In einer professionellen Zusammenarbeit wird die alte, absolute Autorität durch eine neue, die sogenannte Sachautorität ersetzt. Absolute Autorität ist diktatorisch; der Leiter weiß alles besser und muss nichts begründen. Sachautorität ist begründet; sie hat also einen Inhalt und eine Grenze.
Seit den Entwicklungen der Neuzeit bestimmen die Individuen nicht mehr durch Geburt, sondern durch Geschick und Leistung ihren Platz in der Gesellschaft. So ist die allseitige Rivalität als Prinzip möglich geworden. Der Mensch ist des Menschen Wolf. Gegen diesen rufen die Staatstheoretiker der Neuzeit den Leviathan3 auf den Plan, der diese Neigungen zur notfalls auch gewalttätigen Expansion des Einzelnen eingrenzen muss. So wird Führung zu einer doppelten Aufgabe: Wer sie beansprucht, muss einerseits sich selbst verwirklichen, anderseits seinen Platz im sozialen Organismus behaupten. Ohne die erste Qualität bleibt er ein Rädchen im Getriebe; ohne die zweite wird er bestenfalls ein Räuberhauptmann.
Ehrgeiz und Machtfantasie
Schrankenloser Ehrgeiz, Selbstüberschätzung und die Neigung, alle Mitmenschen, welche dem eigenen Ego nicht huldigen, für entweder töricht oder neidisch zu halten, sind keine späten Entgleisungen eines ursprünglich guten und bescheidenen Menschenkindes. Im Gegenteil, die Bescheidenheit, die Rücksichtnahme, das Verständnis für andere Positionen als die eigene sind spätere Zutaten, die auf komplizierten Anpassungs- und Einsichtsprozessen beruhen. Als tiefere Schicht bleibt unter ihnen die archaische Grandiosität erhalten. Sie kann, wenn sie unbewusst bleibt und nicht in einer bewussten Auseinandersetzung verarbeitet wird, jederzeit das vernünftige Ich übertölpeln.
Wenn ein Mensch sich mehr Macht und Einfluss wünscht, als das andere tun, dann kann dieses Motiv verschiedene Wurzeln haben. Eine erste ist die ursprüngliche narzisstische Grandiosität, die unter manchen Familienumständen besser erhalten bleibt als unter anderen. Ein Kind, das Verständnis für seine Machtfantasien erlebt, das in ihnen nicht tief gekränkt, sondern behutsam auf die realen Schranken gegen ihre Verwirklichung hingewiesen wird, kann sein Selbstbewusstsein besser aufrechterhalten als ein zur Bescheidenheit beschämtes oder geprügeltes. Ein von an sich liebevollen, jedoch ängstlichen Eltern zur Bescheidenheit gedrilltes Kind wird Mühe haben, sich später von den Fesseln zu befreien, die seiner Expansion und seinem Selbstbewusstsein angelegt wurden.
Grandiosität
Manchmal ist die Grandiosität der kindlichen Allmachtsfantasie nicht durch Einfühlung der Eltern gemildert und schonend in ein realistisches Selbstbewusstsein übergeführt worden, sondern sie musste defensiv ausgebaut und übersteigert werden, um ein durch elterliche Ablehnung, übermäßige Kritik oder auch gesteigerte Bedürftigkeit der Eltern beschädigtes Selbstbewusstsein zu stabilisieren.
Die Entwicklung einer Person wird ebenso in der Pubertät und Adoleszenz geprägt wie in der Kindheit. Hier werden Haltungen erworben, in denen sich aus den früheren Erfahrungen, der Rezeption äußerer Einflüsse – etwa aus Büchern, Filmen, aus dem Umgang mit Schulkameraden, aus Begegnungen mit Freunden – etwas ganz Neues formt. Der Jugendliche kann sich beispielsweise entscheiden, „ganz anders“ zu werden als sein Vater. Er kann sich dabei einen Lehrer oder den Vater eines Klassenkameraden zum Vorbild nehmen.
Hier machen sich die ersten Rückkopplungsvorgänge bemerkbar, welche Störungen des Selbstgefühls so sehr festigen und verstärken können. Wer sein Bedürfnis, ganz anders (viel besser) als die realen Eltern zu werden, übersteigert, der wird auch unter den realen Menschen seiner adoleszenten Welt niemanden finden, der ihn begeistert. Das heißt, er muss sich mehr und mehr an imaginäre Vorbilder binden, die ihrerseits seine Realitätsorientierung und mit ihr seine Chancen schwächen, in einer Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit sein Selbstgefühl zu stabilisieren. Der so gestörte Jugendliche schwankt dann zwischen dem grandiosen Empfinden, besser zu sein als alle Menschen, die er kennt, und der depressiven Verzweiflung, dass alle anderen Lob und Freundschaft finden, während er selbst viel weniger Anerkennung erntet als die Dummköpfe und Langweiler um ihn.
Gesunder Narzissmus ist aufgabenorientiert und akzeptiert Durchschnittsleistungen als Basis für Spitzenleistung. Kranker Narzissmus ist erfolgsorientiert und lehnt durchschnittliche Leistungen ab. Typisch für eine solche Störung ist der Leiter, der seine Vorgänger und Wettbewerber entwerten muss, um die eigene Leistung in ein unrealistisch strahlendes Licht zu rücken.
Von der Industrie- zur Konsumgesellschaft
Mit zunehmender Entwicklung der Industriegesellschaft zur Dienstleistungs- und Konsumgesellschaft wachsen die Progressionsforderungen immer weiter an, so sehr, dass heute viele Menschen den natürlichen Zyklus von Progression und Regression (Anspannung und Entspannung, Arbeit und Ruhe, Wachen und Schlafen) nicht mehr ohne medikamentöse oder psychotherapeutische Hilfe bewältigen können.
Arbeitsmöglichkeiten wie das klassische Handwerk, die durch ihre Struktur ein ausgewogenes Verhältnis von Progression und Regression erleichtern, sind selten geworden. Die Handwerksberufe haben durch einen hohen Grad der Maschinenhilfe ihr Gesicht völlig verändert. Die Arbeitsplätze in der Industrie gleichen sich in der Forderung nach konzentrierter Steuerung eines technischen Geschehens mehr und mehr. Ein Erdarbeiter, der einen Bagger lenkt, ein Schlosser, der einen Industrieroboter programmiert, ein LKW-Fahrer, ein Sachbearbeiter am Bildschirm – für sie alle ist ein ausgewogenes Verhältnis körperlicher und geistiger Anstrengung ebenso erschwert wie ein rhythmischer Wechsel von Anspannung und Erholung, von Progression und Regression.
Zugleich wachsen die Verantwortungen: Der Baggerführer sollte während der Arbeit stocknüchtern und hochkonzentriert sein; sein Vorgänger aus vorindustrieller Zeit, der Arbeiter mit Hacke und Schaufel, musste sich nicht derart kasteien. Wer mit einer Motorsäge oder Motorsense arbeitet, findet den Unterschied zur Arbeit mit Handsäge und Handsense schnell heraus. Die Maschine verändert den Arbeitsrhythmus. Sie zwingt, sich auf ihre Erfordernisse einzustellen und ihre Abgase einzuatmen. Die Ausdauer steigt; die körperliche Ermüdung setzt später ein als die nervöse Erschöpfung.
In der Industriegesellschaft wurde die Arbeitswoche von vielen regressiven Elementen gereinigt. Die Pausen wurden kürzer, die innerbetrieblichen Kontaktmöglichkeiten vermindert, wie es die Maschinen und das Fließband geboten. Der letzte und vielleicht einschneidendste Einsamkeitsschub gehört bereits in die Konsumgesellschaft: der Bildschirm. Zu dieser Entwicklung gesellte sich ein regressiv geprägter Anspruch: sich am Wochenende konzentriert zu erholen.
Der Kopfarbeiter sucht nachts – nervös erschöpft, aber körperlich nicht müde – angestrengt nach Schlaf, weil er sich sonst nicht genügend für die Anforderungen des morgigen Tages ausruht. Eine ähnliche Blockade realistischer Regressionsmöglichkeiten durch Überforderung signalisiert der charakteristische Wochenend-Streit zwischen Eheleuten. Die während der Arbeitstage gemäßigten Ansprüche an die befriedigenden Qualitäten der Beziehung steigern sich zu explosiven Enttäuschungen („wenn ich schon die ganze Woche arbeite, dann will ich am Wochenende wenigstens etwas von dir / der Familie / den Kindern haben“).
Die Identität in der Industriegesellschaft wird durch die Qualität des Menschen als Berufsarbeiter erworben. Während in den traditionalen Gesellschaften die Geschlechter eine polare Identität hatten (Bauer – Bäuerin, Meister – Meisterin), verlieren in der bürgerlichen Familie viele Frauen diese Funktion und gewinnen erst durch die Emanzipationsbewegung ihren Anteil an den Individualisierungsprozessen der Moderne. Jedes Liebespaar muss seine eigene Beziehung aushandeln. Karrierefrau und Hausmann ist als Kombination ebenso möglich wie Karrieremann und Hausfrau, auch wenn wir noch weit von einer statistisch ausgewogenen Mischung dieser Modelle entfernt sind.
Diese Situation führt dazu, dass die Zyklen von Disziplin und Regression, die in den traditionellen Geschlechtsrollen stecken, zerrissen werden. Wenn klar ist, dass Männer nicht rechnen und Frauen nicht kochen können, ist in allen Ehen auch die Frage geklärt, wer