Waldlichter. A. V. Frank. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A. V. Frank
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960741800
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und sie wünschte sich auf einmal nichts sehnlicher, als von ihnen wegzukommen.

      Erneut klingelte ihr Telefon. Sie hatte sich gerade wieder beruhigt und trocknete ihre Tränen. Wütend schaute sie den Apparat an und beschloss, nicht dranzugehen. Sie ignorierte das Läuten und dachte lieber über Mike nach.

      Auch wenn sie ihn nicht mehr liebte, so wollte sie ihn trotzdem als Freund behalten. Er kannte sie gut. Er wusste, dass das ganze coole Verhalten bloß aufgesetzt war, wie sehr sie sich nach einer gewissen Normalität sehnte. Sie waren Freunde seit der achten Klasse. Damals war sie mit einem Typen aus der zehnten gegangen, und als der sie verprügeln wollte, war Mike dazwischengegangen. Seit diesem Augenblick waren sie geradezu unzertrennlich gewesen und seit einem halben Jahr offiziell zusammen. Es tat ihr weh, von ihm ersetzt worden zu sein. Aber so war das Leben eben.

      Sie seufzte. Doch leider ließ ihr Telefon sich nicht ignorieren, es klingelte beharrlich weiter. Sie wusste, wer dran war. Und sie wusste auch, dass es zu einem Streit kommen würde. Mal wieder. Also hob sie ab und prompt ertönte die Stimme ihres Vaters. „Kommst du bitte in den Salon?“ Sie ließ sich nicht von seinem sanften Tonfall täuschen.

      „Mir bleibt ja eh keine Wahl“, schnauzte sie ihn an und legte auf.

      Sie wischte sich noch einmal über die Augen, vergewisserte sich, dass man nicht sah, dass sie geweint hatte, und schlenderte dann betont langsam in den Salon. Dort warteten ihre Eltern bereits auf sie, beide sahen noch äußerst verschlafen aus.

      Ihre Mutter begann: „Lysana, wieso hast du uns nicht gefragt, ob du diese Party veranstalten darfst?“ Sie schien die Frage ernst zu meinen.

      Ana lachte trocken auf. „Weil ich wusste, dass ihr es mir verbieten würdet.“

      Ihr Vater nickte und sagte dabei: „Stimmt, denn wir wollen nicht, dass du so viel trinkst. Hattest du heute Morgen einen schönen Kater? Normalerweise bringt der die jungen Saufbolde wieder zur Vernunft, aber so scheint es bei dir nicht zu sein. Noch dazu wollen wir keine Party in unserem Haus, die außerdem so laut ist. Also waren wir gezwungen, gewisse Maßnahmen zu ergreifen.“

      Hier unterbrach sie ihn. „Maßnahmen? Ich bin 17, ich darf doch wohl selbst über mein Leben bestimmen! Es ist mir egal, was ihr euch jetzt schon wieder ausgedacht habt, ich werde es nicht machen.“

      „Und ob du das machen wirst! Dir wird keine andere Wahl bleiben, weil du ansonsten unter die Brücke ziehen und dir dein Leben mit Alkohol kaputt machen kannst.“ Die Idee, die ihre Mutter da ansprach, klang verlockend. Dann würde sie wenigstens nicht länger unter dem elterlichen Joch stehen. Aber gleichzeitig hätte sie so keinen Cent mehr, und wenn ihr etwas wichtiger war als Alkohol und Unabhängigkeit, dann war es Geld. „Was soll ich überhaupt machen?“, fragte sie, um ihre Nachdenklichkeit zu überspielen. Sie sollten nicht merken, dass sie ernsthaft darüber nachdachte, ihr Leben hinzuschmeißen.

      „Du sollst für den Rest des Sommers in den Westen auf Urlaub gehen. Es gibt dort Ferienwohnungen für Leute in deinem Alter und akzeptable Hausregeln. Wenn du die dann auch nicht befolgst, schicken wir dich wirklich unter die Brücke. Wir wissen nicht mehr, was wir sonst noch tun sollen mit dir.“ Das kam wieder von ihrer Mutter. Sie machte ganz große Augen, doch Ana war sich nicht sicher, ob sich Wut oder Trauer darin spiegelte.

      „Was sind das denn für Regeln?“, fragte sie vorsichtig. Generell hatte sie nichts dagegen, hier mal rauszukommen, aber bei Regeln sollte man besser Vorsicht walten lassen, vor allem wenn ihre Eltern sie toll fanden. „Alkohol nur unter Aufsicht, keine Drogen, keine körperlichen Annäherungen jeder Art, Bettruhe um 24 Uhr und kein Randalieren. Außerdem ist es ein kleines Kaff, nennt sich allerdings Kleinstadt, direkt am Wald. Landluft wird dir guttun.“

      Ana bekam Atemnot. „Es ist nicht zufällig ein Kloster, in das ihr mich da schickt?“, fragte sie mit erstickter Stimme. Das war schlimmer als alles, was sie sich vorgestellt hatte.

      „Nein, es ist eine respektable Ferienwohnsiedlung in Grettersane, einer Kleinstadt in der Nähe von Roundstone, wie ich schon sagte“, gab ihre Mutter ruhig zurück.

      „Niemals!!!“, schrie Ana, drehte sich um und rannte aus dem Haus. Leider wurde sie von ihrem Vater, der ihr hinterhergesprintet war, abgefangen und wieder in die Eingangshalle gezerrt.

      Er sah ihr tief in die Augen und sagte: „Hör zu, es ist wirklich nur zu deinem Besten. Und so schlimm ist es dort auch nicht, es ist eine schöne Umgebung, da kannst du mal etwas anderes außer dem Stadtleben kennenlernen.“ Sie wehrte sich noch immer, aber er ließ sie nicht los. „Es ist egal, ob du willst oder nicht, dein Flug ist gebucht und deine Mutter ist bereits hochgegangen, um deinen Koffer zu packen. Und morgen sitzt du schon im Flieger.“

      Nun war sie stumm, ihre Augen waren schreckgeweitet. Ihr Vater ließ sie los, doch sie blieb weiterhin bewegungslos stehen, konnte sich nicht rühren. Mit aller Macht bekämpfte sie die Tränen. „Ich werde abgeschoben, ich bin nicht gewollt, ich komm ins Kloster, ich werde abgeschoben, ich bin nicht gewollt ...“, klang es wie eine hängen gebliebene Schallplatte in ihrem Kopf.

      Die folgenden Stunden zogen an ihr vorbei, ohne dass sie sich später hätte erinnern können, was sie in der Zeit gemacht hatte.

      Der Morgen kam viel zu schnell, sie stieg in das Auto ihres Vaters, hinten im Kofferraum ihr großer Koffer, genug darin für den ganzen Sommer. Verschwommen hörte sie das Treiben am Flughafen von Dublin, ging durch die Sicherheitskontrollen, verabschiedete sich mechanisch von ihren Eltern.

      Erst als sie ins Flugzeug einstieg, wurde ihr bewusst, dass sich ihr größter Wunsch soeben erfüllte. Sie war der Kontrolle ihrer Eltern entkommen. Dass sie dafür unter der Kontrolle anderer stehen würde, noch strengere, schlimmere Regeln befolgen sollte, interessierte sie dabei nicht im Geringsten. Selbst wenn es wirklich so schlimm sein sollte, würde sie das Beste daraus machen. Sie hatte einen Sommer vor sich, in dem sie ihren Eltern komplett entronnen war.

      Als das Flugzeug abhob, lächelte Lysana.

      *

      Kapitel 3

      Transca stieß sich den Kopf an einem tief hängenden Ast. Fluchend rieb sie über die schmerzende Stelle und fragte sich, warum sie ihn nicht gesehen hatte. Sie blickte sich um und bemerkte erstaunt, dass sie bereits am Waldrand war. Dabei hatte es vorhin noch so ausgesehen, als ob sie inmitten des tiefsten Waldes auf einem ausgetretenen Pfad dahinschreiten würde. Eben hatte sie auch noch ein fließendes hellgrünes Kleid aus leichtem Leinen getragen, doch jetzt hatte sie ihre normale Khakihose und ihr ausgewaschenes, grobes und viel zu weites Sweatshirt wieder an. Sie runzelte verwirrt die Stirn. Sie nahm doch keine Drogen und trank auch nicht, woher dann die Halluzinationen?

      Vorhin noch war ihr der wunderbare Duft des Waldes in die Nase gestiegen, ganz intensiv, aber jetzt roch sie nichts Besonderes. Einen schwachen Abklatsch des wunderbaren Aromas konnte sie noch wahrnehmen, aber mehr nicht.

      „Jetzt werde ich endgültig verrückt, hat mich schon gewundert, warum das überhaupt so lange gedauert hat ...“, dachte sie und verzog den Mund zu einem ironischen Lächeln. Sie trat mit traumwandlerischer Sicherheit auf die trockenen, tragenden Stellen des Waldbodens, der ansonsten eher an eine Sumpflandschaft erinnerte, vor allem hier, weit im Süden. Dieser Wald war ihre Heimat, mehr noch als der Wohnwagen, in dem sie mit ihrem Cousin Robin lebte. Sie kannte ihn in- und auswendig.

      Als sie aus dem grünen Dickicht hinaustrat, ging gerade die Sonne unter. Sie beeilte sich zurückzukommen, damit Robin sich nicht sorgte. Auch wenn sie in einem Monat schon 19 wurde, hatte er immer Angst, sie würde im Wald verschwinden und nie wieder zurückkommen.

      Einmal hatte sie im Wald übernachtet, ohne ihm Bescheid sagen zu können, da ihr Handy nutzloserweise auf ihrem Bett lag. Er war schier verrückt geworden und sie hatte eine Woche nicht aus dem Wohnwagen gedurft. Seitdem nahm sie ihr Handy immer mit, auch wenn es meistens ausgeschaltet war.

      Mit der Schule war sie längst fertig, da es hier in Grettersane nur eine Art Mittelschule gab, in der die Kinder bis zur elften Klasse