Kiel in der Geschichte. Oliver Auge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oliver Auge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783529092534
Скачать книгу
zwischen beiden –, was den Schauenburgern ein Dorn im Auge war. Kiel war offenbar gemeinsam mit der nahezu zeitgleich 1238 mit Stadtrecht versehenen Stadt Itzehoe an der Stör als ein ähnlich miteinander korrespondierendes Städtepaar gedacht, zwischen dem der Handel auf Ost- und Nordsee enger zusammenrücken sollte.

      Doch eine wirkliche ökonomische Gefahr für die hansische Handelsachse zwischen Hamburg und Lübeck stellte dieses neue Städteduo Kiel-Itzehoe aufgrund seiner exzentrischen Verkehrslage zu keiner Zeit dar. Gleichwohl darf man nicht vergessen, dass Kiel vom Ausgang des 13. Jahrhunderts an – nachweislich seit 1283/84 – bis zu seinem offiziellen Ausschluss im Jahr 1544 ein mehr oder minder aktives Mitglied der Hanse gewesen ist. Allein schon die Mitgliedschaft in der Hanse sowie die für Kiel früh belegte Existenz einer eigenen Gilde von Schonenfahrern sind Ausdruck der Bemühungen, die Stadt als neues ökonomisches Zentrum im Handel zwischen Ost- und Nordsee zu installieren. Für Kiel als ein solches neues ökonomisches Zentrum sprach darüber hinaus, dass in dessen Umkreis ein Ort lag, der eine Verbindung nach Westen, zur Nordsee hin, bereits sicherstellte: Gemeint ist Flemhude, dessen Name anzeigt, dass sich hier ein Landeplatz flämischer Fernhändler befand, die, von der Nordsee über Treene und Eider kommend, mit ihren wertvollen Waren die Ostsee zu erreichen suchten – wohl weil die protektionistischen Lübecker Kaufleute dies weiter südlich erfolgreich zu verhindern wussten.

      Kiel als Dreh- und Angelpunkt in internationalem Handel – um dies zu erreichen, wagte Friedrich III. (*1597; †1659) in den 1630er Jahren einen neuen Vorstoß. Er knüpfte an den mittelalterlichen Versuch an, über die »Gründung« Kiels eine weitere Handelsroute im Fernhandel zu etablieren und bemühte sich in den 1630er Jahren, Kiel gemeinsam mit dem erst 1621 gegründeten Friedrichstadt zu einem neuen korrespondierenden Städtepaar zu machen. Dieses sollte eine führende Rolle im internationalen Seidenhandel zwischen Persien und Westeuropa einnehmen. Diese ehrgeizigen Pläne Herzog Friedrichs und seiner höfischen Umgebung scheiterten, besser gesagt: Sie scheiterten nicht einfach, sondern der Verantwortliche, Kaufmann Otto Brüggemann (1600; †1640), wurde 1640 wegen vermeintlicher Inkompetenz öffentlich hingerichtet. Aber immerhin legten die Persianischen Häuser, die zwischen 1632 und 1638 am Kieler Alten Markt aus dem Holz der zunächst für den gedachten Warenumschlag am Hafen errichteten Packhäuser erbaut worden waren, bis zu ihrer Zerstörung im Bombenkrieg des Jahres 1944 in gewisser Weise ein Architektur gewordenes und namentliches Zeugnis der Fernhandelsfunktion ab, welche Kiel seinerzeit einnehmen sollte.

      Solche ehrgeizigen Pläne und die durchaus längere Verortung der Stadt auch in der Hanse konnten nichts daran ändern, dass Kiels Handel und Wirtschaft stets eine allenfalls regionale Ausrichtung hatten. Diese Beschränkung auf regionalen Handel stellte ein konstantes Problem in der Kieler Geschichte dar. Noch nicht einmal durch den 1895 eröffneten Kaiser-Wilhelm-Kanal (heute Nord-Ostsee-Kanal) als Tor zur Welt vor den Mauern Kiels ließ sich dies ändern: Die Welt fuhr auf dem Kanal nur noch besser an Kiel vorbei.

      Ökonomisch betrachtet ist Kiel lange Zeit und bis heute also keinesfalls ein Monolith in der schleswig-holsteinischen Städtelandschaft gewesen. Anders sah es phasenweise auf der politischen Ebene aus. Schon in seiner ersten städtischen Grundstruktur zeichnete sich Kiel durch eine feste Verbindung zur stadtherrlichen Burg aus, die den nördlichen Landzugang zur Stadt wirksam abschirmte. Hier etablierte zwischen 1261 und 1316/21 die sogenannte Kieler Linie des Schauenburger Grafenhauses ihre namengebende Hauptresidenz, wie noch näher beleuchtet werden wird. Diese Seitenlinie der Schauenburger existierte jedoch nicht lange. Mit dem Verschwinden der gräflichen Nebenlinie verlor auch Kiel seinen Status als gräflichen Hauptsitz rasch wieder. Immerhin fungierte die Burg, die in der frühen Neuzeit zum repräsentativen Schloss um- und ausgebaut wurde, nunmehr des Öfteren als Witwensitz, so etwa zur Zeit der Herzoginwitwe Friederike Amalie (*1649; †1704). Diese zog hier nach dem Tod ihres fürstlichen Gemahls Christian Albrecht (*1641; †1694) ein und lebte bis zu ihrem eigenen Ende im Jahr 1704 in Kiel. Ihr Kieler Witwenhof entwickelte sich in kürzester Zeit zum kulturellen Zentrum im Gottorfer Machtbereich.

      Nach der schweren Niederlage im Großen Nordischen Krieg 1721 musste der Gottorfer Herzog seine Anteile am Herzogtum Schleswig an den dänischen König abtreten. Kiel profitierte von diesem Verlust, denn es trat nun an die Stelle der bisherigen Hauptresidenz Gottorf und wurde zur neuen Hauptstadt des Miniaturstaates Holstein-Gottorf. Zur dynastischen Grablege wurde die Kirche des ehemaligen Chorherrenstifts in Bordesholm anstelle des ehrwürdigen Schleswiger Domes erkoren. Kurz darauf, am 26. August 1727, zogen in das Kieler Schloss neue illustre Bewohner ein: Der damals 27-jährige Herzog Carl Friedrich (*1700; †1739) mit seiner schwangeren Gemahlin Anna Petrowna (*1708; †1728), einer Tochter Zar Peters des Großen (*1672; †1725), hielt feierlichen Einzug in seine Hauptstadt, nachdem er aus Russland vertrieben worden war. Hier, im Kieler Schloss, wurde wenig später sodann der einzige Sohn und Erbe, Carl Peter Ulrich (*1728; †1762), geboren. Der Kieler Zarenverein rückte dies durch ein 2014 im Kieler Schlossgarten aufgestelltes Denkmal des russischen Bildhauers Alexander Taratynov (*1956) ins öffentliche Bewusstsein. Dieser Carl Peter Ulrich machte später in Russland eine ungewöhnliche Karriere, indem er bald von seiner kinderlosen Tante, der Zarin Elisabeth (*1709; †1762), zum russischen Thronfolger erklärt und nach St. Petersburg geholt wurde. Doch die Regentschaft von Carl Peter Ulrich stand unter keinem guten Stern: Er trat zwar als Peter III. im Jahr 1762 die Nachfolge Elisabeths auf dem Zarenthron an, doch er wurde nach nur sechsmonatiger Regierungszeit gestürzt und ermordet. Seine daran nicht ganz unbeteiligte Frau und Nachfolgerin, Katharina die Große (*1729; †1796), suchte anders als ihr Gatte im Bemühen um Frieden im Norden einen Ausgleich mit Dänemark, was zum Tauschvertrag von Zarskoje Selo führte, demzufolge Holstein-Gottorf samt Kiel 1773 an den dänischen Gesamtstaat fiel.

      Kiel büßte damit seine Hauptstadtfunktion wieder ein. Immerhin wurde es aber am 1. Oktober 1834 Sitz des Oberappellationsgerichts, welches in einem Gebäude in der Flämischen Straße untergebracht wurde. Diese Einrichtung, die eine endgültige Trennung von Justiz und Verwaltung im Gesamtstaat mit sich brachte, machte Kiel zum Standort eines letztinstanz- lichen Gerichts für Holstein, Schleswig und Lauenburg, das seit 1815 ebenfalls zum Gesamtstaat gehörte. Kiel erfüllte damit eine zentrale juristische Funktion für den gesamten Bereich zwischen Elbe und Königsau. Allerdings behielt es diese nur bis zur Schleswig-Holsteinischen Erhebung. 1852/54 wurde dann ein eigenes Oberappellationsgericht in Flensburg installiert. Erst im Rahmen einer Justizreform von 1879 erlangte Kiel seine wichtige Rolle innerhalb der Rechtsprechung für den gesamten Bereich der nunmehr preußischen Provinz Schleswig-Holstein zurück, indem es Sitz eines Oberlandesgerichts wurde. Dieses wurde in einem stattlichen neoromanischen Bau am Lorentzendamm untergebracht, der zwischen 1892 und 1894 errichtet wurde. Heute befindet sich darin das schleswig-holsteinische Justizministerium.

      Nach dem Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 wurde Holstein in der Gasteiner Konvention vom 14. August 1865 unter die Verwaltung einer österreichischen Statthalterschaft gestellt, die ihren Hauptsitz in Kiel hatte. Für Schleswig und Lauenburg war hingegen Preußen zuständig. Kiel selbst wurde in der genannten Konvention zur geteilten Stadt erklärt, hieß es doch im Artikel 2: Die Vertragspartner »wollen im (Deutschen) Bunde die Herstellung einer deutschen Flotte in Antrag bringen und für dieselbe den Kieler Hafen als Bundeshafen bestimmen. Bis zur Ausführung der desfallsigen Bundesbeschlüsse … wird das Kommando und die Polizei über denselben von Preußen ausgeübt. Preußen ist berechtigt, sowohl zur Verteidigung der Einfahrt Friedrichsort gegenüber die nötigen Befestigungen anzulegen, als auch auf dem holsteinischen Ufer der Bucht die dem Zweck des Kriegshafens entsprechenden Marineetablissements einzurichten. Diese Befestigungen und Etablissements stehen gleichfalls unter preussischem Kommando, und die zu ihrer Besatzung und Bewachung erforderlichen preussischen Marinetruppen und Mannschaften können in Kiel und Umgebung einquartiert werden.« Um die konkrete Umsetzung dieser Vereinbarung zu regeln, wurde eine eigene Kommission aus preußischen und österreichischen Offizieren gebildet. Unter dem Kommando dieser Kommission wurden in Kiels Westteil österreichische, in seinem Osten preußische Truppen stationiert. Die Trennlinie zwischen den Besatzungsgebieten verlief entlang der Straßen Hamburger Chaussee, Sophienblatt, Klinke, Vorstadt, Holstenstraße, Schlossstraße, Kattenstraße, weiter bis zur Wasserallee. Der Exerzierplatz, das Exerzierhaus beim Schloss, der zwischen Knooper Weg und Schreventeich befindliche Schießstand sowie die Badeanstalt in Düsternbrook standen für eine gemeinschaftliche Nutzung offen.