Aelia, die Kämpferin. Marion Johanning. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marion Johanning
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130302
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mit einem Zeichen verständigt, eines aus jener Sprache, die sie im Laufe ihrer Jahre bei Dardanus entwickelt hatten und die nur sie beide verstanden – eine Sprache aus Gesten, geheimen Zeichen und Blicken. Dann war Aelia unter dem Vorwand, die Latrine zu benutzen, hinausgegangen, und Verina war ihr gefolgt. So taten sie es immer, wenn sie allein sein wollten. Es war schon dunkel auf dem Innenhof, nur am Eingang zum Stall zuckte eine Fackel im Herbstwind.

      Die Gemächer des Hausherrn, die den Hof auf der anderen Seite umschlossen, lagen im Dunkeln. Vermutlich war Dardanus ausgegangen; als Händler mit zahlreichen Klienten hatte er immer viele Verpflichtungen in der Stadt.

      Die beiden Mädchen blickten sich um, ob ihnen jemand gefolgt war. Aber es war nichts zu hören außer dem Rascheln des Laubes, das der Wind über den Hof wehte.

      »Aelia, er wird immer schlimmer!«

      Fast übertönte der Herbstwind Verinas geflüsterte Worte. Aber sie krochen dennoch in Aelias Ohren und legten sich wie ein eisiger Hauch auf ihr Gemüt. Sie fasste Verina am Ärmel und zog sie in eine windgeschützte Ecke des Hofes. »Du kennst Sarus doch, er hat seine schlimmen Tage.«

      »Aber sie waren nie so! Er kennt keine Gnade mehr! Die arme Lucilla wäre in Ohnmacht gefallen, wenn du nichts getan hättest! Glaubst du, ein Dämon hat von ihm Besitz ergriffen? Dann möge Gott sich seiner Seele erbarmen.«

      Verina bekreuzigte sich. Es sah ihr ähnlich, dass sie sich auch nach einem solchen Tag noch um die Seele ihres Lehrers sorgte. Aelia sah auf ihre schwieligen Hände hinunter und seufzte. Obwohl sie becherweise Brunnenwasser getrunken hatte, war sie immer noch durstig. Außerdem tat ihr jeder Muskel weh.

      »Was sollen wir denn machen?« fragte sie. »Wir können froh sein, dass wir hier sind! Wer weiß, was aus uns geworden wäre!«

      »Nein«, versetzte Verina. »Wir hätten zu den Heiligen Schwestern gehen können. Oder wir wären von einem barmherzigen Menschen aufgenommen worden. Wir hätten uns irgendwo etwas verdienen können oder …«

      »Ach ja?«, fuhr Aelia dazwischen, »wie denn? Du weißt doch genau, dass es hunderte von Waisenkindern seit den Überfällen auf unsere Stadt gibt! Und es werden nicht weniger! Ich ertrage lieber Sarus, als mir Tag für Tag das Essen erbetteln zu müssen.«

      »Ist es eine Schande, betteln zu müssen? Jesus hat gesagt, die Vögel auf den Feldern und im Wald säen nicht, sie ernten nicht, und der Herr ernährt sie doch.«

      Aelia runzelte die Stirn. Sie hasste es, wenn Verina so etwas sagte. Geh doch zu den Heiligen Schwestern, hätte sie ihr am liebsten entgegnet, aber sie schwieg. Sie wollte die Freundin nicht verärgern, außerdem konnte Verina nicht weg von hier, selbst wenn sie es wollte. Vor einigen Jahren war ein Mädchen aus Dardanusʼ Haus geflohen, und man hatte es Wochen später erwürgt am Ufer der Mosella gefunden. Daran erinnerte der Hausherr sie immer wieder gern.

      »Du hast doch nicht etwa vor …«

      »… zu fliehen? Oh nein!«, entgegnete Verina, und ein trauriges ­Lächeln huschte über ihr rundes, wenig hübsches Gesicht.

      »Auch wenn ich mir jeden Tag wünsche, woanders zu sein. Jeden Tag bete ich zu Gott, er möge mich von Sarus und von den Kämpfen endlich befreien. Wenn doch nur diese widernatürliche Vorliebe der Zuschauer für die Schaukämpfe nicht wäre.« Sie seufzte tief.

      »Wünsch dir das lieber nicht«, versetzte Aelia. »Dardanus würde uns ohne zu zögern ans Hurenhaus verkaufen, wenn wir ihm nichts mehr einbringen würden.«

      »Glaubst du wirklich?«

      »Ja, ganz sicher.« Aelia war zu lange in Dardanus’ Haus und hatte zu viel erlebt, um noch von der Gutherzigkeit seines Besitzers, die er ihnen immer glauben machen wollte, überzeugt zu sein. »Die Schaukämpfe sind noch harmlos«, entfuhr es ihr. Schon bereute sie ihre Worte. Aber Verina hatte sie verstanden.

      »Was meinst du damit?«, fragte sie leise.

      Verdammt, warum hatte sie nur etwas gesagt? Aelia fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Ein kühler Windstoß nestelte an ihrem Gewand und ließ sie frösteln trotz der Stoffbinden, die sie darunter trug.

      »Ich habe dem Herrn versprochen, mit niemandem darüber zu ­reden.«

      Verina starrte sie an. Im kümmerlichen Fackellicht sah sie blass und entsetzt aus. Sie griff mit kalter Hand nach Aelia. »Was für Kämpfe?«

      Aelia zögerte.

      Es drängte sie, Verina alles anzuvertrauen, was sie wusste, sich endlich alles vom Herzen zu reden. Andererseits wollte sie nicht, dass die Freundin sich noch mehr ängstigte und womöglich etwas Unbedachtes tat. Aber Verina ließ nicht locker.

      »Haben wir uns nicht immer alles anvertraut? Habe ich dich jemals verraten? Ich würde nie etwas tun, das dir schadet. Aelia, du musst es mir sagen!«

      Aelia erkannte, dass sie nicht mehr zurückkonnte. Verina würde nicht nachlassen, bis sie ihr alles erzählt hatte. »Also gut«, sagte sie und spähte ins Halbdunkel, ob sie schon jemand suchte. Aber der Hof war leer bis auf eine Katze, die zum Stall lief und durch ein Schlupfloch in der Tür verschwand.

      »Ich war bei einem echten Kampf«, flüsterte sie.

      Eine Weile war alles still.

      »Du warst bei einem echten Kampf?«, echote Verina. »Du musstest wirklich kämpfen?«

      »Ja«, versetzte Aelia knapp und fragte sich, wie die Freundin erst reagieren würde, wenn sie erst die ganze Wahrheit kannte. Sie atmete tief ein und fuhr dann fort: »Sie haben mich während eines Gastmahls gegen einen Verbrecher kämpfen lassen, einen Schläger aus den Verliesen der Stadtwache. Ich hatte Glück und konnte ihn besiegen.«

      Sie lächelte matt, während sie sich verbot, an jenen Abend zurückzudenken. Nur mit viel Glück hatte sie den harten Schlägen dieses Mannes ausweichen können, der sämtliche Tricks und Finten eines Menschen beherrschte, der es gewohnt war, sich sein Leben lang mit den Fäusten durchzuschlagen. Sie hingegen hatte es Überwindung gekostet, ihn mit jenem Hieb an die Schläfe niederzustrecken, von dem sie wusste, dass er sicher zur Bewusstlosigkeit führte.

      »Es gab Wetten«, erzählte sie weiter. »Dardanus muss ein Vermögen mit mir verdient haben, weil alle auf meinen Gegner gesetzt ­haben.«

      Verina starrte sie aus großen Augen an. »Deine Wunde an der Stirn im Sommer war also kein Ausrutscher von einem Schaukampf«, stellte sie fest.

      Aelia nickte.

      »Und danach warst du noch zweimal fort. Waren das auch richtige Kämpfe?« Verinas Stimme klang heiser.

      Aelia nickte wieder. »Es gefällt ihnen, die Kämpfe nach den Gastmählern zu sehen. Sie wetten und feuern ihren Favoriten an – wie früher in der Arena.«

      »Aber das ist verboten!« Verinas Stimme war nur noch ein Hauch, fast verschluckt vom Wehen des Windes.

      »Niemand schert sich darum. Ich glaube, unsere Schaukämpfe sind ihnen zu langweilig geworden.«

      Die Schaukämpfe waren seit Jahren eine beliebte Zugabe bei Gastmählern, Festen und privaten Theaterstücken, nachdem das Theater der Stadt abgebrannt war. Die Mädchen hatten dabei einstudierte Darbietungen, die Teil einer Aufführung waren, oder Szenen aus berühmten Stücken gezeigt – je nach Geschmack des Gastgebers. Allerdings hatte Sarus ihnen auch Dinge beigebracht, die sie nur für echte Kämpfe brauchten, und sie gegeneinander kämpfen lassen, wann ­immer es ihm gefiel.

      »Aber wir sind Mädchen!«

      Verinas Stimme klang, als hätte ein Reibeisen ihren Hals von innen aufgeraut.

      »Sie mögen unseren Anblick«, stellte Aelia, die sich an die lüsternen Blicke mancher Zuschauer erinnerte, nüchtern fest. »Sarus hat mir erzählt, dass es einst, vor langer Zeit, auch Gladiatorinnen gab, ehe man die Frauenkämpfe verboten hat.«

      »Heiliger Herr Jesus!« Verina bekreuzigte sich. »Wenn unser ­Kaiser das alles wüsste.«

      »Er