Waldlichter. A. V. Frank. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A. V. Frank
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960741800
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jeder einzelnen Tat

      standet ihr mir bei,

      nun es auch so sei.

      Jetzt rufen wir euch her,

      nach Rat verlangt es uns sehr.

      Helft uns in diesen Tagen

      in allen Lebenslagen!“

      Auf einmal begann die Obsidianschale, zu glühen und zu vibrieren. Nicja sah staunend zu, wie von der Decke Wasser in den Farben der Göttinnen tropfte und in die Schale fiel. Dieses Schauspiel war jedes Mal Ehrfurcht gebietend. Wie ein Regenbogen schimmerte das Wasser und die Höhle, vorher so düster, war jetzt hell erleuchtet. Dann ertönte eine leise Stimme, doch Nicja konnte nicht sagen, ob sie aus den Felsen, aus der Schale oder aus ihrem Kopf kam.

      „Wir sind da und werden dir deine Fragen so gut wie möglich beantworten, Tochter.“

      Nicja war überrascht, dass Lifrana zuerst sprach, ihre persönliche Schutzgöttin. Normalerweise eröffnete Midjis ein Orakel. Sie antwortete schnell: „Mijna wurde zu euch befohlen. Deshalb sind die Draugrande unruhig und verunsichert. Sie fürchten, dass ihnen Vara zürnt. Sie befürchten außerdem einen erneuten Krieg zwischen uns und den Duorc, den wir nicht gewinnen können. Wird es dazu kommen?“

      Diesmal antwortete Midjis. Es dauerte eine Weile, bis Nicja verstand, was die Göttin gesagt hatte, denn ihre Stimme bestand aus vielen verschiedenen Stimmen. „Vertrauen, Liebe und Schmerz sind eins in diesen Tagen, doch sobald nur eines davon fehlt und der Bund der drei vergeht, wird die Dunkle sich die größten Geschenke einverleiben und alles ins Chaos stürzen.“

      Nicja erschauerte. „Sind die Duorc also die Verantwortlichen für Mijnas Tod? Werden sie erneut angreifen? Haben sie neue Stärke erlangt?“, fragte sie schnell weiter, denn sie merkte, wie sehr es an ihren Kräften zehrte, die direkte Verbindung zu den Göttinnen aufrechtzuerhalten.

      Nun antwortete Nykra mit einer Stimme, die der tosenden See glich: „Jene Wesen, die sich weigerten, zu mir zu kommen, brachten mir nun Mjina. Und sie wird nicht die Letzte gewesen sein. Auch du wirst bald Verluste ertragen müssen. Und durch die Kräfte eines alten Widersachers sind sie stärker als je zuvor.“

      „Was können wir dagegen tun? Können wir überhaupt etwas unternehmen? Oder sind wir hilflos?“, fragte Nicja erschüttert.

      Blawde begann mit einer erstaunlichen Antwort: „Einer der euren wird Hilfe finden bei denen, die ihr fürchtet.“

      Billingra fuhr fort: „Doch müsst ihr sie noch formen und in ihr auch die Gefahr erkennen.“

      Nykra beendete: „Sonst wird sie euch vielleicht vernichten statt retten.“

      Beunruhigt bemerkte Nicja, wie oft Nykra, die Göttin des Todes, sprach. Ein weiteres schlechtes Omen? Dann jedoch erlosch das Licht und sie blieb allein in der Dunkelheit zurück, mit Ängsten, die nun zur Gewissheit geworden waren.

      *

      Kapitel 1

      Ich schloss die Tür auf und begrüßte lauthals den leeren Flur. Einen Moment blieb es still, dann kam eine Antwort aus dem Wohnzimmer.

      „Hallo Victoria. Dein Essen steht auf der Anrichte, du kannst es dir warm machen, wir haben schon gegessen“, begrüßte mich meine Mutter Helen. Ausnahmsweise hörte man ihren schottischen Akzent kaum, also musste sie sich sehr auf etwas konzentrieren.

      Ich zog zunächst die schwarzen Pumps aus, in die ich mich gequält hatte. Ich hasste diese Schuhe, denn sie drückten und kniffen die ganze Zeit, doch leider gab es eine Kleiderordnung bei den Vorträgen. Ich schlurfte auf der Nylonstrumpfhose in die Küche und schob den Nudelauflauf in die Mikrowelle.

      Während mein Essen warm wurde, warf ich einen Blick ins Wohnzimmer und sah, was meine Mutter so beschäftigte. Sie ließ unseren Film laufen und betrachtete interessiert unsere Erkenntnisse. Die Dokumentation zeigte die Folgen der Ölverschmutzung der Meere für die Fische. Ich war im Vorsitz einer Umweltschutzorganisation, der wir den Namen Pan gegeben hatten, nach dem griechischen Naturgott. Gerade eben hatte ich unseren neuen Film vorgestellt und dazu ergänzende Fakten genannt. Deshalb auch die verfluchten Pumps, aber was tat man nicht alles für die Tiere.

      In der Küche piepste die Mikrowelle und ich riss mich von dem Anblick der tot angespülten Fische los, um meinen knurrenden Magen zu besänftigen. Dabei wäre ich fast in meinen Vater hineingelaufen, der plötzlich hinter mir im Flur stand.

      „Hi Dad“, begrüßte ich ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange, bevor ich mich an ihm vorbei in die Küche drückte. Er folgte mir und setzte sich zu mir an den Tisch.

      „Und wie war eure Vorstellung? Hat sie die Menschen erreicht?“, erkundigte er sich.

      Ich sah kurz auf, bevor ich weiteraß. „Die wenigen Leute, die sich von ihren bequemen Sesseln lösen konnten, um uns zuzuhören, wirkten zwar allesamt sehr schockiert und mitgenommen, doch es würde mich wundern, wenn auch nur einer davon etwas tun würde. Manchmal verliere ich wirklich den Glauben an die Wirksamkeit unserer Sache“, erklärte ich zwischen zwei Bissen.

      „Ja, es ist schwer, Menschen aus ihrer Blase der Bequemlichkeit herauszulocken, aber ich denke, mit diesem Film könnt ihr einiges erreichen, er ist wirklich gut geworden. Es hat mich gewundert, dass Elisabeth praktisch alles allein erzählt hat, ich dachte, sie sei nur für den Schnitt des Films verantwortlich?“

      Meine Miene verfinsterte sich schlagartig, als die Sprache auf Elisabeth kam. „Sie hat sämtliche Texte nachgesprochen und dann diese Version für den Film genommen. Sie muss sich schließlich ordentlich in Szene setzen ... Dabei ist sie nicht einmal im Vorstand. Das wird noch Folgen haben, da kannst du sicher sein! Du glaubst nicht, wie schwer es mir gefallen ist, mir nichts anmerken zu lassen, als ich vorhin vor ungefähr 60 Leuten feststellen musste, was sie gemacht hat. Und wenn die Leute dann nach vorne kamen, um mit uns zu reden, dann war die Ansprechpartnerin natürlich immer Elisabeth.“

      Mein Vater drückte mir beruhigend den Arm.

      „Stefan, komm und sieh dir das an!“, rief da meine Mutter aus dem Wohnzimmer und mein Vater erhob sich schmunzelnd.

      „Schatz, ich habe den Film doch schon gesehen“, rief er, während er sich zu ihr gesellte.

      Immer noch wütend verdrückte ich den Rest des Auflaufs und ging nach oben in mein Zimmer, um mich umzuziehen. Ich fühlte mich sofort besser, als ich aus dem engen Kostüm rauskam und wieder in Jeans und T-Shirt steckte. Allerdings ging ich danach nicht sofort wieder runter, sondern nahm aus meiner Tasche das Formular, das mich schon die ganze Zeit beschäftigte. Es beinhaltete Informationen und die Anmeldung für eine Reise in den Westen Irlands. Anmeldeschluss war morgen.

      Die Reise war für den gesamten Vorstand von Pan organisiert worden, als Dankeschön für unser Engagement bei der Produktion des Films. Ziel war eine kleine Feriensiedlung in einer Kleinstadt namens Grettersane – ein Name, der meinen Eltern Bauchschmerzen bereiten würde. Alles hing mit meiner älteren Schwester Vetana zusammen. Vor vier Jahren war sie in einem Wald bei Grettersane verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Ein halbes Jahr später war sie für tot erklärt worden.

      Mein Blick fiel auf ein Bild, das uns beide als Kinder zeigte. Wie ich hatte sie hellbraune Haare gehabt, doch ihre waren ganz glatt gewesen, während meine sich wild und unsymmetrisch wellten. Sie trug auf dem Bild ihr sonnenblumengelbes Sommerkleid und hatte ihren Arm um meine schmalen Schultern gelegt. Das Bild war vor zehn Jahren entstanden, zu einer Zeit, in der ich sie über alle Maßen vergöttert hatte, wie man an meinem bewundernden Blick auf dem Bild erkannte. Noch heute bewunderte ich sie, auch wenn ich sie dafür verfluchte, dass sie nicht zurückgekehrt war. Für die Traurigkeit, die seitdem immer in den Augen meiner Eltern nistete und die mich immerwährend umfangen hielt, selbst wenn ich inzwischen viel besser damit umgehen konnte.

      Vier Jahre waren vergangen – Jahre, in denen ich alles gegeben hatte, um meine Eltern stolz zu machen und in die Fußstapfen meiner Schwester