Aelia, die Kämpferin. Marion Johanning. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marion Johanning
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130302
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bitte! Was soll ich ohne dich machen? Zu Dardanus kann ich nicht mehr zurück. Komm mit, ich helfe dir, das verspreche ich.«

      »Du weißt nicht, was du da sagst. Ich bin blind, Aelia. Bassus hat mich geblendet.«

      »Warum?«

      »Für das Betteln. Die Leute haben mehr Mitleid mit Blinden.«

      Aelia war, als müsste sie jeden Augenblick von der Fensterlaibung fallen. Ihre Hand griff nach Verina, aber die Freundin wich zurück.

      »Verina, dieser Kerl ist ein Verbrecher! Du musst hier weg. Oder willst du dein Leben lang für ihn betteln?«

      »Was soll ich denn sonst machen?«

      Sie hielten inne, als sich jemand in der Nähe räkelte. Aelia senkte ihre Stimme zu einem kaum hörbaren Flüstern. »Bitte komm mit, ich werde für dich sorgen. Notfalls bringe ich dich zur Bischofskirche, mir fällt schon etwas ein. Du musst nur mit mir gehen.«

      Endlich trat Verina aus dem Dunkel und legte ihre Hände in Aelias.

      Wenig später landeten sie draußen auf dem weichen Boden, und Aelia zog die Freundin mit sich fort. Die Nacht war klar und kalt. Kurz zuvor hatte es Neuschnee gegeben. Am Himmel leuchtete der volle Mond zwischen unzähligen Sternen und ließ den Schnee aufschimmern. Aelia war froh über die helle Winternacht, denn nirgends brannte eine Fackel, drang ein Lichtschein aus Fenstern, glühte ein heruntergebranntes Feuer. Aber sie mussten aufpassen, nicht über Mauerreste zu stolpern oder in Reste eines Kellers zu fallen, die der Schnee verdeckt hatte. So kamen sie nur langsam voran. Verina hatte nicht nur ihr Augenlicht verloren, sondern offenbar auch ihre Kräfte. Das Klettern aus dem Fenster hatte sie so angestrengt, dass sie Aelia bald bat, sich ein wenig ausruhen zu dürfen.

      Aelia gefiel das nicht, denn sie waren noch nicht weit genug von der alten Töpferei entfernt. Jederzeit konnte Bassus erwachen und nach ihnen suchen. Es wäre ein Leichtes für ihn, ihre Spuren im Neuschnee zu verfolgen. Aber dann tat die Freundin ihr wieder leid. Wer wusste schon, was sie alles erlitten hatte in den letzten Wochen! Sie zog sie in einen Bretterverschlag, der im Sommer als Viehunterstand gedient hatte, wo sie sich auf einen Mauerrest kauerten. Verinas Hand war eiskalt.

      »Was machen wir jetzt?«, fragte sie mit zitternder Stimme.

      »Wir werden zur Kirche gehen und dort um Einlass bitten.«

      »Jetzt, mitten in der Nacht?

      »Wir können nichts anderes tun. Wenn die Soldaten kommen und uns hier finden, dann …«

      »… stecken sie uns in die Verliese, und wir kommen nie wieder raus«, vollendete Verina den Satz. »Bassus hat uns immer gedroht, dass er uns aus dem Haus wirft, wenn wir nicht genug Geld heranschaffen. Seitdem die Soldaten nachts Wachgänge machen und jeden verhaften, der kein Obdach hat, konnte er uns gut damit drohen. Wo soll man auch hin? Der Bischof kann nicht alle Armen der Stadt aufnehmen! Glaubst du, er nimmt uns auf?«

      Ihre Stimme klang so verängstigt, dass Aelia den Arm um sie legte.

      »Sie werden uns bestimmt einlassen«, sagte sie und versuchte, so viel Zuversicht wie möglich in ihre Stimme zu legen. »Wir dürfen uns nur nicht von den Soldaten erwischen lassen.«

      Sie presste die Lippen fest zusammen, damit ihr nichts von ihrer Befürchtung entglitt – nämlich, dass man sie wieder zu Dardanus zurückschicken könnte. Sie sah über das schneebedeckte Ruinenfeld zur Via Valentinian hinüber, wo sich die mächtigen Umrisse der alten Thermen vor dem Mondlicht abzeichneten, und ein kalter Schauer überlief ihren Rücken.

      »Wir müssen weiter!«, drängte sie und erhob sich, doch Verina umklammerte ihre Hand und hielt sie zurück. »Warst du auch in den Thermen?« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Aelia setzte sich zu ihr auf den Stein zurück. »Ja, ich war da.« Sie versuchte, das Bild des erleuchteten Badesaals zurückzudrängen, das von ihr Besitz ergreifen wollte.

      »In einem Kampf auf Leben und Tod?«

      Aelia nickte. Ihre Hand presste die von Verina, als die Erinnerungen sie überwältigten.

      »Aber du bist doch nicht verletzt worden …?«

      Aelia lächelte matt. »Nein, ich habe gewonnen. Dann bin ich geflohen.«

      »Du bist freiwillig zu Bassus gekommen?«

      »Ich wusste nicht, wer er ist. Ich hatte Hunger, und zurück konnte ich nicht mehr.«

      »Warum bist du nicht sofort zur Kirche gegangen?«

      »Ich weiß es nicht.« Aelia seufzte leise und starrte auf die Spuren, die sich vor ihnen im glitzernden Schnee abzeichneten. »Dardanus hat Eghild an Marcellus verkauft und mich in den Thermen gegen sie kämpfen lassen. Sie gaben ihr ein Schwert und mir ein Messer und einen Schild.«

      »Gegen Eghild?! Heiliger Herr Jesus!«

      Verina bekreuzigte sich.

      »Wie ich schon immer vermutet hatte, war sie eine ausgezeichnete Schwertkämpferin. Ich … habe sie trotzdem …«

      »Du hast sie getötet.«

      Es war eine nüchterne Feststellung, und sie klang umso merkwürdiger aus Verinas Mund, weil Verina nicht der Mensch für nüchterne Feststellungen war. »Gott möge sich ihrer Seele erbarmen«, ­seufzte sie und bekreuzigte sich wieder. Eine Weile schwiegen beide und starrten auf den glitzernden Schnee.

      »Meine Gegnerin war zu stark«, fuhr Verina leise fort. »Das Publikum stand auf ihrer Seite. Sie hat mich so niedergeschlagen, dass ich das Bewusstsein verlor. Wahrscheinlich haben sie mich dann begnadigt, denn als ich wieder aufwachte, war ich schon bei Bassus.«

      Sie lachte bitter auf.

      »Das muss aufhören!«, sagte Aelia leise. »Wir müssen zum Bischof gehen und ihm sagen, dass sie heimlich Kämpfe auf Leben und Tod veranstalten. Er ist ein christlicher Mensch, er wird uns anhören.«

      Sie war zwar nicht davon überzeugt, dass der Bischof ihnen glauben würde, aber bei ihm müssten sie am wenigsten befürchten, dass er sie zu Dardanus zurückschicken würde.

      Im Dunkeln konnte sie sehen, wie Verina den Kopf hob. »Du hast recht. Der Bischof wird uns bestimmt helfen.«

      Von irgendwoher hörten sie ein Geräusch. Aelia fuhr auf, lauschte in die kalte Winternacht hinein, hörte aber nichts. Vielleicht war es ein Tier gewesen, ein Nachtvogel oder eine Katze.

      »Wir müssen weiter.« Sie spähte in die Dunkelheit. Als sie niemanden sah, half sie Verina hoch und führte die Freundin weiter durch das verfallene Viertel. Da Verina Schwierigkeiten hatte, auf dem un­ebenen Gelände zu gehen, führte Aelia sie durch eine kleine Seitenstraße bis zur Via Fori. Still lag die Straße in der Dunkelheit, während Spuren von Rädern und Schuhen im Schnee vom geschäftigen Treiben zeugten, das tagsüber hier herrschte.

      »Hast du Geld?«, fragte Verina zaghaft.

      »Nein.« Aelia fiel wieder ein, dass Bassus ihr Eghilds Ring gestohlen hatte. Dieser Hurensohn! Erde über ihn! Möge er an einer langen qualvollen Krankheit zugrunde gehen! Ihre Wut hielt sie so gefangen, dass sie die Schritte erst hörte, als Verina sich umwandte.

      Zwei Soldaten folgten ihnen. Aelia fasste Verinas Hand fester und beschleunigte ihre Schritte. Sie waren nahe der Via Fori, dort, wo das verfallene Viertel endete und das belebte Herz der Stadt begann. Ein Stück weiter entfernt lag ein Haus mit einem schützenden Säulengang, aber sie konnten es nicht mehr bis dorthin schaffen, ohne von den Soldaten bemerkt zu werden.

      Verinas Hand verkrampfte sich in ihrer. »Wer ist das?«

      »Soldaten.«

      Verina fuhr zusammen.

      »Nur ruhig weitergehen, dann tun sie uns nichts«, presste Aelia zwischen ihren Zähnen hervor. Aber ihre Hoffnung war vergeblich. Die Soldaten kamen rasch näher, während der Schnee unter ihren Stiefeln knirschte. Sie trugen Kettenhemden unter ihren Mänteln, lange Beinlinge, Stiefel.

      »Stehen