Es gibt literarische Themen, die diese Magie der Initialszene spiegeln, die Geschichte von Parzival etwa, der wegen einer einfachen Frage, die er angesichts seiner ersten Begegnung mit den Gralsrittern nicht stellt, viele Jahre umherirren muss, ehe er eine zweite Möglichkeit findet. Ein anderes Bild ist die Schatzkiste, die nur zu einer ganz bestimmten Zeit sichtbar wird und wieder in den Tiefen der Erde versinkt, wenn dem Schatzsucher das Zauberwort nicht einfällt.
Während in der ersten Begegnung zweier Personen beide Beteiligten potenziell gleich mächtig sind und die Einheiten der Interaktion zunächst klar abgegrenzt werden können, ist die erste Begegnung mit einer Organisation nicht überschaubar. Hinter der Person, mit der ich bei meiner ersten Begegnung mit einer Organisation spreche, liegt die Wirklichkeit dieser Organisation im Dunkeln. Mein Gesprächspartner verdeckt sie, manchmal absichtlich, öfter aber ohne sein Wissen.
Wer für eine soziale Gruppe spricht, ist in seinen Konturen nicht geschlossen. Er zeigt eine kooperative Seite, aber was sich dahinter verbirgt und welche Geheimnisse der Institution noch nicht formuliert sind, enthüllt sich oft erst nach geraumer Zeit.
Wenn zwei Menschen miteinander sprechen, kann immer einer belogen werden. Aber immer muss auch einer der Beteiligten selbst lügen. In einer Organisation hingegen geschieht es oft, dass ein Neuankömmling getäuscht wird, nicht weil ihn jemand anlügt, sondern weil sich die Mitglieder der Organisation, die sich an ihn wenden, selbst täuschen und sich selbst etwas einreden, das sich später als Illusion erweist. Hier ist es viel schwieriger, rechtzeitig kritische Fragen zu stellen, denn man hat mit Menschen zu tun, die selbst getäuscht sind. Da sie aber ihrer Einrichtung oder ihrem Unternehmen verpflichtet sind, wollen sie oft später nicht mehr wahrhaben, dass sie ihre eigene Organisation nicht richtig eingeschätzt haben und dann die Verantwortung für die Täuschung dem Neuankömmling delegieren. Ein Beispiel: Ein Psychologe wird von der Pflegedienstleiterin einer Klinik konsultiert, um im Haus das Betriebsklima und die Zusammenarbeit mit den Ärzten zu verbessern. Tatsächlich ist Abhilfe angezeigt, denn in dieser Einrichtung steht einer von vier Operationssälen leer, weil es an qualifizierten Pflegenden fehlt. Für die Pflegedienstleiterin steht ein Zusammenhang zum schlechten Arbeitsklima in der Einrichtung fest, und sie will etwas dagegen tun.
Der Berater nimmt den Auftrag an und entwickelt nach einigen Gesprächen mit der Pflegedienstleitung in den nächsten Wochen ein Konzept, das vorsieht, Pflegende und Ärzte auf gemeinsamen Fortbildungsveranstaltungen anzuleiten, den bisher höchst unbefriedigenden Stil der Kommunikation zu verbessern. Die Pflegedienstleitung nimmt das Konzept entgegen. Jetzt müsse noch auf einer gemeinsamen Sitzung mit dem zuständigen Mann im Ministerium geklärt werden, ob die Maßnahme anlaufen könne.
Diese Sitzung erweist sich als große Enttäuschung. Der Berater wird von dem Ministerialbeamten unterrichtet, dass der ärztliche Direktor der Klinik keine gemeinsamen Veranstaltungen mit dem Pflegepersonal wünscht. Auf seine verblüffte Frage an die Pflegedirektorin, weshalb sie ihn von dieser Situation nicht schon früher unterrichtet habe, entgegnet diese, sie habe gehofft, der Berater könne ein Konzept zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Krankenschwestern und Ärzten entwerfen, von dem die Ärzte und vor allem der Direktor nichts erfahren müssten. Sie sei sehr enttäuscht gewesen, dass in seinem Entwurf gemeinsame Veranstaltungen gefordert würden, und habe bereits gefürchtet, dass sich diese nicht durchführen ließen.
Der Berater stellte der Pflegedienstleiterin seine vielstündige Arbeit für das Fortbildungskonzept in Rechnung. Sie erklärte ihm daraufhin telefonisch, sie könne leider den Betrag nicht überweisen, denn es sei keine Maßnahme durchgeführt worden. Für einen Voranschlag könnte in der Klinik ein Berater ebenso wenig bezahlt werden wie ein Fabrikant von Operationstischen.
Die Balinttätigkeit mit Teamberatern und Supervisoren hat ebenso wie die eigene Arbeit in verschiedenen Institutionen immer wieder gezeigt, wie häufig die Delegation des (un)heimlichen Problems der Institution an den „Fremden“ ist, der sozusagen zu Besuch kommt. Es liegt nahe, dass er in einer christlich geprägten Gesellschaft als Erlöser begrüßt und später als Aufrührer oder Gotteslästerer gekreuzigt wird.
Das Spiegelphänomen
In der Arbeit mit institutionsanalytischen Gruppen für Berater sind Spiegelphänomene häufig und oft sehr fesselnd zu untersuchen. Solche Gruppen sind eine Weiterentwicklung der von Michael Balint für Ärzte eingeführten professionellen Reflexion unter der Leitung eines Psychoanalytikers. Von einem Spiegelphänomen sprechen wir, wenn sich in emotionalen Reaktionen und diese begleitenden Fantasien des Beraters während seiner Arbeit mit der Gruppe etwas wiederholt, was in der Situation aufgetreten ist, die die Gruppe untersucht. Dabei kann die Gruppe sowohl die Rolle des Beraters spiegeln, wie die Rolle des Teams, der Institution oder der Einzelperson, die beraten wurde.
Auf dem Weg in die Institution wird der Berater auf den verschiedenen Ebenen und Szenen seiner Kontakte in einer Weise traumatisiert und deformiert, welche die Geschichte der Institution wiederholt. Dieser Vorgang lässt sich mit der Kontaktaufnahme eines frei schwimmenden Urtierchens mit einer festsitzenden Kolonie vergleichen. Freud verglich den menschlichen Narzissmus (das Selbstgefühl) mit einer Amöbe, welche durch ihre Vorstülpungen (Pseudopodien) Objekte mit Libido „besetzen“ kann und im Zurückziehen dieser Pseudopodien die narzisstische Energie wieder dem Ich zuführt.
Im Versuch, Kontakt mit der Organisation von seinesgleichen herzustellen, wird die Oberfläche des Urtierchens in einer gewissen Weise verformt. Manche Tentakel werden beschädigt oder zurückgezogen, andere entwickeln sich besonders gut.
Mit dieser Veränderung seiner narzisstischen Struktur (seines unbewussten Selbst) kommt der Berater in die institutionsanalytische Gruppe. Diese reagiert auf seine Verformungen.
Dabei verfügt sie über zwei grundlegende Modi: die Identifizierung mit der narzisstischen Veränderung, die der Berater durch den Kontakt mit den Klienten erhalten hat, oder aber die Identifizierung mit der Institution, die diesen Berater berührt hat. Die erste Identifizierung ist die mit dem Positiv (also der geprägten Form), die zweite die mit dem Negativ (der prägenden Form). Oft treten beide typischen Identifizierungen gleichzeitig in einer Gruppe auf und werden dort diskutiert; es kann auch sein, dass die Gruppe ihrerseits sich organisiert hat und die einzelnen Mitglieder in einer spezifischen Weise von der Kontaktaufnahme mit ihr während ihrer Fallvorstellung beeinflusst werden.
Die Auseinandersetzung dieser „Parteien“ spiegelt die Auseinandersetzung, die in der Beratungssituation – oft unbemerkt – abgelaufen ist. Dieses Modell schließt sich an Theoriebildungen der sogenannten Chaos-Forschung an, in der viele Belege dafür gesammelt wurden, dass sich große, bisher unmöglich voraussagbare Abläufe wie z. B. das Wetter am besten dadurch erklären lassen, dass sich kleinste Ursachen in der Interaktion mit anderen Ursachen durch Rückkopplungsprozesse derart potenzieren, dass – um es in einem Bild zu sagen – der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Orkan auszulösen vermag.
In der Chaos-Theorie gibt es viele Informationen, die sich auf Spiegelerscheinungen beziehen. Beim Übergang eines Systems (etwa fließenden Wassers) in den Zustand der Unregelmäßigkeit hat schon Leonardo da Vinci in seinen zahllosen Zeichnungen von Wasser- und Luftwirbeln herausgefunden, dass Wasser zunächst geordnet ein Hindernis umfließt, aber bei schnellerer Strömungsgeschwindigkeit und höherem Druck „chaotisch“ wird. Sein Zusammenhang reißt ab, Wirbel, die in immer kleinere Wirbel zerfallen, machen jede Voraussage der Gesamtbewegung unmöglich. Für das Spiegelphänomen fesselnd ist dabei die Beobachtung, dass sich in diesem Zustand der Turbulenz kleinste Unregelmäßigkeiten der Fließgeschwindigkeit in den größten Veränderungen wiederholen. Das System ist auf allen Ebenen instabil; kleine Instabilitäten wiederholen die großen, große die kleinen.
Im 19. Jahrhundert entdeckte der britische Physiker Osborn Reynolds, dass es eine mathematisch definierbare Grenze gibt, an der ein System in Turbulenz übergeht, d. h. unvorhersagbar wird. Die Reynoldszahl lässt sich aus einigen Kenngrößen (Rohrdurchmesser, Zähigkeit einer Flüssigkeit und Fließgeschwindigkeit) errechnen; sie sagt das Einsetzen