Aelia, die Kämpferin. Marion Johanning. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marion Johanning
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130302
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sie darüber nachdenken, wie sie hier wegkommen könnte.

      »Ich mache, was du willst«, sagte sie und hoffte, dass ihre Stimme fest genug klang, »wenn du mir nur meine Kleider wiedergibst.«

      Doch Bassus hatte andere Vorstellungen von dem, wie sie auszusehen hatte. Auf seinen Wink hin gab die junge Mutter ihr eine dünne Tunika.

      »Du musst dir deine Kleider erst verdienen«, sagte er, schob den Vorhang beiseite und verschwand. Aelia konnte noch hören, wie er mit der Kleinen scherzte.

      Nur mit der Tunika bekleidet, war Aelia gezwungen, auf ihrem Lager unter der Decke zu bleiben. Dort blieb sie auch den nächsten Tag. Die junge Mutter kam und gab ihr eine dünne Suppe zu essen sowie einen Krug Wasser, was gerade reichte, um sie am Leben zu erhalten.

      Aelia kauerte unter der Decke und fragte sich, was Bassus mit ihrer Kleidung getan hatte, ob er ihr wohl neue gab und was sie dafür tun musste. Schließlich fiel ihr der Ring wieder ein, den sie unter ihren Leinenbinden getragen hatte, und sie fluchte in sich hinein. Wer weiß, wie viel Geld er damit verdient hatte! Es wäre das Geld gewesen, das sie so nötig für ihre Flucht gebraucht hätte! Wie dumm war es von ihr gewesen, ausgerechnet dieses Haus auszuwählen!

      Mit der Zeit bekam sie mit, was hier geschah. Die Männer und Frauen, die zu Bassus’ »Familie« gehörten und hinter dem Vorhang schliefen, gingen in aller Frühe fort und kehrten erst bei Einbruch der Nacht mit Beuteln voller Münzen wieder zurück, die Bassus geräuschvoll zählte. Wer nicht genug dabeihatte, den schlug er oder ließ ihn auf dem Hof bei den Ziegen schlafen.

      Aelia wurde klar, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als einem von ihnen die Kleider zu stehlen. Sie wusste nicht wohin, aber hier­bleiben konnte sie auf keinen Fall, wenn sie nicht zur »Familie« gehören wollte.

      Am nächsten Abend blieb sie so lange wach, bis sie sich sicher war, dass alle eingeschlafen waren. Dann erhob sie sich, hängte sich die Decke um und schlich sich barfuß zu den Schlafenden. Im matten Schein des verglimmenden Feuers suchte sie die Reihen ab. Was sie trugen, waren nicht mehr als Lumpen – Bettlergewänder, schmutzig und zerrissen. Die Familien lagen fest aneinander geschmiegt unter Wolldecken – Mütter und Väter mit ihren dünnen Kindern, manchmal auch Großmütter. Sie hatten, nachdem sie vom Betteln und Stehlen zurückgekehrt waren, von Bassus’ Frau ein karges Mahl bekommen und waren nicht lange danach eingeschlafen. Aelia seufzte, als sie auf die armseligen Gestalten hinuntersah.

      Ihr Blick blieb an einem schlafenden Mädchen mit einem haarlosen Kopf hängen. Sie lag nahe am Feuer und hatte die Wolldecke bis über die Schultern gezogen.

      Aelias Herz tat einen Satz. Vorsichtig schlich sie sich an die Schlafende heran. Im schwachen Licht erkannte sie ein Tuch vor den Augen des Mädchens. Sie ließ sich auf die Knie fallen, strich über den Kopf der Schlafenden, spürte den sanften Flaum nachwachsender Haare.

      »Verina!«

      Die andere schreckte auf. Ihre Hände fuhren abwehrend hoch, trafen auf Aelia. Dann, nachdem sie sich beruhigt hatte, fasste sie nach Aelias Hemd und tastete, als sie nichts fand, die Haut der anderen hinauf bis zum Kopf, und ein Lächeln des Erkennens überzog ihr Gesicht.

      »Aelia!«

      Aelia nahm Verinas Hände in ihre. Sie wollte etwas sagen, aber Verina legte einen Zeigefinger auf ihren Mund und schüttelte den Kopf. »Wo sind deine Kleider?«

      »Bassus hat mir alles gestohlen. Er hält mich nackt gefangen.«

      Verina nickte. »Das macht er bei allen. Er verkauft alles, was sie haben und die Gewänder, damit niemand fliehen kann. Wenn die ­Leute hungrig genug sind, schickt er sie in alten Lumpen betteln.«

      »Was ist mit deinen Augen?«

      Verina schüttelte den Kopf und schwieg. Aelia hielt ihre Hand umklammert. In der Nähe drehte sich jemand im Schlaf und murmelte etwas.

      »Wir müssen hier weg«, flüsterte Aelia. »Lass uns fliehen!«

      »Wie denn ohne dein Kleid? Wo sollen wir hin? Wir werden keine Woche überleben können!«

      »Weißt du, wo Bassus die Lumpen aufbewahrt?«

      Verina überlegte eine Weile. »Ich glaube, in seiner eigenen Kammer. Da muss die Truhe sein.«

      »Gut, ich versuche, ein paar Lumpen zu stehlen. Dann hole ich dich.«

      »Sei vorsichtig!« Verina drückte ihre Hand, ehe Aelia sich fortschlich.

      Freude über das Wiedersehen erfasste sie. Verina lebte! Sie waren wieder zusammen. Dieser Gedanke gab Aelia Kraft und neue Zuversicht. Gemeinsam würde alles viel besser sein. Sie würden sich durchschlagen, auch im Winter, notfalls würden sie sogar zur Bischofs­kirche gehen, wenn die Freundin es wollte.

      Aelia schlich sich vorsichtig zur Kammer, wo Bassus mit seiner ­Familie schlief. Dass der Lehmfußboden eiskalt war und sie halbnackt, störte sie nicht. Sie drückte vorsichtig die Klinke herunter, aber die Tür blieb zu. Natürlich hatte er sie abgeschlossen. Erschreckt horchte Aelia, ob jemand sie gehört hatte. Von jenseits der Tür erklang leises Schnarchen.

      Erleichtert atmete sie auf. Nun musste sie ihren ursprünglichen Plan ausführen und jemandem die Gewänder stehlen. Sie schlich sich zurück zu den Schlafenden. Alles in ihr sträubte sich dagegen, jemanden im Schlaf zu überwältigen, aber sie musste es tun, wenn sie etwas zum Anziehen haben wollte. Sie musste eine Frau aussuchen, deren Kleider ihr passten, aber keine Mutter und kein Kind. Ihr Blick fiel auf ein Mädchen, das etwa dieselbe Größe hatte wie sie. Sie zögerte, als sie sie friedlich auf dem Boden schlafen sah.

      Meine Güte, dachte sie. Meine Güte.

      Sie holte aus. Ihre Faust traf das Mädchen an der Stirn, jedoch nicht zu heftig und auch nicht an jener empfindlichen Stelle, die sie bei Eghild erwischt hatte. Aelia seufzte, als sie daran dachte, schob den Gedanken aber fort. Voller Angst sah sie sich um, dann ließ sie den Kopf des Mädchens auf das Lager sinken. Es sah so aus, als ob sie schliefe.

      Aelia schlug die Decke zurück. Die Bewusstlose trug eine Tunika und zum Glück Stiefel. Aelia löste den Stoffgürtel, die billige eiserne Gewandspange und zog dem Mädchen die Tunika aus. Das kostete sie einige Mühe. Sie musste sich beeilen. Rasch schlüpfte sie in die Gewänder, in die noch warmen Stiefel. Sie tastete neben dem Lager nach einem Mantel und fand einen groben Wollumhang, den sie sich rasch umhängte. Er roch muffig und nach allen möglichen Körperflüssigkeiten, aber wenigstens wärmte er.

      Aelia warf einen Blick auf die Ohnmächtige, die nackt auf ihrem Lager lag, und bedeckte sie mit ihrer Wolldecke. Leise huschte sie zu Verina zurück, die inzwischen aufgestanden war und suchend nach ihr tastete. Sie nahm ihre Hand, hängte ihr den Mantel um und führte sie zwischen den Reihen der Schlafenden hindurch fort.

      Sie mussten jedoch feststellen, dass die Eingangstür verschlossen war. Die Luken waren groß genug, sie durchzulassen, aber sie lagen zu hoch in den Wänden.

      »Du musst mir hochhelfen«, flüsterte Aelia.

      Wortlos bückte sich Verina und half ihr, die Fensterlaibung zu erklimmen. Die Mauern waren so dick, dass man ohne Weiteres auf den Laibungen sitzen konnte. Als Aelia oben war, fasste sie nach Verina, aber die Freundin zögerte.

      »Wenn sie draußen die Hunde auf uns hetzen? Die Soldaten des Präfekten machen jede Nacht Kontrollgänge!« Zaghaft klang Verinas Stimme aus dem Dunkel.

      »Ich kenne ein Versteck, da finden sie uns nicht!«

      Doch Verina hörte nicht zu. »Vor ein paar Tagen haben sie eine von Bassusʼ Frauen verhaftet«, flüsterte sie. »Sie hatte kein Zeichen auf dem Arm, weil Bassus es ihr noch nicht gegeben hatte. Wenn du sein Zeichen hast, lassen sie dich in Ruhe. Aber ich habe noch kein Zeichen von ihm, Aelia.«

      »Ich auch nicht.« Aelia hatte Mühe, ihre Stimme zu dämpfen. »Wir gehören niemandem. Oder hat Dardanus dich etwa an Bassus verkauft?«

      Verina schüttelte ihren Kopf. Schlimm sah sie aus mit ihrem Verband um die Augen. Aelia fühlte Mitleid in sich aufsteigen.