Aelia, die Kämpferin. Marion Johanning. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marion Johanning
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130302
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lieben Mädchen, dass ich immer nur das Beste für euch will. Wenn ich euch verkaufe, dann nur in gute Häuser, darauf könnt ihr euch verlassen.«

      Er rieb sich die Hände und wischte einen Hauch Mehl von seinem Kaninchenfell. »Ihr seht also, unsere Schule kann euch den Weg in ein besseres Leben ebnen.«

      Die Mädchen saßen immer noch reglos am Tisch, keines wagte ­etwas zu sagen.

      »Warum sagst du uns nicht, wo sie ist?«, wiederholte Aelia leise, ohne Dardanus aus den Augen zu lassen. Die Köchin warf ihr wieder einen warnenden Blick zu, aber der kümmerte sie nicht.

      »Bei meinen Schaukämpfen hat niemand versucht, mich zu kaufen«, fuhr sie fort. »Es ist seltsam, dass Verina das passiert, obwohl sie lange nicht mehr gekämpft hat.«

      Ein Poltern erklang. Sarus war so hastig von seinem Platz aufgesprungen, dass sein Hocker umfiel. Mit einem Satz war er hinter ­Aelia, drehte ihr den Arm auf den Rücken und presste ihre Schulter auf den Tisch. »Was erlaubst du dir?«, zischte er in ihr Ohr. »Sei still!«

      Dardanus hob seine Hand. »Lass sie, mein Lieber. Ich will ihr antworten. Ich verstehe ja, dass alles so rasch für euch kommt. Es ist aber so, dass ich handeln muss, wenn sich Gelegenheiten für mich bieten. Der Fortbestand unserer Schule hängt von meinen Geschäften ab, und wenn ich die nicht mehr machen kann, werde ich die Schule schließen und euch alle verkaufen müssen. Wäre euch das lieber?«

      Die Mädchen schüttelten die Köpfe. Dardanus nickte zufrieden.

      »Schön, dass ihr das versteht. Die Zeiten sind nun mal schlimm. Ihr habt keine Eltern mehr, aber ihr habt hier ein Zuhause gefunden. Draußen auf den Straßen gibt es genug Mädchen, die sich das sehnlichst wünschen. Wollt ihr mit ihnen tauschen? Wollt ihr auf die ­Straße zurück?«

      Die Mädchen schüttelten die Köpfe.

      »Ich sehe, ihr seid kluge Mädchen«, sagte er und gab Sarus ein Zeichen. Der hielt Aelias Kopf fest auf die Tischplatte gedrückt. Dar­danus hob die Hand.

      »Sprecht den Gehorsamkeitsschwur!«

      Die Mädchen senkten die Köpfe, legten ihre Hände übereinander auf den Tisch und gelobten feierlich, dem Händler und ihrem Lehrer Sarus in allem zu gehorchen und die Ehre des Hauses zu bewahren. Nur widerwillig kamen die Worte aus Aelias Mund. Jedes Mal, wenn sie stockte, presste Sarus ihren Kopf umso fester auf die Tisch­platte. Dardanus tätschelte Gnaea die fleischige Schulter und schob sich noch ein Stück Brot in den Mund.

      »Schmeckt vorzüglich, meine Liebe«, lobte er kauend. Als er dann, der Tür zustrebend, an Aelia vorbeikam, lächelte er auf sie herunter.

      »Vielleicht hast du etwas falsch gemacht bei deinen Kämpfen«, sagte er immer noch kauend. »Vielleicht hast du dem Publikum nicht gefallen.«

      Mit diesen Worten ging er durch die Tür und warf sie hinter sich zu.

      Für ihre Widerworte kam Aelia noch am selben Tag in den Kerker. So nannten die Mädchen jenen Verschlag über dem Stall, der fensterlos, dunkel und so klein war, dass gerade ein Mädchen hineinpasste. Nichts war darin außer ein Strohsack und ein Eimer für die Notdurft; es war ein Ort, der verlassener nicht sein konnte.

      Aelia kauerte sich auf den Strohsack und machte sich Vorwürfe und Sorgen. Sie sah Verina, im Kampf verletzt, ihrem baldigen Ende entgegendämmern oder als Getötete auf der kalten Erde liegen. Sie sah sie im Hurenhaus arbeiten oder den Nachstellungen eines lüsternen reichen Mannes hilflos ausgeliefert. Sie sah sie als Arbeitssklavin in einer Wäscherei oder irgendwo in den Straßen der Stadt betteln, nachdem sie den Kampf verloren hatte. Vielleicht hatte Dardanus sie an einen Sklavenhändler verkauft, weil er glaubte, mit ihr keinen Gewinn mehr machen zu können.

      Viele Möglichkeiten gingen ihr durch den Kopf, und jede beun­ruhigte sie mehr.

      Hätte sie sich im Kampf gegen die Freundin doch nur besser geschlagen! Wie sollte sie nur weiterleben ohne die andere? Ohne Verina würde sie keine Verbündete mehr haben, keine, mit der sie abends auf den Hof reden konnte, keine, die ihr ehrlich sagte, was sie dachte. Aelia legte ihren Kopf auf die Knie und weinte.

      Als man sie nach drei Tagen und Nächten wieder hinausließ, waren ihre Tränen getrocknet. Bleich, aber entschlossen blinzelte sie in das Licht, das in ihr Gefängnis fiel, als Hilarius endlich die Tür öffnete. Gierig griff sie nach dem Becher mit Brunnenwasser, den er ihr hinhielt, und leerte ihn in einem Zug. Sie hatte einen Entschluss gefasst. Sie musste Verina folgen, um herauszufinden, was mit ihr geschehen war. Dazu musste der nächste Kampf ihrer sein.

      Kapitel 3

      Nur wenige Tage nach Verinas Verschwinden brach der Winter herein. Mächtige Wolken ballten sich am Himmel, aus denen es bald unaufhörlich schneite, bis die Stadt unter einer weißen Decke versank. Wer es konnte, vermied es, aus dem Haus zu gehen. Schiffe wagten sich nicht mehr die Mosella hinunter, Händler und Bauern kamen nicht mehr nach Treveris, und der allwöchentliche Markt auf dem Platz des Forums fand nicht mehr statt.

      Die Mädchen erhielten nur noch die Hälfte ihrer üblichen Portionen, obwohl die Köchin über ausreichende Wintervorräte verfügte. Aber die Götter, die sie regelmäßig mit ihren geheimen Methoden befragte, hatten ihr verraten, dass es ein langer und strenger Winter werden würde.

      Der Tag der Wintersonnenwende, an dem das Fest der Christusgeburt gefeiert wurde, rückte näher, und es wurde traditionell mit Festessen und Feiern begangen, aber Dardanus hatte noch kein Mädchen für einen Schaukampf ausgewählt.

      Aelia hatte sich in den letzten Wochen mustergültig verhalten. Sie war still und fügsam gewesen und hatte jeden von Sarus’ Befehlen befolgt, aber dennoch war nichts geschehen. Sie fragte sich, ob die Zuschauer keine Mädchenkämpfe mehr sehen wollten. Waren sie der Kämpfe überdrüssig geworden? Oder hatte der Präfekt sie vielleicht verboten?

      Zu ihrem Leidwesen musste sie feststellen, dass Eghild von Tag zu Tag besser wurde. Zwar konnte sie Aelia im Faustkampf nicht besiegen, aber sie war schnell, sie lernte rasch, und sie war eine mindestens ebenso talentierte Kämpferin wie Aelia. Den Stock führte sie wie ein Schwert, und Aelia hatte sie im Verdacht, dass sie eigentlich eine Schwertkämpferin war. Seltsam, sie wusste einiges über die Barbaren, aber dass sie Mädchen das Kämpfen lehrten, hatte sie noch nie gehört.

      Als Dardanus endlich an einem Abend kurz vor der Wintersonnenwende in der Halle erschien und Aelia für den nächsten Schaukampf auswählte, nachdem er sich lange flüsternd mit Sarus ausgetauscht hatte, erfüllte sie tiefe Erleichterung. Es sollte ein Schaukampf sein, der nach einem Gastmahl stattfinden würde, zu dem der reichste Mann der Stadt geladen hatte. Dardanus erzählte, dass Marcellus ausdrücklich Aelia gewünscht habe, und hörte nicht auf zu betonen, welche besondere Ehre das für sie sei.

      Aelia ahnte, dass es wahrscheinlich wieder ein echter Kampf sein würde, aber sie hoffte, dass sie bei diesem Gastmahl die Gelegenheit haben würde, etwas über Verinas Verbleib zu erfahren. Mit Eifer stürzte sie sich in die Einzelübungen bei Sarus, die sie nun jeden Abend machen musste. Sarus ließ sie härter üben als vor jedem ihrer anderen Kämpfe, aber sie fügte sich mit eiserner Disziplin.

      Drei Tage vor der Wintersonnenwende war sie so erschöpft, dass sie Übelkeit vortäuschte, um sich vor dem Kampf zu schonen. Sarus schickte sie zu Gnaea in die Küche. Die Köchin gab ihr einen heißen Kräutertrank und schloss sie in ihren Verschlag ein.

      Aelia trank das bitter schmeckende Gebräu und streckte sich auf ihrem Lager aus. Noch nie war sie allein in diesem Raum gewesen, der Eghild und ihr als Schlafkammer diente. Sie ließ ihren Blick über das Dachgebälk schweifen, das sich über ihr wölbte, die roten Ziegel darauf, die Wände aus hellem, billigem Holz, den Boden mit den ­alten fleckigen Brettern. Es roch nach Holz, Staub und Pferdemist. Die Pritschen standen je an einer Wand der Längsseite des Raumes unter der Fensterluke. An den Nägeln in der Wand hingen ein paar Leinenbinden, das war alles.

      Endlich war sie ungestört und konnte tun, was sie schon seit Tagen tun wollte. Sie erhob sich, kniete sich vor ihr Bett und fischte im Dunkeln, bis sie ein Kästchen aus Weidengeflecht ertastete, das sie unter