Eine Münze für Anna. Anne Gold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anne Gold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783724523765
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deine Pressekonferenz habe den Ausschlag für die Verhaftung gegeben. Die Medien werden dich feiern.»

      «Ohne mich. Ich will dich nicht länger aufhalten, Ingo. Du hast bestimmt wichtige Termine.»

      «Du bist ein weit grösserer Narr, als ich dachte.»

      Nicole öffnete die Tür und vollführte einen Hofknicks.

      «Mein herzliches Beileid!»

      «Was soll das?»

      «Anna wurde gestern beerdigt. Ich habe Sie weder an der Beerdigung gesehen, noch Ihre Beileidsbezeugung gehört. Ein Gentleman, wie er leibt und lebt. Beehren Sie uns bald wieder, Herr Rust.»

      «Dumme Gans! Ihnen wird das Lachen noch vergehen.»

      «Wieso sollte es, wenn laufend die grössten Clowns der Stadt bei uns ihr Programm zum Besten geben.»

      Ingo Rust verliess mit hochrotem Kopf das Büro.

      «War das notwendig?»

      «Oh ja. Der Typ ist stillos und sein Parfum eine einzige Katastrophe. Stört es dich, wenn ich kurz lüfte? … Schade, ich wollte schon immer für einen Bundesrat arbeiten, mit ihm um die Welt fliegen und die Giganten der Politszene kennenlernen.»

      «Trump und Putin?»

      «Die auch.»

      «Tut mir leid, dass ich dir deine Karriere vermassle. Aber ich schliesse keine faulen Kompromisse der Karriere wegen auf dem Rücken eines Freundes.»

      «Rust hat recht.»

      «Dass ich ein Narr bin?»

      «Du solltest dich von Otter distanzieren.»

      «Fängst du jetzt auch noch damit an?»

      «Redding ist dumm, allerhöchstens bauernschlau und nur der Strohmann. Ein Verführer ohne Klasse. Sieht gut aus, wirkt vertrauenswürdig. Alles nur Show. Otter zieht die Fäden im Hintergrund.»

      «Bernd?»

      «Er ist der wahre Meister des guten alten Schneeballsystems. Schon tausendmal mit Erfolg angewendet. Ich erinnere nur an Behring.»

      «Schluss damit, ich will nichts mehr davon hören. Bernd ist die integerste Person, die ich kenne.»

      «Warum arbeitet er dann für Redding?»

      «Weil er zu Beginn von seinen Visionen fasziniert war, an das Geschäftsmodell und an seine Ehrlichkeit glaubte. Leider hat er den richtigen Moment für den Absprung verpasst. Vermutlich ist er nun aus falsch verstandener Loyalität weiter für ihn tätig.»

      «Sagt er.»

      «Ich glaube Bernd. Die Staatsanwaltschaft hat keine Handhabe gegen ihn. Ingo täuscht sich.»

      «Wie du meinst … Hier sind noch deine Termine für nächste Woche.»

      Christ ging die Liste durch.

      «Kannst du das am kommenden Mittwoch absagen?»

      «Kein Problem. Ich werde den Verantwortlichen bei Telebasel sagen, dass du lieber ein anderes Mal an ihrer Talkshow teilnimmst. Was hast du denn so Wichtiges?»

      «Bowling.»

      «Mit Otter?»

      «Und Daniel Gross.»

      «Ich glaube nicht, dass Freund Gross auftaucht, und noch weniger, dass du mit Otter bowlst.»

      «Ende der Diskussion. Endgültig.»

      Der scharfe Ton liess keine Widerrede zu.

      «Wie du wünschst, Chef. Dann kann ich mich jetzt ja um mein Sekretariat kümmern. Du weisst, wo du mich findest.»

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      Das Wartezimmer war bist auf den letzten Stuhl besetzt. Vor allem ältere Personen konsultierten die junge Frau Doktor gern. Eine glückliche Wende, wenn Tina an den harzigen Start dachte. Der kurz vor der Pension stehende Kollege Hans Sommer hatte sich zwar redlich Mühe gegeben, seine Patienten auf den Wechsel einzustimmen. Aber dienstags und donnerstags, wenn Frau Doktor die Praxis alleine führte, blieben die Patienten aus, um dann in Scharen an den anderen Tagen ihre Blessuren vom richtigen Arzt pflegen zu lassen. Erst, als sich herumsprach, dass Tina auch Hausbesuche mache, brach das Eis. Sommer verkaufte die Praxis an Tina und geniesst seinen wohlverdienten Ruhestand in Südfrankreich. Inzwischen zählten auch immer mehr jüngere Menschen zu den Patienten, der Mundpropaganda sei Dank. Und so mauserte sich die Praxis zu einer wahren Goldgrube. Monatelang suchte Tina intensiv nach einer Partnerin, aber diejenigen, die mit ihr studiert hatten, winkten alle ab, rümpften die Nase bei der Vorstellung, Hausärztin zu werden. Es war einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass ihre Suche Erfolg hatte. An einer christlichen Tagung lernte ihr Bruder Florian eine Ärztin kennen, die in Afrika für Ärzte ohne Grenzen tätig gewesen und nun auf Jobsuche war. Tinas Skepsis verflog rasch, als sie sich auf Drängen ihres Bruders trafen. Sabine Stettler entpuppte sich als aufgeschlossene, lebensfrohe Person und keineswegs als christliche Sektiererin mit Weltverbesserer-Genen. Die beiden Frauen ergänzten sich optimal. Nach einem halben Jahr bot Tina ihr eine Teilhaberschaft an, die beinahe an einem Missverständnis scheiterte. Während Tina keine Minute über einen Einkauf in die Praxis nachdachte, lehnte Sabine aus finanziellen Gründen ab. Zum Glück brachte der zufällige Besuch und die direkte Art ihres Vaters Klarheit. Sabine konnte nicht glauben, dass sie zum Nulltarif Partnerin wurde, und Tina war entsetzt, dass es beinahe am Geld gescheitert wäre.

      Bis um zehn untersuchten sie in ihren Sprechzimmern die Patienten. Einige litten unter der Grippewelle, andere stellten sich zu Nachuntersuchungen ein. Tina versuchte, sich so gut es ging auf ihren Job zu konzentrieren, schweifte aber immer wieder mit ihren Gedanken ab. Was habe ich falsch gemacht? Wie konnte mir das passieren? Was bin ich bloss für eine Ärztin, erkenne bei meiner eigenen Mutter die Symptome nicht? Allein die ewige Müdigkeit hätte bei mir Alarmstufe rot auslösen müssen. Aber ich war nur für meine Patienten da und sah vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Wie konnte ich nur?! Schmerzerfüllt stürzte sich Tina wieder in die Arbeit. Gegen halb zwölf war der letzte Patient versorgt und auch Sabine legte ihr letztes Dossier auf den Tisch.

      «Ich bin fix und fertig. Wie fühlst du dich?»

      «Ganz okay.»

      «Sag mir, wenn ich dich unterstützen kann. Du kannst gern ein Time-out nehmen, Norbert springt bestimmt ein. Er ist gerade für zwei Wochen aus Afrika da.»

      «Um dich zu überzeugen, dass du in Kenia gebraucht wirst?»

      «Es war eine schöne und intensive Zeit. In jeder Beziehung, auch mit Norbert. Doch das ist vorbei. Ich träumte immer von einer eigenen Praxis, von Patienten, die mir vertrauen, für die ich da sein kann. Spitäler sind und werden für mich immer Horrorgebilde bleiben. Ich könnte da nie arbeiten. In Afrika gings noch einigermassen, wir mussten oft improvisieren. Das fordert dich und kostet Substanz. Eine Zeit lang verkraftest du die chaotischen Zustände, aber nicht auf Dauer. Ich war lange auf der Suche, dank dir bin ich endlich angekommen.»

      «Ist Frau Morath schon da?», Tina deutete auf die Krankenakte.

      «Nein, noch nicht. Soll ich beim Gespräch dabei sein?»

      «Besser nicht, sonst bekommt die Diagnose eine noch drastischere Bedeutung. Bleib aber bitte in der Nähe. Wenn sie blockiert, bin ich auf deine Unterstützung angewiesen.»

      Einige Minuten später wurde die Patientin von der Sprechstundenhilfe in den Behandlungsraum geführt.

      «Setzen Sie sich bitte, Frau Morath. Wie geht es Ihnen?»

      «Ich fühl mich schlapp. Ich würde am liebsten den ganzen Tag schlafen, schlafen und nochmals schlafen. Ist das Resultat gekommen?»

      «Ja. Leider treffen meine Befürchtungen zu.»

      «Krebs?»

      «Brustkrebs. Die linke Brust ist betroffen.»

      «Sind