Hillmoor Cross. Shannon Crowley. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Shannon Crowley
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130425
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allemal bequemer als auf der Treppe. Er steuerte gerade einen der Sessel an, als ihm etwas einfiel. Er ging zur Terrassentür, griff nach dem runden Knauf, drückte ihn sacht nach oben, ehe er ihn drehte, und spürte einen Ruck. Die Tür ließ sich nach innen aufdrücken. Für einen Moment erfüllte ihn Triumph. Bis eben hatte er gar nicht mehr daran gedacht. Vor Jahren hatte Jake ihm diesen Weg ins Haus gezeigt, als er einmal seinen Schlüssel vergessen hatte und Martha nicht da war. Martha wusste offensichtlich bis heute nichts von dieser Schwachstelle, sonst hätte sie längst Gegenmaßnahmen ergriffen. Von der Terrasse aus gelangte man direkt ins Wohnzimmer. Henry lehnte die Tür an und setzte sich in einen der Sessel neben dem Kamin. Auf dem Sims darüber tickte leise eine Pendeluhr. Es war halb fünf. Über kurz oder lang würden bestimmt entweder Jake oder Martha nach Hause kommen, oder beide. Ein Grinsen zuckte über Henrys Gesicht, als er sich den Schrecken der beiden vorstellte, wenn sie ihn hier antrafen.

      Er legte den Kopf zurück und rutschte tiefer in das Sitzmöbel. Müdigkeit wollte ihn übermannen, und für einen Moment schloss er die Augen. Er war schon fast eingeschlafen, als ein Geräusch in sein erschöpftes Bewusstsein drang. Jemand pochte an eine Wand, mehrfach hintereinander, zwischendurch brach das Klopfen ab, setzte aber kurz darauf wieder ein. Henry setzte sich aufrecht und lauschte. Ihm schien es, als käme das Geräusch aus den Tiefen des Hauses. Vorsichtig stemmte er sich aus dem Sessel hoch, schlich zur Wohnzimmertür und öffnete sie. Das Pochen hörte auf, dafür schabte jetzt etwas. Es kam aus dem Keller, da war er sicher. Henry näherte sich der Kellertreppe. Deutlich hörte er ein Stöhnen, qualvoll und hoffnungslos. Ihn fröstelte plötzlich. Mit leisen Schritten ging er die Treppe hinunter.

      Kapitel 2

      Nachdem Jake Hillmoor Cross hinter sich gelassen hatte, gab er Gas. Er wollte zu einer ganz bestimmten Stelle an den Cliffs of Moher, wo der Fels absolut senkrecht in die Tiefe ging und man nur bäuchlings bis zur Kante vorrutschen durfte, weil einen sonst der Schwindel packte und hinunterzog. Jetzt, wo es praktisch schon dunkel war, würde an dieser riskanten Stelle niemand außer ihm oder jemand, der lebensmüde war, so wahnsinnig sein, sich dort aufzuhalten. Den Wagen konnte er in circa hundert Meter Entfernung seitlich bei einigen Büschen abstellen. Jake war es, als hätte sich eine eiserne Hülle um ihn gelegt, die für den Moment Hysterie und Entsetzen von ihm fernhielt. Möglicherweise platzte die Hülle, sowie der Junge die Klippen hinunterstürzte. Jakes Magen krampfte sich zusammen. Nur nicht nachdenken – es änderte nichts mehr. War das Kind im Meer verschwunden, musste er, so rasch es ging, zurück nach Hause. Er musste sich unbedingt um Martha kümmern, die bestimmt längst wieder bei Bewusstsein und einem Herzinfarkt nahe war. Außerdem brauchte sie allabendlich ihr Medikament gegen den Bluthochdruck.

      Jake drückte das Gaspedal tiefer. Der Himmel über ihm wurde dunkler und ein fahler Mond schimmerte durch die Wolken. Links und rechts der Fahrbahn erstreckte sich die Landschaft, auf der einen Seite in kleinen Hügeln, auf der anderen sanft abfallend, und verschmolz mit der Dunkelheit. In größeren Abständen schimmerte das Weiß verstreut liegender Steine und Felsbrocken durch die Nacht, reflektiert durch die Scheinwerfer des Wagens. Die Straße war schmal und schmiegte sich in unzähligen Krümmungen in die Natur, was die halsbrecherische Fahrt zum Risiko machte. Jake fuhr hoch konzentriert. Weiter, nur weiter, das Kind entsorgen und die Großmutter befreien, ehe diese das Entsetzen nicht überlebte. Er kniff die Augen zusammen und bremste den Wagen ab. Unvermittelt waren in einiger Entfernung Lichter aufgetaucht. Er glaubte einen Querbalken zu erkennen, auf dem kreisrunde gelbe Lampen blinkten, und bemerkte ein Straßenschild, das wegen Reparaturarbeiten auf eine Totalsperrung der Strecke bis zum nächsten Morgen hinwies. Am Straßenrand parkte ein Lkw, einige Arbeiter in orangefarbenen Anzügen mit Reflektorstreifen hantierten mit Geräten. Einer hob den Kopf und blickte zu Jakes Wagen. Jake fluchte, schlug mit der Hand aufs Lenkrad, legte hastig den Rückwärtsgang ein, um an geeigneter Stelle zu wenden, und fuhr mit quietschenden Reifen die Straße zurück. Warum war die Sperrung nicht fünf Kilometer weiter vorn an der Kreuzung angekündigt worden?

      Im Schein der Rücklichter erkannte er eine kiesige Ausweichstelle seitlich der Straße und lenkte den Wagen schwungvoll hinein. Er rutschte von der Kupplung, und das Auto machte einen Satz nach hinten. Er spürte einen Schlag gegen das Fahrzeug und hörte ein knirschendes Geräusch. Seine Kiefer mahlten aufeinander. Vermutlich hatte er einen größeren Stein geschrammt und nun eine Delle an der hinteren Stoßstange. Egal, es gab Wichtigeres. Wieder trat er aufs Gas. Die Reifen drehten auf dem bröckligen Untergrund durch, ehe sie griffen. Die Klippen konnte er vergessen. Sämtliche weiteren Stellen, die er in halbwegs akzeptabler Zeit erreichen konnte, wiesen auf dem Weg in die Tiefe Felsvorsprünge auf, teilweise bewachsen mit hohem Gras oder auch ganz kahl. Er wollte einfach nicht, dass der Junge auf einem dieser Vorsprünge aufprallte und liegen blieb, sichtbar für jeden, der nach Tagesanbruch einen Blick über die Klippen warf. Einen Grund dafür hätte er nicht nennen können, außer dass er das Gefühl hatte, dass, wenn der Junge auf alle Zeit verschwände, auch ein Teil seines unheilvollen Planes ausgelöscht wäre. Ja, er brauchte eine andere Lösung. Wenn er vorn an der Kreuzung die N 59 nahm, die Galway mit Clifden verband, kam er an den Moorgebieten vorbei. Das Moor würde den Jungen auf Nimmerwiedersehen in sich hineinsaugen. Nach wenigen Minuten war Jake wieder an der Kreuzung, bemerkte das Hinweisschild für die Sperrung, das er zuvor übersehen hatte, und bog in die N 59 ein.

      Ein Schatten bewegte sich am Straßenrand, schwankte und zwang Jake, das Steuer zu verreißen. In letzter Sekunde erkannte er einen Radfahrer und sah, dass dieser drohend die Faust hob. Eben noch bezwang er sich, zornig die Hupe zu drücken. Jake zerrte an seinem Kragen. Es wurde höchste Zeit, die Angelegenheit zu Ende zu bringen. Er hatte einfach nicht die Nerven dafür. Mit einem Kind für zwei Stunden seinen Spaß zu haben, noch dazu so, dass es sich später nicht erinnern konnte, war eine Sache. Es zu töten und zu entsorgen, eine andere.

      Nach weiteren zehn Minuten Fahrt durch kleine Waldstücke und an endlosen Wiesen vorbei bog er von der Straße ab in einen schmalen Nebenweg, der genau genommen Radfahrern und Spaziergängern vorbehalten war. Wer sich in der Gegend nicht auskannte, dem fiel der Weg nicht auf. Beschilderungen, die auf das Moorgebiet hinwiesen, gab es keine. Wanderer mussten sich ihre Wege selbst erschließen und achtgeben, nicht in riskante Zonen zu geraten. Jake schaltete Licht und Motor des Autos ab, stieg aus und vergewisserte sich, so gut es in der Dunkelheit ging, alleine zu sein. Vereinzelt ragten ein paar Tannen und knorrige, noch unbelaubte Bäume in die Höhe, der Mond schien schwach durch die Wolken und reichte als Lichtquelle nicht aus. Er würde die Taschenlampe seines Handys benötigen, um eine passende Stelle zu finden und nicht Gefahr zu laufen, selbst vom Weg abzukommen. Jake holte zum dritten Mal an diesem Tag das Kind aus dem Kofferraum und ließ es in der Decke eingewickelt. Er schulterte den Jungen, leuchtete sich den Weg und näherte sich dem Moor.

      Eine halbe Stunde später war er wieder auf dem Rückweg. Obwohl er eine besonders nasse Stelle im Sumpfland kannte, hatte es etliche Minuten gedauert, ehe das Kind versunken war. Um den Vorgang zu beschleunigen, hatte er ein paar Steine unter die Kleidung des Jungen gestopft. Blieb nur zu hoffen, dass diese zunächst noch an Ort und Stelle blieben und nicht vorschnell herausrutschten. Und dass es den Kleinen während der Nacht weiter in die Tiefe zog und er nicht etwa wieder auftauchte. Die Einweghandschuhe hatte er ineinandergesteckt und das Kondom dazu, und alles zusammen, gleichfalls mit einem Stein beschwert, an anderer Stelle mit aller Kraft ins Moor hinausgeworfen. Ähnlich war er mit dem Klebeband und der Paketschnur verfahren, die er zu einem Knäuel zusammengedreht und weit ins Moor geschleudert hatte. Diese Utensilien würde mit Sicherheit niemand finden, und falls doch, so mochte der Sumpf alle verwertbaren Spuren vernichtet haben. Jake war es schrecklich kalt, hinter seinen Schläfen bohrte und pochte es, und seine Glieder fühlten sich bleischwer an. Im Grunde konnte er nicht fassen, was er getan hatte. Er wollte nicht darüber nachdenken und hatte auch keine Zeit dafür, denn jetzt ging es um Großmutter Martha. Er zog sein Handy aus der Jackentasche und sah auf die digitale Anzeige. Gleich sieben Uhr. Seit fast vier Stunden war die alte Frau jetzt eingesperrt. Es mochte die Hölle für sie sein, und das hatte er wahrhaftig nicht gewollt.

      Jake fuhr rückwärts aus dem Nebenweg, stieß in die N 59 und trat aufs Gaspedal. Eine gute halbe Stunde brauchte er mindestens noch, bis er zu Hause war. Er war entsetzlich müde und sehnte sich nach einer Dusche und ein oder zwei Whiskey. Doch das musste warten. Er kurbelte das Fenster