Rückkehr nach Europa. Gerhard Deiss. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Deiss
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990650103
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Französisch tat mir gut und legte sich wie Balsam auf mein heruntergekommenes Dasein. Am dritten Tag vermeinte ich ein Lächeln in ihrem Gesicht zu erkennen, zumindest sah sie mich offen an und blickte nicht mehr verlegen auf ihre Fußspitzen.

      Als ich zwar noch nicht an ihrem Arm, aber in ihrer Begleitung endgültig Madickés Loch verließ, standen die Nachbarn Spalier und überreichten mir kleine Geschenke, ein vergilbtes T-Shirt, sogar einen afrikanischen Boubou, einen Blechnapf, wohl aus Armeebeständen stammend, und einen Sack Reis. Der Älteste des Gevierts wünschte mir alles Gute und schüttelte mir die Hand. Ich bedankte mich so gut es ging, auch bei Madické, der etwas verlegen dabei stand.

      »Und was wirst du jetzt machen? Du solltest heimkehren und dich behandeln lassen, hat mir der Arzt gesagt. Nächstes Mal kann es schlecht ausgehen.« Sehr zaghaft war Coumbas Stimme, sie kam gegen den Straßenlärm kaum an. Ich fühlte mich unangenehm an meine Vorvergangenheit erinnert.

      »Unsere Botschaft – mit denen will ich nichts zu tun haben, ich habe in Europa nichts verloren.«

      Coumba stellte keine Fragen, offenbar wusste sie, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte.

      »Wohin gehst du – hast du niemanden, bei dem du bleiben kannst?« Dass sie diese Frage erst jetzt stellte, verwunderte mich.

      »Ich wohne auf der Corniche mit Blick aufs Meer und ›pied dans l’eau‹, wie es sich die Touristen immer wünschen.« Tatsächlich hatte ich vor einiger Zeit eine Höhle im Steilabfall zum Meer hinunter entdeckt, die mir ein angenehmes Zuhause geboten und mich vor allen Regengüssen der letzten Wochen geschützt hat. Der Regen hat auch die Polizei davon abgehalten, vereinzelte Razzien an der Küste durchzuführen. Außerdem war meine Höhle gut versteckt und weit von jenen Höhlen entfernt, in denen die Rauschgifthändler und die Prostituierten ihrem jeweiligen Gewerbe nachgehen. »Höhlen innerhalb von Höhlen«, hat mein philosophischer Freund Boubacar, einer der Wertkartenverkäufer und Absolvent des Philosophiestudiums der Universität Bamako, nachdenklich bemerkt, als eines Abends eine erregte Diskussion der Corniche-Bewohner darüber, ob man Prostituierte dort dulden sollte oder nicht, eingesetzt hatte. »Solange die Moscheen weit genug entfernt sind, sollen sie ihre Höhlungen in den Höhlen anbieten«, hat er damals die Diskussion beendet.

      An diesem Abend verabschiedete sich Coumba nur mit einem leichten Händedruck von mir. Trotz der schlechten Straßenbeleuchtung – die meisten der Solarlampen waren wegen der verschmutzten Paneele ausgefallen – sah ich in ihrem Gesicht ein Lächeln, das mich innerlich wärmte. Nach der Hitze des Tages fegte plötzlich ein heftiger Wind vom Meer herein.

      »Es wird gleich regnen, du musst heim. Und danke für alles.« Mehr brachte ich nicht heraus. Ich sah ihr noch nach, wie sie in einen der öffentlichen Busse stieg und im Abendverkehr verschwand. Die Abenddämmerung war plötzlich von schwarzen Wolken überlagert worden, Sturzbäche brachen mit einem Mal über die Stadt herein. So rasch es mein Zustand erlaubte, eilte ich zu meiner Höhle, die ich nach einer Woche Abwesenheit im selben Zustand wie zuvor antraf. An der hinteren Felswand lag noch gut versteckt mein Bündel, das meinen Hausrat ausmachte. Die mitgebrachten geschenkten Gegenstände legte ich dazu, dann streckte ich mich auf meiner Matte aus, wo ich in den Halbschlaf verfiel, den ich mir in meinem Leben im Freien angeeignet habe, immer bereit, auf mögliche Störungen oder Gefahren reagieren zu können. Doch diesmal war es nicht die Bedrohung, es war die Erinnerung an Coumbas Lächeln und an den Druck ihrer Hand gegen die meine, die von mir Besitz nahm und sie mir von einem Schutzengel zu einer immer mehr begehrten jungen Frau werden ließ.

      V

      Wir gleiten sanft dahin. Das Meer ist ruhig, die Menschen an Bord sind ruhig, nicht aus Angst, sondern in freudiger Erwartung. Sie denken wohl, es werde die nächsten fünf, schlimmstenfalls sechs Tagen ebenso weitergehen. Treibstoff ist sogar für sieben Tage vorhanden, es gibt einen zweiten Motor, der bereitliegt, um den bisher klaglos und regelmäßig vor sich hin arbeitenden Außenbordmotor im Fall einer Panne zu ersetzen. Fünfhundert Liter Trinkwasser sind auf dem Boot vorhanden, in großen Behältern, eine Menge, die Abdoulaye für ausreichend erklärt hat. Reis, getrocknetes Gemüse, all das wird von Abdoulaye am Abend auf einem Kocher zubereitet werden. Zunächst hat er versucht, Coumba als einziger Frau an Bord diese Aufgabe zu übertragen. Sie lehnte jedoch ab, denn sie hat wohl Angst, von meiner Seite zu weichen. Heute Mittag gelang es den Lebous, mit Ködern an einer einfachen Schnur etliche Fische zu fangen, die Abdoulaye am Abend grillen will. Die Fischernetze seien zur Tarnung mitgenommen worden, man solle sie, so Abdoulaye, noch nicht direkt zum Fischen verwenden.

      Nur der Fahrtwind erfrischt uns zurzeit, sonst herrscht Windstille. Badou steht auch jetzt unbeirrbar an der Lenkstange, die er nur selten an Abdoulaye abgibt, etwa, um die Lage des Boots mit seinem GPS-Gerät zu kontrollieren.

      »Wir sind etwa zehn Kilometer von der Küste entfernt, abends sollten wir die mauretanischen Gewässer erreichen.«

      Mauretanien. Ich erinnere mich, wie ich mit einem gebrechlichen und halb verrosteten Volkswagen – einem roten Passat – am Festland entlang der Passatwinde in die entgegengesetzte Richtung gefahren bin. Damals gab es schon eine asphaltierte Straße von Nord nach Süd, über den Strand wäre mein Fahrzeug wohl nicht weitergekommen.

      Warum gerade ich dieses Auto nach Westafrika überstellen sollte – die Reise hätte bis Nigeria gehen sollen –, daran will ich mich gar nicht erinnern. Für derartige Fahrten suchten sich die Ankäufer von europäischen Schrottautos eher unternehmungslustige junge Leute aus, die Freude am Abenteuer haben und die den Heimweg dann mit einem bereits vorausbezahlten Flugticket antreten. Zahlreich waren die Polizeikontrollen auf der Straße zwischen der nordmauretanischen Stadt Nouadhibou und der Hauptstadt Nouakchott, einer staubigen Ansammlung meist eingeschossiger Häuser, die nicht viel mehr bietet als ein paar akzeptable Restaurants und Läden, um Proviant aufzunehmen, die aber doch groß genug ist, um auch auf diesem Außenposten Afrikas veritable Verkehrsstaus vorweisen zu können. Zur Erholung fuhr ich zum nahegelegenen Strand und sah dem regen Treiben der durchwegs dunkelhäutigen Menschen am Fischerhafen zu. Die buntbemalten Pirogen gefielen mir schon damals. Ich hätte aber nie daran gedacht, dass ich einmal in einem derartigen zum Seelenverkäufer verwandelten Fischerboot als einziger Weißer inmitten von Schwarzen die Heimreise nach Europa antreten würde.

      Ich war erleichtert, nur noch drei Stunden Fahrt bis zur Grenze des Senegals vor mir zu haben, zu sehr beunruhigten mich die Warnungen, die westliche Botschaftskanzleien an ihre Staatsangehörigen wegen des Risikos der Entführung durch Terroristen richteten.

      Öfter fiel mir damals während meiner einsamen Fahrt Antoine de Saint-Exupéry ein, der zwischen den Weltkriegen mit der zu befördernden Post von Frankreich nach dessen westafrikanischen Kolonien dieselbe Route genommen haben musste, in einem anderen Element als ich damals auf der Erde bzw. jetzt auf dem Wasser. Waren es die sternenklaren Nächte am Rand der Sahara, dass er sich eben diesen Sternen nahe fühlte und sie mit seinen eigenen Geschöpfen bevölkerte? Ich selbst wagte es nicht, neben der Straße im Freien zu übernachten, die Angst vor jenen Wüstenbewohnern, die vorzugsweise Europäer zu fangen versuchen, um sie dann an irgendwelche Katibas zwecks Lösegelderpressung oder Freilassung von inhaftierten Terroristen weiterzuverkaufen, die Angst, selbst Sklave zu werden – ein später Treppenwitz der Geschichte, zweihundert Jahre nach Abschaffung des Sklavenhandels und der Sklaverei in Europa –, diese Angst hat während der ganze Zeit Besitz von mir ergriffen. Die knallrote Farbe meines Autos hat ja dabei noch zusätzlich für Auffälligkeit gesorgt. Erst als ich den Senegalfluss überquerte, inmitten von überladenen Lastwagen, Viehherden und zahlreichen Einheimischen, deren Kleider die Pirogen an Buntheit weit übertrafen, fühlte ich mich geborgen. Daran änderte auch der stundenlange Ausfall des Motors der Fähre inmitten des Flusses nichts. Ich war wirklich am schwarzen Kontinent angekommen.

      Der junge Mann neben mir ist jetzt wach geworden. Seit Besteigen des Boots ist er unter der Decke gelegen und hat sich kaum bewegt. Er reibt sich die Augen und sieht sich um, verwundert, wie es mir scheint, weniger über meine Hautfarbe als darüber, sich plötzlich in einem Boot auf dem Ozean wiederzufinden. Sehr höflich erkundigt er sich bei mir, wo wir jetzt seien. Er erweckt den Eindruck, als könne er sich gar nicht erinnern, warum er überhaupt an