Schweizer Tobak. Albert T. Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Albert T. Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783907301005
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Was weder im Dorf noch im Schmauchtal kaum jemand ausser der Konkurrenz wusste, war, welche Bedeutung Brand-Cigars in Deutschland noch vor dem Zweiten Weltkrieg erreichte. Zweitausend Arbeiterinnen und Arbeiter produzierten dort für die deutsche Marktführerin Brand-Cigars.

       Maria und Lorenz

      Der Entlebucher Lorenz kam 1933 nach seiner Rekrutenschule auf den Stadelhof. Nur Melchior, der Gemeindeschreiber, der Ammann und der Armen- und Waisenvogt kannten seine Herkunft. Als Sohn einer Serviererin und eines durchziehenden Wandergesellen, der, als die Schwangerschaft der bedauernswerten Magd klar wurde, nicht mehr zu finden war, verbrachte seine ersten Jahre mit seiner Mutter im Wirtshaus und kam danach als Verdingbub zu einem Bauern, einem entfernten Verwandten seiner Mutter und wurde so in einer sehr harten Jugend mit Prügeln, Hunger, Lieblosigkeit und Einsamkeit ein Melker und Knecht. Melchior übernahm ihn als Knecht, weil er sich an seine eigene ärmliche Geschichte erinnerte und dem jungen Mann eine Chance geben wollte.

      Seinen Werdegang sah man Lorenz nicht an. Er besass einen einwandfreien Sonntagsanzug, zwei schöne Hemden, einen Hut und gutes Schuhwerk. So ging er jeden Sonntag zur Messe, trank danach im Kreuz ein Bier, gönnte sich eine einfache Zigarre, setzte sich dabei allerdings nicht zu den besitzenden Bauern und führte auch keine grossen Reden. Er benahm sich so, wie die wichtigen Leute im Dorf dies von ihm erwarteten – anständig und bescheiden.

      So wirkte er auch auf Mädchen, genauer auf die nicht gerade wohlhabenden, aber durchaus anständigen ledigen jungen Frauen im Dorf, als ansehnliche Erscheinung, mit der man sich zeigen durfte. Nach und nach lernte er sie auch kennen. Die meisten von ihnen arbeiteten bei Brand-Cigars und viele sah er auch am Sonntag in der Kirche.

      Als Lorenz sich beim Kirchenchor meldete, um der einen oder anderen der jungen Frauen etwas näher zu kommen, mischte sich Melchior nicht ein, obwohl ihm die Sache nicht wirklich passte. Aber er erinnerte sich an seine eigene Zeit als Jungmann. Der Lorenz hatte eine recht gute Stimme und der Dorflehrer, gleichzeitig Chorleiter und Organist, sah in ihm einen zwar völlig ungebildeten, aber brauchbaren Bariton. Einmal die Woche musste er am Abend zur Probe gehen und jeden Sonntag sang er um neun Uhr zum Hochamt. Gegen Jahresende gab der Chor ein kleines Konzert im Kreuzsaal mit einem anschliessenden Theaterstück und danach war die Bühne frei zum Tanzen. Der Chor wurde für Lorenz zu einer Gelegenheit, mit Maria Körber bekannt und im Lauf der Wochen und Monate ein wenig vertraut zu werden. Als Kind lebte sie zusammen mit ihrer Mutter, einer Wasch- und Putzfrau, und einer jüngeren Schwester in Wirrwil.

      Als Kindermädchen bei den jungen Brands, zurück aus der Grossstadt München, die sie nie mochte, verfügte sie zwar über sehr wenig Freizeit, aber die reformierten Brands liessen die katholische Maria selbstverständlich in den Kirchenchor gehen, schärften ihr jedoch ein, sich von Männern fernzuhalten. Bis zu dem Tanzabend im November hatten sie denn auch keine Ahnung, was da lief, denn die Geschichte der beiden war bisher mehr als harmlos gewesen.

      Das änderte sich an jenem Abend. Bis in den frühen Morgen, bis Lorenz zurück zu seiner Arbeit gehen musste, blieben sie zusammen, erzählten sich ihr bisheriges Leben und fanden heraus, dass sie beide einsam waren und sich gegenseitig hilfreich sein könnten. Maria hatte sich verliebt und war nicht mehr zu bremsen.

      Nur wenige Wochen später war Maria schwanger und damit gab es kein Zurück. In der Fastenzeit konnten die beiden nicht getraut werden, da war der Dorfpfarrer strikt dagegen und als Ostern vorbei war, konnte, wer wollte, schon sehen, wie dringlich die Hochzeit für die beiden geworden war und es gab, auch für jedermann sichtbar, kein weisses Kleid, keinen Kranz und keinen Schleier. Dummes Geschwätz und Gespött gingen durchs Dorf und meistens auf Kosten der werdenden Mutter. Beides erreichte auch den Kirchenchor. Maria wurde von den übrigen Frauen systematisch geschnitten und die Männer verzogen ihre Gesichter in verächtliches Lächeln oder machten gar doppelbödige Bemerkungen. Bei einer Probe verliess Maria weinend das Lokal im Schulhaus und trat aus dem Chor aus. Lorenz zog mit. Dafür war sie ihm dankbar.

      Sie fanden im Haus beim Stocker, einem alten Kleinbauern mit zwei Kühen, dem seine Schwester den Haushalt führte, weil seine Frau ein paar Jahre zuvor gestorben war, zwei kleine Zimmer unter dem Dach. So konnte Lorenz seine Arbeit bei Melchior behalten. Maria, die ihre Stelle als Kindermädchen hatte aufgeben müssen, arbeitete jetzt bei den Brand-Cigars in Packerei und Spedition.

      Ende September kam Erwin zur Welt und ein Jahr danach Theo, der eigentlich Theodor hiess.

      Es wurde eng beim Stocker, aber auch schwierig, ein anderes Dach über dem Kopf zu finden, das die beiden bezahlen und bei dem sie gleichzeitig ihre Stellen behalten konnten. Das Zuwarten lohnte sich. Der Stocker starb und seine Schwester, einzige Erbin, verkaufte Haus und Land an Mama Brand. So konnten die Grampers in die weit grössere Wohnung im gleichen Haus ziehen.

      Maria hatte inzwischen auch ihre Fabrikarbeit aufgeben müssen. Sie machte jetzt Heimarbeit. Woche für Woche holte der Lorenz mit Melchiors kleinem Leiterwagen Tabakblätter zum Ausrippen im Nachbardorf bei der Tabak AG. Brand-Cigars setzte zum Ausrippen längst auch Maschinen ein. In der Tabaki, wie viele Leute die Firma auch nannten und bei den meisten anderen, vor allem kleineren Konkurrenten, blieb man bei der Handarbeit und schlachtete diese Feinheit in der Werbung um Kunden aus.

      Es war wenig Geld, das Maria mit ihrem Rippenzupfen verdienen konnte. Und mit dem, was Lorenz an Bargeld nach Hause brachte, konnten sie kaum die Wohnung bezahlen. Lorenz bekam seine Mahlzeiten bei Melchior und er brachte auch häufig etwas Fallobst und Gemüse oder Kartoffeln mit nach Hause.

      Immerhin, Marias Familie drohte mindestens anfänglich auch im Winter weder Hunger noch Kälte. Die Stube liess sich mit dem aus der Küche befeuerten Kachelofen wärmen. Für Weihnachten brachte der Lorenz jeweils ein Tännchen aus dem Wald, ohne es zu stehlen, so etwas wäre für das ganze Dorf unverzeihlich gewesen, er hatte es jeweils vom Förster erbettelt. Geschenke gab es kaum, aber ein wenig Gebäck, das ihm Melchiors Magd zusteckte.

      Das war gut so, denn inzwischen erwartete Maria mit ihren knapp 24 Jahren ihr drittes Kind, Felix. Die Geburt war schwierig, dauerte zu lange und so ganz harmlos war die Sache nicht, aber schliesslich begann der Junge zu atmen und zu schreien.

      In dem Jahr, in dem Maria Felix zur Welt brachte, entbrannte der Zweite Weltkrieg. Lorenz musste einrücken. Maria hatte keine Ahnung, wovon sie und ihre Kinder leben sollten. Am Anfang gab es noch keinen Lohnausgleich und Lorenz› Sold reichte gerade, um seine eigenen Bedürfnisse zu decken.

      Wenn Lorenz zu kurzem Urlaub nach Hause kam, gab es für wenige Stunden Freude über das Wiedersehen und danach Streit um die schwierigen Verhältnisse. Weihnachten kam, den beiden älteren Buben fehlten Schuhe für den Winter, im Sommer und im Herbst gingen sie barfuss. Lorenz brachte den Buben zu Weihnachten Schuhe. Männer mit kleinen Kindern durften für die Weihnachtstage nach Hause gehen. Lorenz hatte das Geld für die Schuhe beim Melchior ausgeliehen und Maria davon nichts erzählt.

      Drei Wochen nach Weihnachten wurde Lorenz überraschend für einen längeren Urlaub entlassen. Er nahm seine Arbeit bei Melchior wieder auf. An Stelle von Bier trank er jetzt Apfelmost. Melchior beobachtete ihn aufmerksam und machte ihm Vorhaltungen, wenn er übertrieb. Es gab Spannungen, hin und wieder beinahe Streit. Lorenz fühlte sich bevormundet, er wurde der Arbeit als Knecht ohnehin überdrüssig.

      Es gab für ihn keine Arbeitszeitbeschränkung. Er verliess das Haus vor fünf Uhr früh, um in Melchiors Stall die Kühe zu melken, während dieser das Futter für den Tag mähte oder im Winter das Heu vom Stock aufbereitete. Danach trafen sie sich in der grossen Küche bei der Babs zu Kaffee und Rösti. Brot gab es nur, wenn die gebratenen Kartoffeln nicht reichten. Beim Essen erhielt der Lorenz die Arbeiten für den Tag zugeteilt. Das waren in der Regel die jahreszeitlich anfallenden Feldarbeiten. Um fünf Uhr abends begannen wieder die Arbeiten im Stall, um halb acht kamen wieder Kaffee mit Rösti auf den Tisch, danach bekam jede Kuh ihr Wasser vom Brunnen in einem grossen Eimer hergeschleppt. Das war jeweils Lorenz’ letzte Arbeit.

      Verschwitzt und nach Kuhdreck stinkend kam er danach nach Hause, die Kinder waren dann schon im Bett. In der kleinen Küche wusch er sich mehr schlecht als recht und zog sich für die Nacht um. Wenigstens hatten