Konrad P. Liessmann. Marion Fugléwicz-Bren. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marion Fugléwicz-Bren
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783907126387
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Fragen der Lebensführung zu thematisieren, ist solch eine Reduktion und Konzentration immer problematisch gewesen. Aber natürlich muss man sich im Klaren sein, dass man einer größeren Öffentlichkeit gegenüber anders schreiben und sprechen muss als vor spezialisierten Fachkollegen. Schwierig ist beides, und beides sollte anerkannt und in ein produktives Verhältnis zueinander gebracht werden. Populäre Philosophie ohne wissenschaftlichen Hintergrund bleibt allerdings meist flach, akademische Philosophie ohne aufklärerischen Anspruch wird oft inzestuös.»

      Die Privatwohnung eines Ästheten

      Bewölkt und kühl ist der Morgen, an dem ich mein erstes Interview führe – sehr atypisch für einen Tag im Wonnemonat Mai. Der jagt heuer einem Rekord nach und könnte sogar der kälteste Mai der vergangenen 40 Jahre werden, so eine Prognose der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik.

      Als ich nach über drei Stunden – etwas benommen von der Übermacht der Eindrücke – auf die Straße trete, schaue ich in einen tiefblauen Himmel, sonnenhungrige Menschen sitzen in den herausgeputzten Straßencafés, wenn auch in Daunen­jacken und unter gasbetriebenen Wärmelampen.

      «Philosophieren ist anstrengend», wird Liessmann mir gegen Ende des Interviews sagen und sich auf unser ausführ­liches Gespräch beziehen.

      Ich glaube, Sie besitzen noch mehr Bücher als ich, sage ich entzückt, als ich sein Vorzimmer betrete, und er lächelt nur etwas verhalten. Später wird sich mein Eindruck bestätigen, als er mir erzählt, dass er 12 000, nein, ich habe mich nicht verhört, zwölftausend! Bücher besitzt und deshalb für ihn immer weniger Platz in der eigenen Wohnung bleibt.

      Der Begriff «aufgeräumt» kommt einem in den Sinn, wenn man sich hier umsieht … hier ist kein Stück zu viel, kein Buch liegt quer, kein Sessel steht schief, nicht der kleinste Anflug von Nippes oder Überfülle im Sinne von Krimskrams, wie man es oft bei Künstlern sehen kann. Hier wohnt jemand, der denkt, analysiert und sehr genau auswählt, was wichtig ist und was nicht; jemand, dem Ordnung, Struktur und Prioritäten wichtig sind – im Gedachten wie im Gelebten, so vermute ich.

      Schon auf dem Weg durch die belebte Einkaufsstraße, in der er wohnt, sie gilt als beliebte Hipster-Gegend, stelle ich mir gespannt die Frage:

      Wer ist K. P. Liessmann, der Mensch hinter dem Philosophen, dem Spiritus Rector? Was tut er, wenn er nicht philosophiert, beziehungsweise ist es einem Philosophen überhaupt möglich, nicht zu philosophieren?

      Wir haben möglicherweise zu romantische Vorstellungen von Philosophen, meint er später. Der akademische Philosoph ist ein Wissenschaftsbeamter mit fixen Dienstzeiten, in denen er als Autor, Lehrer, Diskussionspartner, Mitglied von Kommissionen «vorhanden» ist. Wenn diese Dienstzeiten vorbei sind, macht er – wie jeder Mensch – etwas anderes. Das ist die eine Seite.

      Ob er uns einen Krug Wasser holen soll, fragt er mich. Bitte, gern.

      Ein kurzer Rundblick durch sein Wohnzimmer verrät mir, dass Ästhetik nicht nur in seinen Büchern eine Rolle spielt. Zwei zarte kirschrote Zweiersofas aus feinem weichen Handschuhleder verbreiten eine gemütliche, freundliche Club-Atmosphäre. Zahlreiche Gemälde, edle Perserteppiche und einzelne sorgsam ausgewählte Einrichtungsgegenstände zeugen von gesteigerter Kunstaffinität und erlesenem Geschmack, über den sich ja sprichwörtlich streiten lässt … ich fühle mich sofort wohl und lächle insgeheim über ähnliche Vorlieben in puncto Möbel und Design. Kunst ist zweckfrei. Alles hier gefällt, ohne nützlich zu sein, weil es eben gefällt oder nicht. Die eigentlichen Protagonisten sind aber zweifellos die wunderbar bunten Bücherwände, fein säuberlich sortiert und geordnet – oftmals schöne gebundene Gesamtausgaben –, die bis zum hohen Plafond hinaufreichen … «interesseloser Wohlgefallen», dieser Ausdruck aus Immanuel Kants berühmter Kritik der Urteilskraft fällt mir unvermittelt ein … interesselos? In diesem Fall sind die Interessen mehr als offensichtlich … nun, für Assoziationen oder Begriffsklärungen dieser Art wird, obwohl verführerisch, dieses Interview leider nicht ausreichen.

      Unwillkürlich fällt mir ein, was Liessmann vor zehn Jahren in einem kleinen Büchlein mit dem Titel Schönheit geschrieben hat: «Wenn wir im Alltag, in der Kunst oder in der Natur etwas «schön» nennen, meinen wir in der Regel, dass etwas in besonderer Weise geglückt, in sich stimmig, als Gesamtheit gelungen ist … Gerade weil im Leben und in der Wirklichkeit dieses Gelingen so selten ist, sind die Momente des Schönen fast immer auch von einer leichten Melancholie begleitet …»

      Die andere Seite, so Liessmann, der sich jetzt auch gemütlich niederlässt und weiterspricht, die andere Seite seines Berufes zeige, dass Philosophie sehr wohl eine Wissenschaft ist, die unmittelbare Bedeutung hat für das Leben und deshalb freilich von den alltäglichen Lebensvollzügen nicht so leicht abgespalten werden kann wie etwa der Beruf eines Chemikers. Der würde vermutlich abends aus dem Labor heimkommen und keine Gasmischungen mehr zum Explodieren bringen.

      Freilich gibt es in der Philosophie auch Fragestellungen, die so speziell sind, dass sie den Alltag, das Leben nur wenig berühren. Wenn man sich beispielsweise intensiv mit der kultur- oder geschichtsphilosophischen Textinterpretation eines schon lange verstorbenen Philosophen beschäftigt, ist das nicht unbedingt etwas, das einen in schlaflosen Nächten quält.

      Es gibt aber existenzielle Fragen, die einen – unabhängig vom beruflichen Kontext – auch ganz persönlich berühren: «Ich kann vielleicht, nur als Beispiel, eine wunderbare Abhandlung schreiben über das Thema Was ist Glück, die mich, auch wenn mir das nicht immer explizit klar sein mag, berührt. Denn im Hintergrund steht natürlich die Frage, wie philosophische Reflexionen bei der Glückssuche helfen können.»

      Schreiben, Lesen, Diskutieren, Vortragen; also Tätigkeiten, die im engen beruflichen Sinn mit dem Beruf des Philosophen verknüpft sind, gehören zu seinem Leben. Und wenn er anderen Tätigkeiten nachgeht, stehen die auch in gewisser Weise in einem Bezug zu einer philosophischen Tätigkeit.

      Er liebt die Musik, und wesentlich lieber als bei philosophischen Tagungen verbringt er seine Zeit in der Oper oder im Konzerthaus, wie Liessmann mir verrät. Aber auch (nur) dieser Genuss einer Opernaufführung sei bei ihm nie davor gefeit, Anlass einer philosophischen Reflexion zu werden.

      Mein Blick schweift in die andere Ecke seines großen Wohnzimmers, wo mir – abgesehen von einer alabasterfarbenen Richard-Wagner-Büste, die auf einer hohen schwarzlackierten Designer-Lautsprecherbox steht – eine enorme Schallplatten- und CD-Sammlung ins Auge fällt, vor der eine massive, hochwertige Hi-Fi-Anlage steht. Dass es sich dabei um eine Auswahl edelster High-End-Geräte handelt, wird der Musikliebhaber mir später bestätigen.

      Wie wird man eigentlich vom Fragenden, Suchenden, vom kleinen Kind zum Aufklärer? Weiß man schon als Kind, dass man Philosoph werden möchte? Bei mir zum Beispiel war es ein bisschen so.

      Gar nicht, nein. Als er Kind war, war – zum Glück! – von Philosophie noch keine Rede, meint er. Er halte das für eine Überforderung von Kindern; also das, was heute oft als «Kinderphilosophie» bezeichnet wird, sei für ihn euphemistisch, eine rhetorische Figur … ein Kind kann gewisse Ansprüche, die das Philosophieren verlangt, nicht erfüllen. Dass Kinder freilich gerne forschen, entdecken und fragen, hat noch nichts mit Philosophie zu tun.

      Seine erste Bekanntschaft mit der Philosophie machte er mit etwa dreizehn oder vierzehn Jahren, erzählt er mir dann.

      Wie ein Buch den Weg vom Analphabeten zur Philosophie ebnete …

      Alles begann mit einem Buch aus der Bibliothek seiner Eltern, es hieß Du und die Philosophie, erschienen in einer Reihe populärwissenschaftlicher Bücher mit weiteren Titeln wie Du und die Musik und Du und die Kunst.

      «Was mich angesprochen hat, war das ‹Du und …›, weil es gleich eine persönliche Beziehung hergestellt hat: Es hat etwas mit dir zu tun. Eigentlich ein genialer Titel.»

      Verstanden habe er allerdings nichts, denn es war eine seriöse Darstellung der Geschichte der Philosophie – natürlich auf dem Stand der 50er-Jahre des vorigen Jahrhunderts. Bis heute ist ihm eine Schilderung besonders in Erinnerung geblieben – die vom Tod des Sokrates. Dass jemand aufgrund seines Denkens zum Tode verurteilt wird und dann die Gelegenheit bekommt,