Isas Augen magisch waren, war auch der Grund, weshalb sie sehr sorgsam darauf achtgab, dass nicht allzu viele Leute von ihnen wussten. Es war nun nicht so, dass sie niemals unter die Menschen ging, nein, denn sie mochte die Stadt sehr, doch sie vermied es, wenn möglich, ihnen direkt in die Augen zu blicken oder im Schatten zu stehen.

      Auch verließ sie das Haus normalerweise nur tagsüber bei Sonnenschein und versuchte, fremden Leuten aus dem Weg zu gehen. Nur heute hatte sie sich dazu entschlossen, bei Dunkelheit zu Madame Seirone zu gehen. Denn die Waisenhausleiterin sah es nicht gerne, dass ihre Schützlinge Wahrsagerinnen besuchten.

      In diesem Augenblick kam der Mond wieder zum Vorschein und die Mädchen, die den Rand der Klippe erreicht hatten, konnten den Abstieg zur Höhle wagen. Isa übernahm die Führung, Serilena und Pentrilla folgten ihr.

      Der Pfad war steil abfallend und wand sich in mehreren Schlaufen die fast senkrechte Klippe hinunter.

      Als sie etwa die Hälfte der rund siebzig Meter hohen Felswand hinter sich gebracht hatten, tauchte vor ihnen ein schmaler Spalt im Gestein auf. Dieser war der Eingang zur Höhle, die im Augenblick Madame Seirones Unterschlupf war.

      Vorsichtig betraten die Mädchen die Eingeweide der Klippe. Hinter dem Felsenriss führte ein Gang in eine riesige Halle voller Stalaktiten und Stalagmiten. Das ständige Tropfen von Wasser erfüllte die Höhle und es roch ein wenig modrig.

      Und dort, in der Mitte der Felsenhalle, erleuchtet vom Schein Hunderter Kerzen, stand ein farbenfrohes Zelt aus Tüchern. Der starke Geruch nach Räucherstäbchen und leise, fremdartige Klänge wie von hölzernen Flöten drangen daraus hervor.

      Die Freundinnen näherten sich langsam dem Zelt und fühlten sich wie in eine andere Welt versetzt. Alles hier wirkte so magisch und geheimnisvoll. Die Kerzen warfen Schatten wie lebendige Wesen an die Wände und die Flötenmusik schien von verschiedenen kleineren Holzröhrchen auszugehen, die durch die Luftströme in der Höhle Töne erzeugten.

      Endlich hatten die Mädchen Madame Seirones Behausung erreicht und schoben die Tücher am Eingang beiseite. Fast bedächtig traten sie in den kleinen Raum, der dahinter lag. Durch diese Bewegung wurden verschiedene gläserne Glöckchen geläutet, die der alten Frau den ankommenden Besuch ankündigten.

      „Madam Seirone heißt euch herzlich willkommen“, erklang eine leise, ein wenig raue Stimme und die alte Wahrsagerin trat durch einen Perlenvorhang aus dem hinteren Teil des Zeltes heraus. Ihr langes, weißes Haar war mit einem Schleier bedeckt. An den Rändern hingen kleine, silberne Münzen, die bei jeder ihrer Bewegungen leise klimperten. Hoheitsvoll ließ sie sich auf ein Kissen sinken, vor dem ein Tisch mit einer Kristallkugel stand. „Ich habe euch erwartet.“

      „Es tut uns leid, dass wir so spät kommen, aber …“, begann Isa.

      „Ihr müsst mir nichts erklären und auch Entschuldigungen könnt ihr euch sparen. Lasst uns lieber mit dem beginnen, was ihr wissen wollt. Du!“, sagte die Wahrsagerin und deutete plötzlich auf Isa. „Mit dir möchte ich beginnen. Deine Aura ist außergewöhnlich stark. So etwas habe ich schon seit vielen Jahren nicht mehr erlebt. Nicht mehr seit …“

      Die Frau hielt inne und nahm sie genauer in Augenschein. Plötzlich zuckte sie zusammen und ihre Augen weiteten sich. „Ich kann es nicht glauben. Das ist unmöglich“, flüsterte sie.

      Isa war verwirrt. Sie wusste nicht, was sie auf die seltsame Reaktion der Frau erwidern sollte. „Ist irgendetwas nicht in Ordnung mit mir?“, fragte sie deshalb mit schnell schlagendem Herzen.

      „Nein, überhaupt nicht. Es ist alles in bester Ordnung. Ich war nur etwas überrascht, dich hier zu treffen. Komm, setz dich.“

      Vorsichtig ließ Isa sich auf einem der weichen Kissen gegenüber der Wahrsagerin nieder. Die anderen beiden Mädchen nahmen ebenfalls Platz. Isa konnte spüren, wie diese sich bedeutungsvolle Blicke zuwarfen.

      Doch nun konzentrierte sie sich wieder auf die Wahrsagerin. Was würde sie ihr wohl über ihre Zukunft sagen? Würde sie ihr vielleicht erklären, wieso sie so seltsam auf sie, Isa, reagiert hatte? Als würde sie sie bereits kennen?

      Madam Seirone beugte sich zur Kugel hinab. Bläulicher Nebel bildete sich darin und nach einiger Zeit wurde der Blick der Frau trüb. Es schien, als würde ihr Geist den Körper zurücklassen und in eine andere Welt übertreten, die Welt der Zukunft.

      Als sie zu sprechen begann, kam ihre Stimme von weit her, als komme sie aus dem Jenseits. „Ich sehe eine Prophezeiung, die schon vor deiner Geburt gesprochen wurde, und ich sehe drei andere Kinder, deren Geschichten dicht mit der deinen verstrickt sind. In eurer Hand liegt das Schicksal Arias und eure Zukunft steht in Verbindung mit eurer Vergangenheit“, hauchte die alte Frau geheimnisvoll. „Krieg steht bevor, schon bald.“ Ihre Worte hallten noch sekundenlang durch den Raum und lagen wie ein geheimnisumwobener Bann über dem Mädchen.

      Dann kehrte die Wahrsagerin mit einem Schlag in die Gegenwart zurück, gab einen erschrockenen Aufschrei von sich und riss die Augen auf.

      „Mögen dir alle guten Geister gnädig sein“, hauchte sie leise. „Unser Schicksal liegt in deiner Hand, Hoffnungsträgerin.“

      Dann blickte sie sie aus tiefblauen Augen an, und Isa hätte schwören können, ganz plötzlich das zu spüren, was sie auch immer in sich selbst gespürt hatte: Magie, geheimnisvolle, uralte Magie.

      *

      Das Goldene Amulett

      Es war die Nacht vor Isas 13. Geburtstag, an dem sich alles ändern sollte. Die Nacht, die ihr bisheriges Leben völlig auf den Kopf stellte.

      Seit der Vorhersage waren bereits zwei Wochen vergangen. Madame Seirone war noch in derselben Nacht wie vom Erdboden verschwunden und zu allem Überfluss hatte man Isa nun auch ihre beiden Freundinnen Serilena und Pentrilla genommen: Eine reiche, unfreundliche Familie, die weit weg von Merlina in der Stadt Menserza lebte, hatte sie vor wenigen Tagen aufgenommen und war mit ihnen in einer protzigen Kutsche fortgefahren.

      Beim Essen am Vorabend ihres Geburtstags war Isa so ruhig und verschlossen wie noch nie zuvor. Sie fühlte sich schrecklich alleine und in ihrem Kopf dröhnte