Aelia, die Kämpferin. Marion Johanning. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marion Johanning
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130302
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hängen. »Wo wollt ihr hin?«

      Aelia versuchte, ihre Angst niederzukämpfen. Sie konnte mit ­Verina unmöglich fliehen, zusammen wären sie viel zu langsam. Allein würde sie gegen zwei bewaffnete Männer nicht ankommen. Sie musste mit ihnen reden.

      »Zum Bischof.«

      »Zum Bischof? Mitten in der Nacht? Das ist doch wohl nicht dein Ernst!«

      »Doch, ist es. Wir haben Hunger und uns ist kalt. In der Kirche bekommen wir Obdach, hat man uns gesagt.«

      Die beiden Soldaten wechselten Blicke. »Nehmt eure Kapuzen ab!«, befahl der Kurzgeschorene.

      Im Licht des Vollmondes betrachtete Aelia die Soldaten genauer. Das Erkennen durchfuhr sie wie ein Schlag: Es waren jene Soldaten, die am Abend ihres Kampfes in den Thermen Wache gehalten hatten. Sie würden sie an ihren haarlosen Köpfen sofort erkennen.

      Aelia hob ihren Arm und hieb dem Soldaten heftig ihre Faust ins Gesicht. Er taumelte und prallte gegen den anderen. Dann zog sie Verina mit sich fort. Gemeinsam rannten sie die Via Fori hinunter zum Forum. Aber sie waren nicht schnell genug. Schon bald hörten sie Schritte hinter sich im Schnee. Die Männer zogen ihre Schwerter. Aelia stellte sich vor Verina und ballte ihre Fäuste. Der Kurzgeschorene starrte sie wütend an. »Ergib dich, Kämpferin des Dardanus!«

      Aelia zögerte. Ihre Kapuze war während der Flucht heruntergerutscht, und sie spürte einen kühlen Luftzug auf der Haut. Sie starrte auf das Schwert hinunter, das vor ihrer Brust aufblitzte. Vielleicht wäre es besser, jetzt einen schnellen Tod zu sterben. Alles wäre besser, als wieder zu Dardanus zurückzumüssen. Da fühlte sie Verinas Hand auf ihrer Schulter. »Aelia, bitte!«

      Sie atmete tief die kalte Nachtluft ein. Langsam hob sie ihre Hand zum Zeichen, dass sie sich ergab.

      Kapitel 6

      Die Soldaten führten Aelia und Verina die Via Valentinian hinauf zum Palastviertel. Der Kurzgeschorene ging mit energischen Schritten vorneweg, der andere stieß sie grob vor sich her, wobei sein gezogenes Schwert ihnen oft gefährlich nahe kam.

      Aelia fragte sich, wo sie sie wohl hinbringen würden – zurück zu Dardanus oder womöglich zu Marcellus. Liebe Götter, lasst es nicht Dardanus sein, flehte Aelia im Stillen. Marcellus könnte sie vielleicht noch davon überzeugen, Verina zu verschonen, wenn sie für ihn kämpfte.

      Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Kaum hatte sie Glück gehabt und die Freundin wiedergefunden, wurde dieses Glück wieder zerstört. Warum waren sie nicht vorsichtiger gewesen, als sie die Stadt durchquerten! Aelia fühlte eine warme Träne auf ihrem kalten Gesicht. Sie starrte auf ihre Stiefel, die feucht waren vom Schnee, fühlte den rauen Stoff von Verinas Mantel in ihrer Hand. Fest hielt sie den Arm der blinden Freundin umklammert.

      Die Soldaten bogen in eine Seitenstraße und schritten an einem gewaltigen Gebäude entlang, das sich die ganze Straße hinzog und in dessen Mitte ein großes Torhaus lag. Aelias Herz stolperte vor Angst. Der Palast der Stadtwache! Er war das Schlimmste, das ihr passieren konnte, schlimmer noch, als zu Dardanus oder Marcellus zurückzumüssen. Hier waren die Verliese, in die man die Straßenkinder brachte, wie Dardanus ihnen erzählt hatte.

      Die Soldaten nickten den Wachmännern zu, die das Tor für sie öffneten, und schoben die Mädchen hindurch. Ein weiter Platz, dessen Schneedecke von vielen Spuren aufgewühlt war, öffnete sich vor ihnen. Er war begrenzt von Säulengängen und an der gegenüberliegenden Seite von dem eigentlichen Palast, über dem sich eine Kuppel wölbte. In der Mitte des Platzes erhob sich eine Statue des Kaisers.

      Die Soldaten führten die Mädchen durch einen der Säulengänge, von dem zahlreiche Türen abgingen. Aelia sah auf den roten Mantel des Kurzgeschorenen und musste an ihren Vater denken. Ob auch er einst durch diesen Gang geschritten war? Rasch schob sie die Erinnerung fort.

      Der Kurzgeschorene öffnete eine Tür, nahm eine Fackel, die in einer Halterung brannte, und stieg eine Treppe hinab. Aelia zögerte. Kühl wehte die Luft aus dem Keller zu ihr herauf. Der Kerker! Wenn sie hier hineingingen, kämen sie nie wieder heraus.

      »Warum werden wir eingesperrt?«, rief sie. »Wir haben nichts getan!« Der Soldat hinter ihr versetzte ihr einen Stoß.

      »Runter mit dir!«, schnarrte er. Aelia konnte nur noch Verina fassen und festhalten. Die Treppe wand sich in ein Gewölbe hinunter, dessen Mauern aus groben Steinen geschichtet waren. Der Kurzgeschorene lief mit seiner Fackel den Gang voran. Von hier aus gingen mehrere andere Gewölbe ab, die mit Gittertüren vom Hauptgang abgetrennt waren. Vor einer Tür hielt er inne, zog einen Schlüssel hervor und öffnete sie. Der andere Soldat packte Verina und schob sie durch die Tür in das Gefängnis. Als Aelia folgen wollte, hielt er sie zurück. »Du nicht!«

      »Warum nicht? Lasst mich bei ihr, sie ist blind! Sie braucht mich!«

      Aber der Soldat schüttelte nur wortlos den Kopf und schloss die Tür. Hilflos sah Aelia, wie Verina das Gitter umfasste. Hinter ihr kauerten ein paar andere Gestalten.

      »Nein!«, schrie Aelia. »Neiiin!« Laut hallten ihre Worte von den Wänden und klangen in ihren Ohren mit vielfachem Echo wider.

      Verina streckte die Hand nach ihr aus. Ehe Aelia sie fassen konnte, schob der Soldat sie vorwärts, doch sie verpasste ihm einen Stoß und riss sich los. Der Soldat taumelte. Sie nahm Verinas Hand und drückte sie fest. »Wir kommen hier raus, verlass dich auf mich!«

      Aus den Augenwinkeln sah sie den Kurzgeschorenen auf sich zukommen, dann spürte sie einen harten Schlag auf ihrem Kopf. Alles um sie herum versank in tiefe Nacht.

      *

      Als sie wieder erwachte, war es schon Tag. Licht fiel durch eine ­schmale Luke ihres Gefängnisses herein und blendete sie. Sie öffnete die Augen, blinzelte, aber das Licht tat so weh, dass sie sie schnell wieder schloss. Ihr Kopf schmerzte. Ihre Finger fuhren über die kratzige Wolldecke, auf die man sie gelegt hatte. Eine weitere Decke lag auf ihr, immerhin, aber dennoch waren ihre Glieder kalt und steif gefroren. Sie wälzte sich aus dem Licht, öffnete die Augen und sah sich um: ein steinernes Gefängnis umschloss sie. Die Gittertür, die den Ausgang versperrte, hatte Kratzspuren auf dem blanken Fußboden hinterlassen.

      Aelia war allein.

      Der steinerne Boden strömte eine solche Kälte aus, dass mehrere Decken nicht gereicht hätten, sie zu wärmen. Es war, als dehnte sich unter ihr das Totenreich. Aelia erhob sich. Sie war in einem Kerker ähnlich jenem, in den man Verina gesperrt hatte, aber offenbar in einem anderen Teil des Gefängnisses. Der Gang wölbte sich leer und dunkel vor ihr. Gegenüber schimmerten weitere Gitterstäbe, aber dahinter regte sich nichts.

      »Ist da wer?«, rief sie in die Dunkelheit hinein. »Antwortet!«

      Nichts geschah. Niemand antwortete ihr. Aelia starrte in den Gang, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Da entdeckte sie am Ende des Ganges eine geschlossene Tür.

      Also war sie allein. Allein in einem Kerker zwischen vielen anderen leeren Kerkern. Das war es also, was ihr die Flucht eingebracht hatte. Ihr Sieg über Eghild, das Wiedersehen mit Verina – es hatte nichts bewirkt und würde sie wahrscheinlich nur wieder zu Dardanus zurückführen. Oder – schlimmer noch – sie hier enden lassen.

      Sie ließ sich auf ihr Lager zurücksinken und hielt sich ihren schmerzenden Kopf. Sie ergriff den Wasserbecher, den man ihr hingestellt hatte, und leerte ihn in einem Zug. Mehr noch als um sich selbst sorgte sie sich um Verina. Was würde mit ihr geschehen? Zu Dardanus konnte sie nicht mehr zurück, denn als Blinde wäre sie für ihn nicht mehr zu gebrauchen. Würde man sie wieder zu Bassus ­schicken? Oder sie einfach hier verkümmern lassen?

      Aelia musste an Dardanus’ Worte über die Kerker im Palast der Stadtwache denken und an die anderen Gefangenen bei Verina. Sie hatten nicht wie Kinder ausgesehen. Vielleicht hielt man die Kinder woanders gefangen oder man verkaufte sie sofort, nachdem man sie aufgegriffen hatte. Vielleicht hatte Dardanus aber auch gelogen. Nein, dachte Aelia, als die Stunden dahinkrochen und sich der Hunger allmählich in ihr breit machte, wir sind verloren, wir beide, Verina und ich. Wir wissen als Einzige