Aelia, die Kämpferin. Marion Johanning. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marion Johanning
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130302
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Sie kannte den Streitwagen und wusste, dass er nicht leicht zu ziehen war. Spätestens am Mittag würden Lucilla ihre Kräfte verlassen, wenn Sarus sie nicht vorher erlöste.

      Und tatsächlich – mit der Zeit schleppte Lucilla sich immer langsamer dahin, während Sarus mit ihr Satz für Satz der ersten Lektion durchging. Bald konnte sie die Lektion auswendig herunterbeten, doch Sarus ließ sie sie immer noch wiederholen.

      »… nur, wenn er dich etwas fragt. Dann antworte wahr und klar«, schloss Lucilla keuchend. Ihr Gesicht leuchtete rot vor Anstrengung unter der Haube. Ihre Stimme hatte einen rauen, dunklen Ton bekommen, als würde sie gleich versagen. Die Mittagssonne schien durch die mit Schweinsblasen bespannten Fensterluken und wärmte den alten Lagerraum auf. Es roch nach Schweiß und den Ausdünstungen der Mädchen.

      Mitleid stieg in Aelia auf. Sie wusste genau, was Lucilla durchmachte. Sie hatte es oft genug selbst erleiden müssen, bis sie gelernt hatte, Sarusʼ Tücken zu durchschauen und seinen Strafen zu entgehen.

      Eines Tages wird es besser sein, du musst nur Geduld haben.

      Das hätte sie ihr jetzt gern zugeflüstert, aber es war unmöglich. Sarus hatte die anderen Mädchen inzwischen in die Mitte der Halle befohlen, wo sie eine Übung machen mussten.

      Aelia musste sich auf das besinnen, was vor ihr hing – ein mächtiger, mit Sand gefüllter Sack an einer eisernen Kette, die im Dachgebälk befestigt war. Sie trat vor ihn hin, hob ihre Fäuste und stieß eine Kaskade an Faustschlägen gegen ihn, bis er knarrend in seiner Halterung hin- und herschwang.

      »Fester!«, rief Sarus. »Das geht noch besser!«

      Aelia presste die Lippen aufeinander und zwang sich, nicht zu ihm hinüberzusehen. Der Schweiß lief ihr den Rücken hinunter, und ihre Zunge wirbelte wie ein trockenes Stück Holz in ihrem Gaumen. Sie hatte den Sack jetzt wohl an die fünfzig Mal heftig traktiert, und immer hatte er mehr geschwungen als bei den anderen Mädchen, aber Sarus honorierte es nicht. Sie seufzte und wiederholte ihre Faustschläge, aber das Ungetüm bewegte sich nicht mehr als vorhin.

      Sarus winkte missbilligend ab, und Aelia ging müde zu den anderen Mädchen zurück. Unauffällig spähte sie durch eine der Fensterluken, um zu sehen, wo die Sonne stand. Es musste bald Mittag sein, Zeit für die Pause. Sie beobachtete, wie die Strahlen der Sonne durch die Luke auf ein blasses, hoch gewachsenes Mädchen fielen, das gerade vor den Sandsack getreten war.

      Die Barbarin! Ihr kahl geschorener Kopf schimmerte wie ein Totenschädel im hellen Mittagslicht. Das Gewand schlotterte um ihre magere Figur, aber sie war erstaunlich kräftig. Sie hieb ihre Fäuste so wuchtig gegen den Sack, dass die Kette klirrte. Der Sandsack schwang in weiten Bewegungen hin und her, während der Kettenhaken am Holz des Dachgebälks knarrte. Sarus klatschte und vergaß Lucilla für einen Augenblick. »Sehr gut! Deine Ahnen würden stolz auf dich sein! Du bekommst als beste von allen heute abend den Tageslohn.«

      Die Barbarin lachte und hob die Faust. Aelia starrte sie missmutig an, einen Atemzug lang begegneten sich ihre Blicke. Eghild lächelte triumphierend. Aelia sah weg, um ihre Wut nicht zu zeigen. Diese verfluchte Eghild hatte sich also wieder einmal den Tageslohn unter den Nagel gerissen!

      Dieser Lohn bestand aus einer zusätzlichen Mahlzeit am Abend, verdoppelte ihre karge Ration und war deshalb hart umkämpft. Aber Sarus vergab diese Gunst immer willkürlich und schürte damit Neid und Missgunst unter den Mädchen.

      Aelia ballte die Fäuste und fing einen warnenden Blick von Verina auf. Stumm verständigten sich die beiden. Aelia schüttelte den Kopf und seufzte leise. Sie sah zu Lucilla hinüber, die immer noch den Streitwagen hinter sich herzog. Langsam rumpelte der Wagen über den Lehmboden. Lucilla kämpfte offensichtlich gegen die Erschöpfung an. Ihr schmächtiger Körper stockte unter dem Gewicht des Wagens. Die rote Haube war verrutscht und hing ihr schräg auf dem Kopf. Ein Tropfen fiel aus ihrem Gesicht auf den Boden. Tränen. Oder Schweiß.

      Aelia ballte die Fäuste, sah auf ihre geröteten, schwieligen Hände hinunter. Sie hatte in den Jahren bei Dardanus gelernt, ihre Gefühle zu beherrschen, aber sie waren noch nicht abgestorben. Mit ihren siebzehn Wintern, die sie wohl zählte, gehörte sie zu den ältesten Mädchen hier und zu denen, die am längsten hier waren, aber sie war noch nicht abgestumpft genug, als dass sich nicht doch noch Widerstand in ihr geregt hätte.

      Sie warf einen kurzen Blick auf Lucilla, hob die Arme und ging zum Sandsack. Sie holte tief Luft, dann hieb sie ihre schmerzenden Fäuste gegen den Sack. Danach hob sie das Bein, winkelte es an und trat mit dem Fuß so heftig gegen den Sack, dass er hüpfte und seine Kette aus dem Haken zu springen drohte.

      Ein kleines zufriedenes Lächeln glitt über ihr Gesicht, ehe sie sich zu den anderen umwandte. Die Mädchen starrten sie entsetzt an. Marcia war blass geworden, die Barbarin runzelte ihre weiße Stirn. Nur Verina musterte Aelia mit einem ruhigen Ausdruck voller Verständnis.

      Sarus verließ seinen Posten bei Lucilla und kam zu ihr. Sie war fast so groß wie er, der ehemalige Soldat, und konnte ihm geradewegs in die Augen sehen. Ihre schlanke Gestalt, durch die jahrelangen Übungen kräftig und muskulös geworden, verharrte ruhig und aufrecht vor ihm, während ihre dunklen Augen ihn wütend anfunkelten. Schweigend musterte er sie eine Weile, als müsste er sich überlegen, wie er sie nun bestrafen würde.

      Er lächelte. »Habe ich euch nicht nur Faustschläge befohlen? Warum führst du dann Tritte gegen den Sack?«

      Sie schwieg und presste die Lippen fest aufeinander.

      »Antworte!«

      Damit du endlich von Lucilla ablässt und mich bestrafst.

      Sarus gab einen unwilligen Laut von sich. »Da du nicht schwerhörig bist, nehme ich an, dass du es mit Absicht getan hast«, stellte er fest. Seine Stimme klang beinahe vergnügt, als würde er sich freuen, dass er endlich noch jemanden bestrafen konnte.

      Aelia, der seine Heiterkeit nicht entging, antwortete nicht. Sollte er sie doch wieder als Spross einer treverischen Dirne und eines südgallischen Legionärs beschimpfen, das war ihr egal. Sie sah mit ausdrucksloser Miene an ihm vorbei auf Lucilla, die leise weinend auf dem Boden lag.

      Sarus runzelte die Stirn. »Du glaubst, du kannst dir das erlauben? Weil du lange genug hier bist, meinst du, frech sein zu dürfen? Aber das bedeutet nichts, gar nichts! Du fängst jeden Tag neu an. Vor einer Schlacht zählt auch nicht, wie oft ein Krieger gesiegt hat. Es zählt nicht, wie viele Feinde er getötet hat. Er zieht in den Kampf, als wäre es sein erster.«

      Er wandte sich an die Mädchen. »In meiner Legion wurden ungehorsame Soldaten ausgepeitscht! Ihr habt Glück, dass ihr keine ­Soldaten seid!«

      Er befahl ihnen, sich in einer Reihe aufzustellen und auf der Stelle zu laufen. Zufrieden schritt er sie ab, und als er sich vergewissert ­hatte, dass sie genug außer Atem waren, ließ er sie noch schneller laufen.

      Aelia biss sich vor Wut auf die Lippen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er sie alle bestrafen würde. Das hatte er bisher nur ein- oder zweimal getan.

      Heute Abend werden sie wütend auf mich sein.

      Tatsächlich ließ Sarus die Mädchen noch den ganzen restlichen Tag für Aelias Ungehorsam büßen, während sich Lucilla in die Obhut der Köchin begeben durfte. Wenigstens sie war gerettet.

      *

      Erst am Abend konnte Aelia allein mit Verina sprechen. Die Mädchen waren so erschöpft, dass nicht einmal der kräftige Linseneintopf, den die Köchin ihnen am Abend kochte, sie wieder aufrichten konnte. Müde kauerten sie auf den zerschlissenen Decken in der Blauen Kammer und sprachen kaum, aber keine von ihnen machte Aelia Vorwürfe.

      Die Blaue Kammer war ein kleiner Raum neben der Lagerhalle, der den Mädchen als Aufenthaltsraum diente. Seinen Namen trug er wegen der tiefblauen Wandbemalung, an der sich noch die dunklen Umrisse einiger Schränke erhalten hatten. Wahrscheinlich war er früher einmal ein Schreibzimmer gewesen, in dem die Waren des Vorbesitzers in Verzeichnisse eingetragen wurden, ehe sie in die Lagerhalle kamen. Nun war er leer bis auf die Decken der Mädchen und die Eimer mit dem eiskalten Brunnenwasser, mit dem sie sich gewaschen hatten. Hilarius,