Waldlichter. A. V. Frank. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A. V. Frank
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960741800
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herumgefummelt hatte.

      „Hey Mike, hast du deinen Kater schon ausgeschlafen?“, fragte sie verwirrt. Denn er hatte gestern definitiv mehr intus gehabt als sie und sie hatte den ihren noch überhaupt nicht ausgeschlafen.

      „Nein, wie könnte ich? Dafür müsste ich wohl noch eine Woche schlafen“, bestätigte er ihren Verdacht mit verschlafener Stimme. „Aber ich wollte dir sagen, dass ich jetzt mit Cloé gehe. Sorry, aber die hat echt mehr drauf als du. Und ich schlafe jetzt weiter, bevor mein Kopf explodiert. Bye!“

      Diese Worte schockten Ana dann doch etwas. Aufgrund einer Party, die sie veranstaltet hatte, machte er mit ihr Schluss? Doch je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr Vorteile erkannte sie. Sie stand ohnehin schon lange nicht mehr auf ihn. „Jetzt kann ich wenigstens den Süßen von gestern Abend anrufen ... Nun ja, mach ich lieber später“, dachte sie, als ihr Kopf wieder anfing zu schmerzen. Sie warf das Telefon von sich, drehte sich um und schlief wieder ein.

      Ihr Traum war allerdings etwas seltsam, vor allem da sie sonst nie träumte oder sich zumindest nie daran erinnerte. Sie war in einem Wald. Das allein war schon seltsam. Sie war bisher noch nie in einem Wald gewesen, der so verwildert und dreckig war. Sie war ein paar Mal im Phoenix Park gewesen, aber das war kein Vergleich zu diesem Wald gewesen. Sie bevorzugte Strand und Meer.

      Vorsichtig schaute sie sich um. Sie sah bloß Bäume, Flechten und Farne, sie hörte nur das Surren von Insekten und ein paar einzelne Vogelrufe in der Ferne. Doch es war nicht das übliche Gezwitscher, das sie vernahm, es waren helle Stimmen, die riefen: „Sie kommen, sie kommen!“

      Sie hörte auch einen Vogel schreien: „Wenn sie nicht siegen, dann sterben wir alle!“

      Auch das war definitiv seltsam. Ein Vogel, der prophezeite, alle würden sterben? Ihrem Hirn musste es mies gehen, damit es sich so etwas ausdachte.

      Sie wollte zu dem Vogel laufen, wollte wissen, wer mit sie gemeint war, aber sie konnte sich nicht von der Stelle bewegen. Dann hörte sie Wasserrauschen, das rasch anschwoll. Sie wirbelte herum und sah, dass eine riesige Welle auf sie zuschoss. Mitten im Wald.

      Musste sie sich noch denken, dass das seltsam war? Nein! Also wirklich, eine Welle mitten im Wald. In dem Moment schwor sie sich, sich in näherer Zukunft vom Whiskey fernzuhalten. Aber nicht nur der Traum war seltsam, auch die Form des Traums kannte sie nicht. Es schien, als würde sie sich selbst zusehen und dabei noch einigermaßen rational denken. Äußerst verwirrend.

      Sie schrie auf, versuchte verzweifelt wegzurennen. Natürlich konnte sie es nicht und so drehte sie sich wieder zu der Welle um. Sie war nun direkt vor ihr, die Bäume waren nicht mehr zu sehen. Es war alles nur noch blau. Dann schlug sie über ihr zusammen. Doch sie wachte nicht auf oder starb im Traum oder so etwas.

      Nein, sie fühlte sich wohl im Wasser und hörte eine Stimme murmeln, zu leise, als dass Ana sie hätte verstehen können. Sie strengte sich mehr an und schnappte ein Wort auf. „Nykra.“ Mehr nicht.

      Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, aber es blieb ihr auch gar nicht die Zeit, richtig nachzudenken, denn das Wasser verschwand. Es sickerte in den Waldboden ein. Sie erhaschte noch einen Blick auf den Wald, der diesmal voller Leben zu sein schien, dann wachte sie auf.

      Sie lag zitternd in ihrem großen Bett. Es war bisher erst einmal passiert, dass sie sich an einen Traum erinnern konnte, und das war schon lange her. Vor vier Jahren, im zarten Alter von 13 Jahren, hatte sie einmal geträumt.

      In diesem Traum war sie von einem Wolfsrudel angegriffen worden, alles große Tiere mit grauem oder weißem Pelz und weißen Augen. Sie schnappten nach ihr und knurrten, versuchten näher zu kommen, aber irgendetwas schien sie daran zu hindern. Doch dann war da ein riesiger Wolf erschienen, größer noch als die anderen, und auf sie zugekommen. Die anderen hatten ihm Platz gemacht und waren vor ihm zurückgewichen, als ob er eine ansteckende Krankheit gehabt hätte. Auch sie hatte versucht, Abstand zwischen die Bestie und sich zu bringen, doch hinter ihr hatten die Wölfe wieder geknurrt und nach ihr geschnappt. Dann war ihr aufgefallen, dass der Riesenwolf schwarz war. Ein einziges schwarzes Tier. Sie wusste, dass das etwas zu bedeuten hatte, konnte sich aber keinen Reim darauf machen. Er überschritt die unsichtbare Grenze, die sie zuvor vor den anderen geschützt hatte, mühelos und blieb genau vor ihr stehen.

      Sie schaute ihm ängstlich in die Augen, die ebenfalls schwarz waren, und hörte auf zu zittern. In diesen Augen lagen Anteilnahme und Verständnis. Unwillkürlich streckte sie die Hand aus und berührte den Wolf am Kopf. Sie hatte keine Angst mehr. Er hatte ganz zartes Fell, schnaubte, schmiegte den Kopf kurz in ihre Hand und verschwand dann mit dem Rest des Rudels wieder im Wald. Als sie damals erwacht war, hatte ihr Vater an ihrem Bett gestanden und ihr gesagt, dass ihre Mutter im Krankenhaus läge. Sie habe mitten in der Nacht einen Schlaganfall oder Ähnliches gehabt. Ängstlich war sie in ihrem Bett geblieben und hatte gehofft, ihre Mutter würde heil und munter wiederkommen.

      Ihre Hoffnung hatte sich erfüllt. Doch sie verband jenen Anfall ihrer Mutter stets mit ihrem Traum. Sie wusste bis jetzt nicht, was es mit dem eigenartigen Wolf auf sich gehabt hatte, hatte das Ereignis einfach verdrängt. Aber nun hatte sie wieder geträumt. Was war wohl diesmal passiert?

      Auf wackeligen Beinen erhob sie sich, ging zu ihrem Tisch und aß den Rest ihres Frühstücks. Danach fühlte sie sich so wach, dass sie ihren Eltern unter die Augen treten konnte, auch wenn das mit einem Selbstmordkommando zu vergleichen war. Doch sie musste das einfach tun, sie musste wissen, ob alles in Ordnung war.

      Also nahm sie das Tablett, brachte es in die Küche und machte sich auf den Weg zum Schlafzimmer ihrer Eltern.

      Ihre Mutter Christine war dunkelhäutig, hatte schwarzes Haar und schwarze Augen. Sie war ziemlich klein. Ihr Vater Martin hingegen war blond, hatte blaue Augen und war ziemlich groß. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wie sie eigentlich grünäugig, rötlich blond und von mittlerer Statur sein konnte. Wieso ihre Haut nicht dunkler war, ähnlich der von Christine. Aber letztendlich war es auch egal.

      Sie klopfte an und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Als sich die Tür langsam öffnete, war sie schon kurz vorm Hyperventilieren.

      Verschlafen schaute ihre Mutter sie an. „Was gibt es, dass du uns nicht mal ausschlafen lässt, nachdem du gestern diese Lärmbelästigung veranstaltet hast?“

      „Ja, sie ist noch böse“, dachte Ana, zwar nicht schuldbewusst, aber nervös. Sie wusste, dass sie es diesmal übertrieben hatte.

      „Ich wollte nur wissen, ob mit euch alles in Ordnung ist“, antwortete sie und erhaschte einen Blick auf ihren Vater, der schnarchend im Bett lag.

      Ihre Mutter runzelte die Stirn und sah sie prüfend an. „Hast du geträumt?“, fragte sie äußerst scharfsinnig. Ana hatte ihr damals davon erzählt und versprochen, immer sofort zu ihr zu kommen, sollte sie jemals wieder träumen. Und sie hielt sich dran. „Ja, habe ich. Eine Welle überrollte mich. Mitten im Wald“, antwortete sie leise, um ihren Vater nicht zu wecken.

      Die Runzeln in der Stirn ihrer Mutter wurden tiefer. „Uns geht es gut, aber danke, dass du trotzdem zu mir gekommen bist. Ich schätze deine Sorge.“ Sie lächelte ihre Tochter an, drehte sich um und schloss die Tür wieder hinter sich.

      Ana blieb davor stehen und starrte die verschlossene Pforte ungläubig an. Das hatte geklungen, als ob sie bei einer Psychiaterin in eine Sitzung geplatzt wäre. Genauso kalt und berechnend hatte ihre Mutter geklungen und dreingeblickt.

      Ana wirbelte herum und stürmte zurück in ihr Zimmer. Dabei dachte sie: „Entschuldigung, dass ich euren hochfeinen Schlaf gestört habe. Es tut mir leid, dass ich mich auch mal nach Elternliebe gesehnt habe. Entschuldigung, dass ich mir Sorgen gemacht habe!“ Sie hätte es gerne herausgeschrien, hielt sich aber zurück.

      Als sie in ihrem Zimmer angekommen war, trat sie mit voller Wucht gegen ihre Matratze. Dann ließ sie sich auf dieselbe sinken und weinte. Dafür hasste sie ihre Eltern noch mehr. Dafür, dass sie sie zum Weinen brachten.

      Typisch! Es war so typisch für ihre Eltern. Sie konnte sich nicht daran erinnern,