Eine Münze für Anna. Anne Gold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anne Gold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783724523765
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      «Ein Pyrrhussieg.»

      «Ich muss es akzeptieren. Irgendwie verstehe ich ihn sogar. Konntest du den zuständigen Steuerbeamten auftreiben?»

      «Ja, Phil Gärtner. Es ist alles korrekt abgelaufen. Ich finde die Entscheidung des Finanzdepartementes richtig, die Eigenmieten waren zu tief. Was ihr auf eurem Hügel für die Villen als Eigenmiete versteuert, ist geradezu lächerlich. Und nebenbei macht ihr noch jede Auslage geltend. Aber es gibt auch Härtefälle.»

      «Wie Lisa Kolb.»

      «Sie ist ein Grenzfall. Wenn sie das Haus verkauft, verfügt sie über genügend Kapital, um das restliche Leben geniessen zu können.»

      «Und in sechs Monaten ist sie tot.»

      «Ich weiss. Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Rita hat mich auf ein Interview der Finanzdirektorin aufmerksam gemacht.»

      «Deine Angestellten mausern sich.»

      «Es sind deine, das nur nebenbei. Gemäss Interview wird jeder einzelne Fall geprüft. Das neue Gesetz gilt selbstverständlich generell, doch bei Härtefällen können durchaus Kompromisse gefunden werden. Den Fall Lisa Kolb werde ich mit Kollege Gärtner ausdiskutieren.»

      «Und wenn er nicht einlenkt?»

      «Dann bist du am Zug, auf höchster Ebene.»

      «Einverstanden.»

      «Der Chef der BDB lässt dich grüssen. Er bedankt sich für die Einladung und fühlt sich geehrt, mit dir heute in einer Woche um 12.15 Uhr im Schloss Binningen zu essen.»

      «Wieso denn das?»

      «Das lösen wir auf höchster Ebene. Ich schlage mich doch nicht mit einem kleinen Wicht bei der BDB herum. Der muss von oben Feuer unter dem Hintern kriegen.»

      «Hier darf ich, beim Finanzdepartement machst du es allein.»

      «So ist es. Die Unterredung mit dem Steuerbeamten ist politisch heikel, da wirst du zum Nestbeschmutzer.»

      «Und bei der BDB?»

      «Das ist kein Problem. Wenn er nicht spurt, wechseln wir die Bank und lassen die Medien wissen, dass der Christ-Clan nicht damit einverstanden ist, wenn die Bank für die kleinen Leute – genau damit werben sie – diese ruiniert.»

      «Woher weisst du, dass wir Kunde bei der BDB sind?»

      «Wir sind Grosskunde und Aktionär. Von Ernst natürlich, ich unterhielt mich mit seinem Finanzchef. Eure Immobiliengeschäfte laufen über die BDB.»

      «Und das alles vom Pavillon aus?»

      «Klar, während du dich über Bowling unterhieltest.»

      «Ich möchte mit deinem karrieresüchtigen Kerlchen von der Staatsanwaltschaft sprechen.»

      «Du meinst Sebastian Kern, seine Freunde nennen ihn Seb. Er ist fünfunddreissig, wohnt in der Augustinergasse mit Sicht auf den Rhein und spielt leidenschaftlich gern Tennis. Der Fall Redding ist sein bisher grösster. Wenn er ihn gewinnt, macht er garantiert einen Karrieresprung.»

      «Sagt wer?»

      «Deine Sekretärin Helen.»

      «Du setzt das Sekretariat für Spitzelarbeiten ein?»

      «Klar, wenn es notwendig ist. Ganz nebenbei, sie ist mit ihm verheiratet.»

      «Helen?»

      «Ja, Helen. Sie hat ihren Mädchennamen beibehalten. Bist du hungrig?»

      «Ich könnte ein Sandwich vertragen.»

      «Wir fahren zurück und essen eine Kleinigkeit im Hotel Basel.»

      «Wieso nicht hier irgendwo?»

      «Weil wir um vier im Büro sein müssen. Staatsanwalt Kern gibt sich die Ehre.»

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      Dagmar Morath meldete sich zur Überraschung von Tina bereits kurz nach vierzehn Uhr. Sie hätte die Sache mit ihrem Mann und ihren Eltern besprochen und Erwin möchte eine Zweitmeinung einholen. Leider höre man allzu oft von Fehldiagnosen, deshalb bitte sie um Verständnis für ihre Entscheidung. Tinas Ermahnung, dass jeder Tag eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes zur Folge haben könnte und sie deshalb sofort reagieren müsse, um eine bestmögliche Heilung zu erzielen, verpuffte. Es daure ja nur einen oder zwei Tage, bis sie einen anderen Arzt konsultiert hätte.

      «Da ist etwas faul.»

      «Und was?», fragte Sabine ihre Kollegin.

      «Sie wirkte verängstigt, eingeschüchtert.»

      «Von ihrem Mann?»

      «Ganz bestimmt. Er will nicht, dass sie sich operieren lässt.»

      «Vielleicht gehören sie einer Sekte an, die Operationen verbietet.»

      «Gibt es das überhaupt?»

      «Gestern sah ich im deutschen Fernsehen einen Bericht über eine islamische Familie, die einer Sekte angehört. Ihr elfjähriger Sohn musste unters Messer. Weil nur ihr Prophet heilen kann, verschwand die ganze Familie kurz vor der Operation spurlos.»

      «Sie lassen aus religiösen Gründen ihr Kind sterben? Verstehe das, wer will.»

      «Ja, das können wir absolut nicht nachvollziehen. Die Polizei sucht fieberhaft nach den Eltern und dem Sohn. Die Ärzte geben dem Jungen nur noch wenige Wochen.»

      «An was leidet er?»

      «Seine Augen sind von einem Tumor betroffen. Das eine ist bereits erblindet, das andere kann nur durch die Operation gerettet werden. Die Ärzte stellten drei Tumore fest.»

      «Einfach unvorstellbar, dass jemand zusieht, wie sein Kind langsam erblindet, womöglich sogar stirbt, sollten sich die Tumore ausbreiten.»

      «Es ist dann eben gottgewollt. Wenn sie von der Polizei gefasst werden und ihr Junge tot ist, müssen sie mit zehn Jahren Gefängnis rechnen.»

      «Das macht den Kleinen auch nicht mehr lebendig … Ich werde Frau Morath besuchen, und zwar jetzt. Ich will mit ihr und ihrem Mann reden.»

      «Gut, dann begleite ich dich.»

      Die Familie Morath wohnte in einem Mehrfamilienhaus in der Hegenheimerstrasse. Nachdem Dagmar auf mehrmaliges Klingeln nicht reagiert hatte, versuchte es Tina bei einer Nachbarin im Parterre.

      «Ja?», kam die prompte Reaktion.

      «Mein Name ist Tina Christ. Ich bin mit Frau Morath verabredet, aber sie öffnet nicht.»

      «Sie ist vor einer halben Stunde weggegangen.»

      «Dürfen wir kurz hineinkommen? Wir würden uns gerne mit Ihnen unterhalten.»

      «Sind Sie von der Polizei?»

      «Wir sind Ärztinnen.»

      «Richtige Ärztinnen?»

      Nach kurzem Zögern öffnete sich die Haustür.

      «Kommen Sie herein. … Möchten Sie Kaffee?»

      «Wir wollen Sie nicht lange aufhalten, Frau …»

      «Hannelore Hurter. Also keinen Kaffee?»

      «Nein, danke, Frau Hurter. Schön, dass Sie kurz für uns Zeit haben.»

      «Arbeiten Sie am Universitätsspital?»

      «Wir haben eine eigene Praxis im Lehenmattquartier.»

      «Ist Dagmar Ihre Patientin?»

      «Das dürften wir zwar nicht verraten, aber ja, sie ist meine Patientin.»

      «Dachte ich mirs doch, dass sie uns etwas verheimlicht. Sie müssen wissen, wir treffen uns immer zu einem Schwatz im Garten. Doch in letzter Zeit ist Dagmar nicht