Aelia, die Kämpferin. Marion Johanning. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marion Johanning
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130302
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      Verina nahm Aelias Hände in ihre. »Was für Gegner hattest du noch?«

      Aelia genoss die Berührung, während Wärme sie durchflutete. Das sah Verina ähnlich, erst an andere zu denken, ehe sie sich Gedanken darüber machte, was das Gesagte für sie selbst bedeutete.

      »Beim zweiten Mal musste ich gegen einen Sklaven kämpfen. Ein ehemaliger Ringer – ich musste aufpassen, dass ich ihm nicht zu nahe kam – und beim letzten Mal gegen zwei Huren.«

      »Gegen zwei auf einmal?«

      »Das war nicht schlimm, sie konnten überhaupt nichts«, lächelte Aelia. »Sie wollten mich immer nur an den Haaren ziehen, aber das ging ja nicht.«

      Sie brach ab und schluckte. Sie wollte Verina nicht ­erzählen, dass es sie besondere Überwindung gekostet hatte, die beiden armen Frauen, die man wohl gezwungen hatte, gegen sie anzutreten, mit ein paar Faustschlägen niederzustrecken.

      »Ist das nicht furchtbar?«, hauchte Verina. »Menschen aufeinander zu hetzen wie Tiere. Wo soll das hinführen? Was wird aus uns werden?«

      »Ich weiß es nicht.« Aelias Stimme wurde vom Rascheln der ­Blätter übertönt, als der Wind durch den Baum fuhr. Sie fühlte sich erleichtert, endlich mit jemandem über ihr Geheimnis gesprochen zu haben, aber es beunruhigte sie auch. »Sag nur nichts. Wenn du etwas verrätst, töten sie mich.«

      Verina drückte ihre Hand. »Du kannst dich auf mich verlassen.« Aber ihre Stimme zitterte, und in ihrem Blick lag Angst. »Wir sollten doch fliehen«, flüsterte sie. »Wir könnten uns zur Bischofskirche retten. Oder wir fliehen ganz aus der Stadt.«

      »Nein! Die Soldaten sind überall, das weißt du doch! Wir werden nicht aus der Stadt kommen, sie werden uns finden und dann …«

      Aelia wollte nicht darüber nachdenken.

      Sie sah auf ihre Hände hinunter. Es hatte sie Überwindung ­gekostet, aber dann hatten diese Hände sie jedes Mal gerettet. Die jahrelangen harten Übungen bei Sarus trugen nun Früchte. Sie war zu einer Kämpferin geworden, die andere besiegen konnte, und ihr heimlicher Stolz darüber war so tief in ihr verborgen, dass sie ihn nicht einmal sich selbst geschweige denn der Freundin eingestehen wollte.

      »Aber du riskierst dein Leben!«

      »Das macht nichts. Ich kann immer wieder gewinnen, ich spüre es. Ich halte durch, bis sie sich etwas anderes einfallen lassen.«

      Verina ließ sie los und trat einen Schritt zurück. »Nein, das geht nicht! Wir müssen etwas tun!«

      »Was denn? Wenn wir fliehen, schnappen sie uns. Wenn wir Verletzungen vortäuschen oder uns absichtlich verletzen, riskieren wir, dass Dardanus uns verkauft. Wir können nichts tun, Verina! Wir sind ihm ausgeliefert!«

      »Wer weiß, wie lange das noch dauert. Irgendwann nehmen sie die anderen Mädchen, und dann …«

      Verina unterdrückte ein Schluchzen. Aelia wollte sie trösten, als in den privaten Gemächern des Hausherrn Lampen entzündet wurden.

      »Wir müssen zurück«, sagte Aelia hastig. »Morgen reden wir ­weiter.«

      Verina nickte, und sie beeilten sich, in die Blaue Kammer zurückzukehren. Hilarius nickte ihnen schweigend zu. Er hatte ihr langes Fehlen nicht bemerkt oder wenn, dann ließ er sich nichts anmerken. Bald danach gab er den Befehl zum Schlafengehen, und die Mädchen erhoben sich widerspruchslos. Hilarius war ein kräftiger Mann, trotz seines Alters noch eine beachtliche Erscheinung. Eindrucksvoll zeichneten sich die Muskeln seines Oberkörpers unter seiner Tunika ab. Es hieß, er sei einst Gladiator gewesen und habe als junger Mann in der Arena von Treveris gekämpft, früher, als es noch Gladiatorenkämpfe gab. Die Mädchen hatten großen Respekt vor ihm, und keines wagte es, gegen ihn aufzubegehren.

      Er führte sie über den Hof eine schmale Treppe hinauf, die ­zwischen Küche und Stall lag, dann durch einen dunklen Gang, um sie dort in ihre winzigen Verschläge für die Nacht einzuschließen.

      Aelia wollte lieber allein sein, aber sie musste sich ihr Gefängnis ausgerechnet mit der Barbarin teilen. Sie gab sich Mühe, Eghild nicht zu beachten, während sie sich hastig entkleidete.

      Ihr Verschlag, in dem sie schliefen, lag über dem Pferdestall, besaß dünne hölzerne Wände, die sie von den anderen trennten, eine Luke und zwei schlampig zusammengenagelte Holzpritschen, die ihnen als Nachtlager dienten. Da er direkt unter dem Dach lag, wurde es im Winter so kalt, dass nur die Wärme, die vom Stall heraufkam, sie nachts vor der Kälte schützte. Aelia konnte sich an Nächte erinnern, in denen sie sich mit einem anderen Mädchen das Bett geteilt hatte, um nicht zu erfrieren.

      Von Zeit zu Zeit wies Hilarius ihnen neue Schlafplätze zu. Auf ­diese Weise sollte vermieden werden, dass die Mädchen sich zu sehr aneinander gewöhnten und Freundschaften entstanden. Aelia hatte sich schon mit allen Mädchen einen Verschlag geteilt, aber mit ­Eghild noch nicht.

      Voller Befremden beobachtete sie, wie die Barbarin sich auf die Knie niederließ und in ihrer Sprache ein Gebet murmelte, um dann, nachdem sie sich erhoben hatte, lange unter der Luke zu verharren. Sie hob die Arme und öffnete die Handflächen, als wollte sie das Mondlicht auffangen. So blieb sie stehen, während sich ihre Lippen in einem lautlosen Gebet bewegten. Nach einer Weile ließ sie die Arme sinken und verharrte eine Zeitlang mit gebeugtem Rücken, während Aelia sie heimlich beobachtete. Da fiel der Blick der Barbarin auf sie.

      »Du nicht mehr Mädchen helfen«, zischte sie in ihrem schlechten Latein. »Wir sonst alle büßen.«

      Ihre hellen Augen schimmerten im Mondlicht wie Eis. Aelia lief ein kalter Schauer über den Rücken. Sie erhob sich langsam von ihrem Lager. »Willst du mir drohen?«

      Eghild rührte sich nicht. Schweigend stand sie da und starrte Aelia an. Da sie etwa gleich groß waren, konnten sie sich direkt in die Augen sehen.

      »Mädchen dumm, muss Strafe haben. Wenn du ungehorsam, wir alle büßen.«

      In Aelia stieg Wut auf. Sie wollte sich auf keinen Fall von Eghild belehren lassen. Nicht von einer Fränkin, deren Stammesgenossen ihre Stadt immer wieder überfallen, gebrandschatzt und geplündert hatten.

      »Halt den Mund!«, knurrte sie und hob die Fäuste noch ein Stück höher. Sie wusste, dass die Barbarin ihr im Faustkampf unterlegen war und es nicht wagen würde, sie anzugreifen.

      Eghild grinste. Ihre hellen Augen glitzerten im matten Licht, das durch die Luke hereinfiel, während Aelias dunkle Augen jede ihrer Bewegungen festhielten. Sie waren für einen Augenblick wie Licht und Schatten – ein heller und ein dunkler Typ, die sich in ihrem ­Gefängnis gegenüberstanden, bis Eghild eine abfällige Geste machte und sich auf ihre Pritsche warf.

      Aelia zögerte noch eine Weile, ehe auch sie sich auf ihr Nachtlager niederließ. Noch lange danach lag sie wach und lauschte auf Eghilds Atemzüge. Kühle Luft, die nach Herbst roch, wehte herein, und fast schien es ihr, als könnte sie den Geruch der Mosella riechen, der vom Flusstal heraufwehte.

      Es hatte einmal andere Tage gegeben, Tage, an denen sie an der Hand ihrer Mutter zum Hafen gegangen war. Silbern glänzte das Wasser, auf dem die Boote schaukelten, während die Sklaven Kiste um Kiste aus dem bauchigen Rumpf eines Handelsschiffes holten. Aelia konnte sich an einen kleinen Affen erinnern, der in einen Käfig aus Weidengeflecht gesperrt war. Nie zuvor hatte sie ein so drolliges Tier gesehen. Sie blieb stehen und starrte, der Affe hielt eine Weile still und sah sie an, dann kreischte er so laut, dass sie es mit der Angst bekam und zurückwich, bis ihre Mutter sie fortzog.

      Ihre Mutter hatte auf ein Schiff gewartet, das nicht gekommen war, und sie waren den ganzen Heimweg in gedrückter Stimmung ­gewesen.

      Aelia musste wieder an den Affen denken. Nie hätte sie damals gedacht, dass sie einmal eingesperrt sein würde wie er. Wie lange war sie nicht mehr am Hafen gewesen und hatte die Schiffe beobachtet! Sie war einmal ein ganz normales treverisches Kind gewesen, aber das war so lange her, dass sie sich kaum noch daran erinnern konnte. Sie seufzte leise und sah durch die Luke in den nächtlichen Himmel, wo die Wolken den Mond verdeckten, ehe sie endlich