Aelia, die Kämpferin. Marion Johanning. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marion Johanning
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130302
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Dardanus in der alten Lagerhalle. Die Mädchen fuhren erschreckt zusammen, als die Tür laut hinter ihm ins Schloss knallte. Er kam nur selten, um den Kämpfen zuzusehen, und wenn er kam, hatte es meistens zu bedeuten, dass er ein Mädchen für einen Kampf auswählen wollte.

      Sofort fielen die Mädchen vor ihm auf die Knie. Sie waren erhitzt, weil Sarus sie im Stockkampf unterrichtet hatte. Sarus liebte den Stockkampf. Er hatte diese in Treveris unbekannte Art zu kämpfen von einem Hunnen aus seiner Legion gelernt und war stolz darauf, wenn die Mädchen sie bei den Gastmählern vorführen durften. Der Stockkampf war bei den Zuschauern noch beliebter als der Messerwurf, den nur die älteren Mädchen, die schon Jahre bei Dardanus waren, beherrschten.

      Die Mädchen pressten ihre Stirnen auf den Boden. Aelia fühlte ihren Herzschlag in den Schläfen pochen, als sie Dardanus erst leise mit Sarus sprechen und dann ihre Schritte hörte. Sie bemerkte, wie er kurz vor ihr innehielt, und für einen Augenblick fürchtete sie, dass er sie für ihren Ungehorsam von gestern bestrafen würde.

      Nur nicht rühren, ganz still bleiben.

      »Stickig ist es hier, guter Sarus«, hörte sie Dardanus sagen. »Willst du, dass sie ohnmächtig werden?«

      »Sie müssen lernen, das auszuhalten«, antwortete Sarus ungerührt.

      »Ja, ja, ich kenne deine Meinung, mein Lieber«, erwiderte Dar­danus. »Im Winter lässt du sie wieder auf dem Hof üben, bis sie krank werden.«

      »Wenn ihre Leiber sich erst an den Wechsel gewöhnt haben, werden sie nicht mehr krank.«

      »Ja, ja.« Dardanus fächelte sich mit einer Hand Luft zu. »Aber nun wirst du so freundlich sein und frische Luft hereinlassen, ja? Sonst ersticke ich noch.«

      Aelia hörte, wie Sarus zur Tür ging und sie öffnete. Sofort strömte frische Luft herein. Sie atmete auf, aber nun wurde ihr kalt.

      Der Hausherr klatschte in die Hände. »Erhebt euch!«

      Langsam standen die Mädchen auf, während sie ihre Stöcke vor sich auf dem Boden liegen ließen.

      Dardanus war klein und rund, mit einem kahlen Kopf, der von ­einem Kranz dunkler Haare umgeben wurde. In seinem blassen Gesicht lagen dunkle Augen, mit denen er lebhaft umherblickte. Über seiner Tunika aus schlichtem Leinen trug er – obwohl es erst Herbst war – einen Umhang aus Kaninchenfell.

      Aelia hörte ihn näher kommen, als er die Reihe der Mädchen abschritt.

      Sie würde ihm keinen Anlass zu einer Strafe geben. Ihr Gewand saß tadellos, und sie bewegte sich keinen Fingerbreit. Sie heftete ­ihren Blick auf den Boden und sah, wie die Stiefel des Händlers vor ihr stehen blieben. Die Wolke eines aufdringlichen Parfumöls umgab ihn.

      »Wie ich gehört habe, hat es gestern Verletzte gegeben«, sagte er.

      »Eine der Kleineren musste zur Köchin gebracht werden, Herr«, beeilte sich Sarus zu erklären. »Aber sie war nur überanstrengt. Nun sind alle wieder vollständig.«

      Aelia spürte, wie Dardanus sie musterte.

      »Mein lieber Sarus, ich bin mir sicher, du weißt, was du tust. Die Mädchen wissen es bestimmt zu schätzen, dass du ihnen so viel beibringst und dass sie in meinem Haus ein Leben haben, um das sie ­jedes Straßenkind beneiden würde. Immer mehr Kinder lungern in der Stadt herum. Ein furchtbarer Zustand ist das! Kaiser Gratian würde in Trübsinn verfallen, wenn er wüsste, was aus seiner alten Residenzstadt geworden ist.«

      Er streckte eine Hand aus, hob mit zwei Fingern Aelias Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Es gibt Kinderbanden, die alles nehmen und essen, was ihnen in die Finger kommt. Sie lungern am Hafen herum, bestehlen Reisende, rauben Sklaven ihre Einkäufe. Aber die Soldaten greifen jetzt durch. Seitdem verschwindet das Gesindel in den Verliesen der Stadt und taucht nie wieder auf.«

      Aelia begegnete Dardanus’ Blick. Sie begriff, dass er allein zu ihr sprach. »Unsere Mädchen können sich glücklich schätzen, hier sein zu dürfen, nicht wahr, Sarus?«

      »Gewiss, Herr.«

      »In manch einer schlaflosen Nacht fürchtete ich schon, die Schule aufgeben zu müssen«, fuhr Dardanus fort. »Alles muss sich natürlich lohnen, sonst ist es zwecklos. Die Vorliebe der Zuschauer für ­unsere Schaukämpfe scheint nachgelassen zu haben. Wenn sie sich also nicht anstrengen, Sarus, könnte ich mich gezwungen sehen, mich von ihnen zu trennen.«

      Einen Wimpernschlag lang bohrte sich sein Blick in Alias Gesicht, dann ließ er ihr Kinn los und wandte sich ab.

      Aelia blieb zitternd zurück, mit einem Herzen, das sich nur langsam beruhigte. Sie hatte die Drohung des Händlers verstanden. Ab sofort durfte sie sich nicht den kleinsten Ungehorsam mehr leisten, auch wenn es ihr noch so schwer fiel. Es könnte Dardanus einfallen, sie zu verkaufen, und nur der Himmel wusste, was sie dann erwartete. Wenn er auf den Gedanken käme, die ganze Schule aufzulösen, dann würden sie womöglich alle wieder zu Straßenkindern. Das durfte nicht geschehen. Nie mehr wollte sie auf der Straße leben.

      Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, wie Dardanus vor Verina stehen blieb, die neben ihr wartete.

      »Sie sehen alle etwas überanstrengt aus, guter Sarus.«

      »Gewiss, Herr, ich schone sie nicht. Je besser sie sind, desto besser ist es für die Ehre dieses Hauses.«

      »Ja, ja.« Dardanus ließ Verina stehen und wandte sich an den ­Lehrer.

      »Übertreibe es nicht. Die Zuschauer wollen hübsche Mädchen ­sehen, keine ausgezehrten Vogelscheuchen.« Er hob die Hand. »Nun will ich sie sehen. Lass sie kämpfen.«

      Sarus nickte und stellte sich vor die Mädchen. Er hob seinen Stock und teilte sie damit in Paare ein. »Weitermachen!«, befahl er.

      Die Erleichterung durchströmte Aelia. Sie war noch einmal davongekommen, es würde keine Strafe folgen. Offenbar ließ es der Händler bei seiner Drohung bewenden.

      Sie verneigte sich vor Verina, die ihr als Gegnerin zugeteilt worden war. Ausgerechnet sie. Mitleid durchfuhr Aelia, als sie in das bleiche Gesicht der anderen sah, das immer noch gezeichnet war von den Anstrengungen des Vortages. Da sie beide im selben Jahr zu Dardanus gekommen waren, hätte Verina ebenso gut sein müssen wie sie, aber sie war es nicht. Sie war behäbiger als Aelia, und ihre Angriffe waren so vorhersehbar wie ihre Verteidigung langsam. Verina war eindeutig nicht für das Kämpfen geboren.

      Beide setzten ihre ausdruckslosen Mienen auf, als sie einander umkreisten. Sie kannten sich mittlerweile so gut, dass sie an den Mienen voneinander ablesen konnten, was die andere dachte, und das war bei einem Kampf nur hinderlich. Aelia hob ihre Hand, die den Stock hielt, während sie den anderen Arm schützend vor ihren Oberkörper hielt. Verina tat dasselbe. Eine Weile zögerten sie, während die ­Stöcke der anderen schon laut aufeinander krachten.

      Ein Gedanke stürzte durch Aelias Kopf. Wenn Dardanus jemanden für den nächsten echten Kampf suchte, durfte sie Verina nicht gewinnen lassen, weil er immer nur eine Gewinnerin nahm. Sie wollte nicht, dass er Verina womöglich in einen echten Kampf schickte. Es dürfte nicht schwierig sein, die Freundin zu besiegen, es wäre nicht das erste Mal. Aber sie hatte nicht mit ihrer Freundin gerechnet.

      Verina holte aus und traf Aelias Stab mit solcher Wucht, dass diese froh war, ihn gerade noch rechtzeitig gehoben zu haben. Sie warf Verina einen verwunderten Blick zu, als diese auch schon ihre ­nächsten Hiebe folgen ließ – ein Feuerwerk an kräftigen Stockschlägen, die Aelia nur mit Mühe parieren konnte.

      Keuchend wich Aelia zurück, um sich einen Augenblick Ruhe zu verschaffen, als Verina ihr auch schon nachsetzte und sie erneut mit Schlägen bedrängte. Auf ihr rundliches, sonst so gutmütiges Gesicht hatte sich ein Ausdruck von Entschlossenheit gelegt, den Aelia bisher nur zwei- oder dreimal an ihr gesehen hatte, als Verina die kleineren Mädchen vor Sarus’ Schikanen gerettet hatte.

      Aelia spürte, wie ihr heiß wurde. Sie hatte Verina während eines Kampfes noch nie so erlebt. Sie zögerte. Sie fühlte, dass Sarus sie beobachtete. Weil sie einen Augenblick unaufmerksam war, gelang es Verina, sie mit ihrer Waffe