Kiel in der Geschichte. Oliver Auge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oliver Auge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783529092534
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stets unterstützt hat. Diese Unterstützung ist wohl das Wertvollste, was einem Forscher widerfahren kann.

Oliver Auge Kiel, im Juli 2017

       Ein neues Kiel-Buch und sein Konzept

      Kiel blickt auf eine 775-jährige Stadtgeschichte zurück. Mag man über Sinn und Zweck solcher Jubiläen bekanntlich vortrefflich streiten, so ist eine so stattliche Zahl von Jahren, die die Stadt Kiel für ihre Geschichte reklamieren darf, doch Grund genug, um noch einmal intensiv zurückzuschauen, was es mit dieser Geschichte denn eigentlich auf sich hat und wie genau es sich mit dieser verhielt, speziell worin ihre markanten Merkmale bestehen, die Kiel von anderen Städten unterscheidbar machen. Genau diesem Anliegen soll das vorliegende Buch dienen. Nun handelt es sich bekanntlich nicht um das erste Werk zur Geschichte der Stadt Kiel. Vielmehr liegen schon mehrere Gesamtdarstellungen vor, die Kiels Geschichte einem interessierten Lesepublikum nahebringen. Hinzu kommt eine nur noch schwer überschaubare Zahl an Veröffentlichungen zu Einzelaspekten und -problemen der Kieler Stadtgeschichte, die entweder in monografischer Form oder als Aufsätze veröffentlicht worden sind. Nicht unerwähnt bleiben darf zudem das überaus verdienstvolle »Kiel-Lexikon«, das ein zentrales Hilfsmittel zur Erschließung der Kieler Vergangenheit geworden ist. Auch das Internet hält selbstverständlich viele hilfreiche, fundierte Zugänge zur Stadtgeschichte bereit.

      Obwohl es also schon eine bunte Vielfalt an Literatur zu Kiels Geschichte gibt, beansprucht das hiermit vorgelegte Buch für sich, etwas Neues zu sein und etwas in dieser Form für Kiel noch nicht Dagewesenes zu liefern. Damit ist nicht so sehr gemeint, dass es sich bei der gerade nur grob aufgelisteten bisherigen Forschung um durchaus schon in die Jahre gekommene und damit zwangsläufig mehr und mehr an Aktualität einbüßende Zeichnungen eines Gesamtbildes oder aber und weitaus zahlreicher um ein buntes, damit freilich keineswegs weniger relevantes Potpourri Kieler Geschichte, Geschichten und Geschichtchen handelt. Woran es demgegenüber bisher fehlt, ist der Versuch einer bis in die jüngste Gegenwart reichenden, prägnanten Darstellung, die einen roten Faden durch das Wirrwarr der vielen Kieler Namen, Daten und Fakten zu stricken bemüht ist, die Wichtiges von Unwichtigem trennt und thematische Schwerpunkte der Stadtgeschichte im Kontext der allgemeinen historischen Entwicklung aufzeigt. Denn ernsthafte Geschichtswissenschaft hat grundsätzlich nichts mit bloßem antiquarischen Sammeln zu tun. Sie zeichnet sich vielmehr durch exemplarische Auswahl und interpretatorische Gewichtung der eigentlich ungeordneten Vergangenheit aus. Sie schlägt sinnvolle Schneisen im wüsten Chaos der Geschichte und macht Erklärungsangebote. Die augenfälligen Hauptthemen der Kieler Geschichte gilt es also vor dem Hintergrund der sie umgebenden Landes- und Regionalgeschichte pointiert herauszuarbeiten und zu einem schlüssigen Ganzen zusammenzufügen. Nur so kann gut begründet definiert werden, was Kiel zu einer besonderen Stadt macht und worin Kiel anderen Städten in nah und fern ähnelt oder gar gleicht. Das ist Ziel dieses Buches.

      Es ist eine Binsenweisheit, dass die Geschichte einer einzelnen Stadt nie losgelöst von den Geschehnissen und Entwicklungen der sie umgebenden Region, des Landes und darüber hinaus begriffen werden kann. Doch umgekehrt kann auch die allgemeine Geschichte bis hin zur Makroebene der Globalgeschichte natürlich nicht sinnvoll erforscht werden, wenn man die Mikrosicht ganz und gar vernachlässigt. Denn aus den Mikrogeschichten der unzähligen einzelnen Orte setzt sich letztlich die Geschichte der Makroperspektive zusammen. Mit dem allgemeinen Kontext vernetzt und aus demselben erklärbar sollen unter dieser Prämisse im Folgenden in thematischen Längsschnitten, die jeweils ihrer eigenen Chronologie folgen, die Hauptthemen der Kieler Geschichte zu einem Gesamtzusammenhang verwoben werden. Da dafür allerdings nur ein begrenzter Seitenumfang zur Verfügung steht, der zur Raffung und Straffung auffordert, können diese Längsschnitte freilich nur wieder Facetten einer Stadtbiografie abbilden. Biografie als Lebensbeschreibung meint dabei einmal die Geschichte einer lebendigen Stadt von den Anfängen bis heute, wobei nach dem gerade Gesagten die Chronologie anders als bei einem Lebenslauf nicht sklavisch eingehalten werden soll. Zweitens sei darunter insbesondere der Blick auf die in dieser Stadt damals wie heute lebenden Menschen verstanden.

       1.Kiel als Hauptstadt

      Seit 1946 ist Kiel die Hauptstadt von Schleswig-Holstein. Wenn diese Rolle auch heute nicht mehr wesentlich in Frage gestellt wird, schaut Kiel doch auf eine bewegte Geschichte auf dem Weg zur Hauptstadt zurück. Kiel war tatsächlich keineswegs immer eine Hauptstadt im Norden. Wie aber stand es vorher um die Stadt? Um Kiels Entwicklung zur Hauptstadt nachvollziehen zu können, ist es wichtig, die regionalgeschichtliche Perspektive heranzuziehen und zu fragen: Wie sah es denn um Kiel herum aus? Ganz in diesem Sinne wird in diesem Kapitel auch nach der Funktion der Stadt für das Land Schleswig-Holstein und nach Kiels Rolle innerhalb der deutschen Geschichte gefragt.

      Kiels Weg zur Landeshauptstadt war geprägt von etlichen Zäsuren und Brüchen, ein Umstand, der so schon eine Kieler Besonderheit darstellt. Dies lag an den spezifischen schleswigholsteinischen Verhältnissen: Wie der Historiker Hartmut Lehmann darlegt, gab es in Schleswig-Holstein keine Stadt, die selbstverständlich von allen als Hauptstadt angenommen und akzeptiert wurde. Von einer Hauptstadt könne man nur dann sprechen, so Lehmann, wenn von ebendieser Stadt wesentliche Funktionen ausgeübt würden, die für die Region im Ganzen bestimmt und wichtig seien und zwar in politischer, rechtlicher, verwaltungsmäßiger, ökonomischer und kultureller Hinsicht. Und dies traf keineswegs alles für Kiel zu – und tut es eigentlich bis heute nicht. Zwar ist nun Kiel Sitz der Landesregierung und des Landesparlaments, auch befindet sich hier die einzige Volluniversität Schleswig-Holsteins. Aber auch Flensburg und Lübeck firmieren mittlerweile erfolgreich als Universitäts- und Wissenschaftsstandorte. Das Oberlandesgericht als juristisches Zentralorgan, das Landesarchiv und das Landesmuseum als Gedächtnis des Landes sind hingegen in Schleswig zu Hause. In Kiel gibt es eine bunte kulturelle Szene, aber auch andernorts im Land, z. B. in Schleswig oder in Lübeck, wird ein interessantes Theater- und Kulturprogramm geboten. In Richtung Hamburg hat die Landeszentralbank, ehemals mit Sitz in Kiel und Lübeck, 2014 das Bundesland verlassen. Auch andere wirtschaftlich bedeutsame Zweige verlagerten und verlagern ihren Sitz mehr und mehr an die Elbe. So gibt gegenwärtig die Landesbausparkasse ihren zweiten Hauptsitz in Kiel zugunsten des Standortes Hamburg auf, was in der Kommunalpolitik für Unmut sorgt. Kiel ist ohne Frage auch weiterhin ein zentraler Standort für Industrie, Handwerk und Dienstleistungssektor, doch die Konkurrenz ist groß. Die Randbezirke der Metropolregion Hamburg – manche sprechen despektierlich vom »Hamburger Speckgürtel« –, wie beispielsweise der Kreis Stormarn, verfügen über vergleichbare ökonomische Potentiale. Dazu spielt die ehemalige Freie Hansestadt Lübeck am Rand des heutigen Bundeslandes Schleswig-Holstein in vielerlei Hinsicht eine so von vielen Lübeckern auch bewusst gewollte Sonderrolle. Schließlich war man dort bis 1937 selbstständig!

      Schon diese erste Auflistung, die man mühelos noch erweitern könnte, macht deutlich: Schleswig-Holsteins Städtelandschaft ist nicht zentral ausgerichtet, sondern erstreckt sich über mehrere Städte, die jeweils als ein Knotenpunkt fungieren. Dies hängt ganz wesentlich mit der spezifischen Vergangenheit Schleswig-Holsteins zusammen.

      Im 13. Jahrhundert begann man, das Land nördlich der Elbe zu urbanisieren. In diese Zeit fällt auch die Gründung oder vielmehr Erhebung Kiels zur Stadt. Kiels »Gründung« war tatsächlich kein isolierter Akt, sondern ein wohlüberlegter Schachzug einer weit gefassten Städtepolitik der holsteinischen Grafen aus dem Hause Schauenburg. Diese verfolgten das Ziel, ihre Landesherrschaft nachhaltig auszubauen und dauerhaft zu festigen. Zwischen 1201 und 1223/27 hatten sie diese nach einer Niederlage gegen den dänischen König Waldemar II. (*1170; †1241), der fortan den schillernden Beinamen »der Sieger« führte, verloren und wollten nun verhindern, dass sich solches wiederholte. Die gräfliche Städtepolitik sah vor, dass die frisch gegründeten Städte wichtige politische, militärische und wirtschaftliche Aufgaben wahrnehmen und zu herrschaftlichen Stützpunkten werden sollten. Gerade im Hinblick auf die ökonomische Entwicklung ging es den Schauenburger Grafen zumal darum, der Konkurrenz der damaligen »Boomtown« Lübeck Paroli zu bieten, wie der Historiker Thomas Hill nachweist. Lübeck gewann im 13. Jahrhundert als Handelspartner von Hamburg