Eine Münze für Anna. Anne Gold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anne Gold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783724523765
Скачать книгу
ich mich noch von meinen Kindern verabschieden, Frau Christ?»

      «Hören Sie, ich bin etwas verwirrt», gestand Daniel. «Ist Ihnen klar, dass Sie soeben einen Mord gestanden haben?»

      «Ja.»

      «Wissen Sie auch, was das bedeutet?»

      «Sie werden mich für eine sehr lange Zeit einsperren, vielleicht für fünfzehn Jahre.»

      «In denen Sie Ihre Kinder nur selten sehen können.»

      «Ludmilla wird sich um sie kümmern. Sie ist sowieso die bessere Mutter für meine Kinder.»

      Andrea gab Daniel zu verstehen, dass sie sich unter vier Augen mit ihm unterhalten wolle.

      «Sie steht unter Schock.»

      «So wirkt sie nicht auf mich. Sie ist ziemlich gefasst, fast schon erleichtert.»

      «Sara ist doch keine kaltblütige Mörderin.»

      «Das behaupte ich nicht, doch sie ist bei klarem Verstand. Sie weiss genau, was sie sagt.»

      «Da steckt mehr dahinter. Wir nehmen sie mit ins Kommissariat und unterhalten uns dort mit ihr.» Daniel trat auf die Frau zu. «Wir müssen Sie mitnehmen, Frau Jeric.»

      «Darf ich noch einige Sachen packen?»

      «Selbstverständlich. Wir informieren inzwischen Ihre Freundin … Franz, bleibst du bitte bei Frau Jeric? Danke.»

      Ludmilla sass mit den Kindern am Wohnzimmertisch und spielte Memory mit ihnen, als Daniel und Andrea eintraten.

      «Können wir uns kurz mit Ihnen allein unterhalten?»

      «Ja, natürlich. Geht bitte in den Garten. Ich rufe euch, wenn die Polizisten gegangen sind.»

      «Sind Sie mit Frau Jeric befreundet?»

      «Wir sind in Kroatien aufgewachsen und vor zehn Jahren zusammen in die Schweiz gekommen, Herr Kommissär. Sie ist meine beste Freundin.»

      «Sie sprechen perfekt Schweizerdeutsch.»

      «Vielen Dank. Ich finde, dass jeder Fremde die Sprache seiner neuen Heimat lernen soll. Aber Sie wollten mit mir bestimmt nicht darüber reden.»

      «Nein. Ihre Freundin hat gestanden, ihren Mann vom Balkon gestossen zu haben.»

      «Dann stimmt meine Vermutung.»

      «Mehr haben Sie dazu nicht zu sagen?»

      «Nein. Es wird gute Gründe dafür geben.»

      Daniel schüttelte den Kopf, das wird ja immer skurriler.

      «Was können Sie uns über die Ehe Ihrer Freundin sagen?»

      «Nichts, Frau Kommissärin.»

      «War es eine harmonische Ehe oder stritten sie sich oft? Schlug er seine Frau?»

      «Fragen Sie Sara, sie wird Ihnen Auskunft geben.»

      «Aber Sie wissen es auch, oder?»

      «Ich muss mich jetzt um die Kinder kümmern und unbedingt ihre Sachen holen. Darf ich in die Wohnung von Sara?»

      Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie zum Fenster und rief etwas in den Garten. Dann verliess sie ohne ein weiteres Wort die Wohnung.

      «Das ist jetzt nicht wirklich geschehen?»

      «Doch.»

      «Das sind zwei Roboter, Andrea. Ich komme mir vor wie in einem schlechten Science-Fiction-Film.»

      «Wie alt schätzt du Sara?»

      «Anfang dreissig. Beide sind sehr attraktiv. Wenn sie allerdings den Mund aufmachen, verlieren sie viel von ihrer Schönheit.»

      «Fürchten sie sich vor jemandem?»

      «Das kommt mir nicht so vor. Für Ludmilla ist es selbstverständlich und auch richtig, dass Sara diesen Miroslav getötet hat. Wahnsinn.»

      Fünf Minuten später standen die beiden Frauen in Begleitung von Franz in der Tür.

      «Ich habe meine Sachen gepackt, wir können gehen. Darf ich mich noch von meinen Jungs verabschieden?»

      «Sie sind draussen im Garten.»

      Ludmilla begleitete ihre Freundin. Sara umarmte ihre Kinder innig. Für den Bruchteil einer Sekunde schien die Welt wieder in Ordnung. Doch der Schein täuschte. Mit Tränen in den Augen wandte sich Sara ab und trat in die Wohnung.

      «So, jetzt können wir gehen. Ludmilla ist noch draussen bei den Jungs. Möchten Sie nochmals mit ihr reden?»

      «Im Moment nicht. Ich muss Sie noch darauf hinweisen, dass Sie nichts sagen müssen. Alles was sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Verteidiger.»

      «Es ist alles gesagt, Frau Kommissärin. Und einen Anwalt brauche ich nicht.»

      «Soll ich Ihnen den Koffer abnehmen?»

      «Das ist lieb von Ihnen, Herr Kommissär. Danke. Sind Sie mit dem Auto hier oder fahren wir mit dem Tram?»

      «Mit dem Auto, dem schwarzen BMW hinter dem Streifenwagen.»

      Andrea folgte den beiden kopfschüttelnd. So etwas habe ich noch nie erlebt.

image

      Das schmiedeeiserne Tor öffnete sich wie von Geisterhand. Nicole stellte den Merz auf einen Kundenparkplatz.

      «Kommst du mit rein?»

      «Es ist besser, wenn ihr ein Gespräch unter Freunden führt. Ich setz mich in den Pavillon und erledige einige Anrufe.»

      Christ meldete sich in Otters Sekretariat an. Der junge Mann überlegte einige Sekunden, überprüfte den Terminplan und versicherte sich, dass er keinen Termin vergessen hatte, dann kam ihm plötzlich in den Sinn, wer vor ihm stand. Zwei Minuten später führte er Markus Christ in die oberste Etage.

      «Komm rein, Markus … Ben, ich will nicht gestört werden», wandte sich Otter an seinen Sekretär. «Von niemandem. Danke … Setz dich. Darf ich dir einen Kaffee bringen lassen?»

      «Ja, gern. Schwarz, mit viel Zucker.»

      «Kommt sofort. Wie gehts dir?»

      «Ich weiss es ehrlich gesagt nicht. Den Umständen entsprechend gut, könnte man sagen. Annas Tod hat mich entwurzelt, total aus dem Leben gerissen, der Schmerz ist unbeschreiblich gross und … ich fürchte mich, Bernd. Vor dem Abend, vor der Nacht, vor dem Wochenende, vor dem Alleinsein. Heute Morgen beim Aufstehen tastete ich wie immer nach Anna. Ich wollte ihr wie jeden Morgen sagen, dass wir in einer halben Stunde frühstücken. Meine Hand fiel ins Leere. Ich vermisse sie so sehr.»

      «Fabienne und ich waren gestern auf dem Hörnli. Wir hielten uns etwas abseits. Du weisst schon, weshalb. Annas Tod hat uns schwer getroffen, sie war für uns mehr als eine Freundin.»

      Markus’ Blick fiel auf den Tennisball, der auf dem Bürotisch lag.

      «Du hast ihn noch immer?»

      «Ja natürlich. Er ist mein Talisman.»

      «Es war eine schöne Zeit.»

      «Burckhardt würde das sicher anders sehen.»

      «Stimmt», schmunzelte Markus.

      Er erinnerte sich noch sehr gut daran, welche Bewandtnis der Tennisball hatte. Bernds Vater, ein Choleriker, war Gärtner und arbeitete unter anderem für die Familie Christ. Obwohl es nicht gern gesehen wurde, entstand zwischen dem Bonzenkind Christ und dem Proletenkind Otter eine tiefe Freundschaft. Eines Nachmittags, als Bernd seinen Freund Markus von der Tennisschule abholte, beobachten sie auf dem Heimweg, wie Christs Nachbar, ein bekannter Architekt, ein junges Mädchen begrapschte. Ohne zu zögern, riss Bernd seinem Freund einen Tennisball aus