Aelia, die Kämpferin. Marion Johanning. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marion Johanning
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130302
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dann, als sie schon nicht mehr damit rechnete, öffnete sich die Holztür im Gang und die beiden Soldaten, die sie festgenommen hatten, kamen zu ihr. Der Kurzhaarige öffnete mit finsterem Gesicht die Gittertür, zog einen Strick hervor und fesselte ihre Handgelenke, während sie der andere mit gezogenem Schwert bewachte.

      Für so gefährlich hielten sie sie also, dass sie sie fesselten! Eigentlich hätte Aelia stolz sein können, aber sie war es nicht. Sie war nur erleichtert, als die beiden Soldaten sie aus dem Kerker führten. Sie brachten sie zum Palast am Ende des Hofes, über dem sich die Kuppel wölbte, und schritten die breiten Stufen zum Eingang hinauf. Die drei durchquerten eine mit Marmor ausgelegte Halle, dann einen langen Gang, auf dem die genagelten Stiefelsohlen der Männer hallten. Schließlich blieben sie vor einer mächtigen Tür stehen, bis der Soldat, der davor wachte, sie einließ.

      »Das Mädchen, Vortrefflicher«, meldete der Kurzgeschorene und wartete auf weitere Befehle.

      Der Präfekt stand am Fenster seines Arbeitszimmers. Das Licht ­eines trüben Wintertages fiel herein, wärmte aber kein bisschen. Trotz der Kälte, die in dem Zimmer herrschte, brannte das einzige Kohlebecken im Zimmer nicht, und der Präfekt trug keinen Umhang, sondern nur eine Tunika, die an den Säumen mit einer Bordüre besetzt war.

      Er musterte Aelia kurz. Sofort erkannte sie ihn wieder: Es war Tertinius, der weißhaarige Offizier, der ihren Kampf in den Thermen verfolgt hatte.

      »Danke, Lucanus«, sagte er und nickte dem Kurzgeschorenen zu, woraufhin alle Soldaten das Zimmer verließen. »Er ist mein bester Centurio. Du hast ihm einen mächtigen Schlag verpasst.«

      Er wies Aelia den Platz auf dem Korbsessel gegenüber seinem Schreibtisch zu, während er selbst stehen blieb. Aelia setzte sich langsam auf den Sessel. Merkwürdigerweise war sie kaum erstaunt darüber, dass Tertinius der Präfekt war.

      »Ich hasse das Gesindel, das sich im verfallenen Bezirk herumtreibt«, fuhr er fort. »Diebe, Bettler, Mörder – einer schlimmer als der andere. Bassus ist der Schlimmste von allen; er lügt, sobald er den Mund aufmacht. Aber dieses Mal hat er mir einen guten Dienst erwiesen.«

      Er wies auf ein zusammengerolltes seidenes Bündel auf seinem Schreibtisch. Aelia warf einen Blick darauf und erkannte das Gewand, das sie bei ihrem Kampf getragen hatte. Sie merkte, wie die Kühle des Zimmers unter ihren Umhang kroch und sie zittern ließ.

      »Bassus glaubte, du seiest eine entflohene Badesklavin, und verlangte eine hohe Summe für dich. Aber ich zog es vor, die Sache auf meine Art zu regeln.«

      Aelia sagte nichts. Sie starrte auf das Seidengewand, und die Erinnerungen an jenen Abend krochen wieder in ihr hoch. Die Gäste am Beckenrand, der Duft nach Parfum und brennenden Fackeln, die Kühle im Becken, die bleiche Eghild.

      Tertinius trat an seinen Schreibtisch. »In den Thermen hätte ich keine Kupfermünze für dich gegeben, obwohl ich deinen Sieg erhofft habe.«

      Aelia schwieg und wich seinem Blick aus. Sie glaubte ihm kein Wort.

      Er setzte sich auf den Schreibtisch und ließ sie nicht aus den Augen.

      »Du wusstest nicht, dass es ein Kampf auf Leben und Tod war, nicht wahr? Man hat dich nicht darauf vorbereitet.«

      Als Aelia nichts sagte, fuhr er fort: »Die Leute hier sind versessen auf Kämpfe, vor allem auf die Mädchenkämpfe. In Wahrheit aber suchen sie nur Ablenkung. Sie sind verzweifelt und wütend. Seit den Barbarenüberfällen ist nichts mehr wie früher.«

      Aelia schwieg. Sie hätte ihm am liebsten erwidert, dass er selbst Zuschauer gewesen war und der Kampf nur mit der Duldung durch ihn, dem Präfekten der Stadt, hatte stattfinden können, ja, dass er vielleicht sogar selbst daran verdiente, aber sie hielt sich zurück.

      »Du hast sicher noch nie einen Schild geführt, nicht wahr?«

      Aelia sagte nichts.

      Tertinius seufzte. Er stand auf, ging ans Fenster, sah eine Weile hinaus. Dann drehte er sich wieder um, trat hinter seinen Schreibtisch und maß sie mit einem kalten Blick.

      »Ich mag es nicht, wenn man nicht mit mir redet. Du solltest dir klar sein, dass dein Leben und das deiner Freundin in meiner Hand liegen. Ich könnte euch ohne Weiteres zu Dardanus zurückschicken, wenn ich will. Oder wäre dir Marcellus lieber? Oder Bassus?«

      Aelia starrte ihn an. Widerwillig schüttelte sie den Kopf.

      »Gut.« Ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht. »Was kannst du noch außer Faustkampf?«

      Aelia verstand nicht, worauf er hinauswollte. Wäre es besser, wenn sie ihm alles verriete? Oder würde ihr das nur schaden?

      »Sarus hat uns auch den Stockkampf beigebracht.«

      »Den Stockkampf? Was ist das denn für eine Art zu kämpfen?«

      »Er hat sie von einem Hunnen gelernt. Man kann auch einen starken Ast nehmen – zur Not.«

      »Und damit den Gegner aufspießen?«

      »Ein Stock kann eine gute Waffe sein, wenn man kein Schwert hat.«

      »Nun ja, mag sein. In den hunnischen Steppen vielleicht.« Tertinius lächelte spöttisch. »Aber du kannst auch das Messer werfen, richtig?«

      Aelia nickte und sah auf ihre schmutzigen Schuhe herunter. Als sie wieder zum Präfekten aufsah, bemerkte sie den erstaunten Ausdruck auf seinem Gesicht. Er ließ sich in seinen Sessel sinken und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sieh mal einer an! In der Abgeschiedenheit von Dardanus’ Villa werden Soldatinnen ausgebildet. Man sollte ein Auge auf das Haus haben.«

      Er nahm den Stilus von seinem Schreibtisch und drehte ihn nachdenklich in der Hand.

      »Diese Barbarin – wie hieß sie noch gleich?«

      »Eghild.«

      »Ja, richtig. Was weißt du von ihr?«

      Es gab Aelia einen schmerzlichen Stich, an Eghild denken zu müssen. Warum fragte er nach ihr? Was ging sie ihn jetzt noch an, wo sie tot war? Aelia antwortete nicht, und Tertinius’ Miene verschloss sich, sein Blick wurde kalt wie der Raum, in dem sie saßen.

      »Ich dachte, wir arbeiten zusammen«, sagte er. »Hast du nicht begriffen, dass ich dich wieder zu Dardanus zurückschicken werde, wenn du mir nicht sagst, was du weißt?«

      »Wer sagt mir, dass du mich nicht wieder zu ihm schickst, wenn ich alles verraten habe? Was willst du überhaupt von mir, Präfekt?«

      »Langsam, eins nach dem anderen. Du erzählst mir, was du weißt, denn du hast gar keine andere Wahl. Also, wer war Eghild?«

      »Ich weiß es nicht.«

      »Verdammt!« Der Präfekt warf den Stilus zurück auf den Tisch. »Du wirst mir jetzt sagen, was du weißt oder ich lasse dich und deine blinde Freundin im Kerker, bis du redest!«

      Er sah aus, als würde er nicht zögern, seine Drohung wahrzumachen. Aelia knetete ihre Hände, während die Angst ihr den Nacken herunterlief. »Herr«, sagte sie versöhnlicher, »ich weiß wirklich nichts über sie. Wir waren keine Freundinnen.«

      »Aber ihr habt euch bei Dardanus eine Kammer geteilt!«

      »Woher weißt du das?«

      Tertiniusʼ Hände schlugen auf die Sessellehnen. »Beim Allmächtigen! Ich stelle hier die Fragen! Also zum letzten Mal: Sag mir alles, was du über sie weißt.«

      Mit Mühe zwang sich Aelia, an Eghild zurückzudenken. Sie dachte an das bleiche Wesen, das abends vor der Luke ihrer Kammer gestanden hatte, und auf einmal durchzuckte sie Reue. Hätte sie Eghild doch nur mehr beachtet! Was hätte sie nicht alles herausfinden können, wenn sie nicht so abweisend gewesen wäre!

      Sie schluckte mit Mühe den dicken Kloß herunter, der in ihrem Hals steckte. »Sie … kannte geheime Beschwörungssprüche. Sie stand oft am Fenster und murmelte Gebete zu einer … Göttin.« Aelia musste daran denken, wie sie jeden Abend Eghilds Gebete belauscht hatte. Sie hatte jedes Wort verstanden.

      Tertinius