Der Lehrer sagte: „Hab ich‘s dir nicht gesagt? Jetzt gehe morgen an dieselbe Stelle und, wenn er wieder kommt, frag ihn wieder: ‚Wo gehst du hin?‘ Und wenn er wieder davon anfängt, sagst du einfach: ‚Ja, das stimmt. Du bist ein welkes Blatt, und ich auch. Aber wenn kein Wind weht, was dann? Wo gehst du dann hin?‘ Nur so viel, das wird ihn in Verlegenheit bringen – und du musst ihn in Verlegenheit bringen, du musst ihn besiegen. Unser Streit ist uralt, und diese Leute haben uns noch in keiner Debatte besiegen können. Morgen musst du ihm überlegen sein!“
Früh am Morgen stand der Junge auf, übte seine Antwort, wiederholte sie viele Male, bevor er ging. Dann stellte er sich an dieselbe Stelle, wo der andere vorbei kommen musste, übte alles noch mal und noch mal, bereitete sich vor, und schon sah er den Jungen kommen. Er sagte: „So, jetzt!“
Der Junge war da. Er fragte: „Wo gehst du hin?“ Und erwartungsvoll sah er seine Chance gekommen. Aber der Junge sagte: „Wo immer meine Beine mich hintragen.“
Kein Wort von Wind! Keine Rede vom Nichts! Noch vom Nichtstun! Was nun? Er kam sich albern vor mit seiner ganzen wohlvorbereiteten Antwort. Jetzt konnte er doch unmöglich vom Wind anfangen. Wieder bis auf die Knochen blamiert und diesmal wirklich beschämt, dass er so dumm sein konnte: „Dieser andere Junge kennt wirklich merkwürdige Schliche – jetzt sagt er: ‚Wohin meine Beine mich tragen …‘.“
Er ging heim zum Lehrer. Der Lehrer sagte: „Ich hab dir verboten, mit diesen Leuten zu reden – sie sind gefährlich! Seit Jahrhunderten kennen wir das an ihnen. Aber jetzt müssen wir etwas unternehmen. Morgen fragst du ihn also wieder: ‚Wo gehst du hin?‘, und wenn er antwortet: ‚Wohin meine Beine mich tragen‘, fragst du: ‚Und wenn du keine Beine hättest, was dann?‘ Irgendwie werden wir ihm schon das Maul stopfen!“
Also stand er am nächsten Morgen wieder da: „Wo gehst du hin?“, und lauerte. Und der Junge sagte: „Ich geh zum Markt, Gemüse holen.“
Der Mensch lebt gewöhnlich aus der Vergangenheit heraus, und das Leben verändert sich ständig. Das Leben ist nicht dazu verpflichtet, deinen Erwartungen zu entsprechen. Das macht das Leben so verwirrend – verwirrend für den Alleswisser. Er hat lauter vorgefertigte Antworten: Die Bhagavad Gita, den heiligen Koran, die Bibel, die Veden … Er hat alles auswendig gelernt, er kennt alle Antworten. Aber das Leben stellt nie dieselbe Frage noch einmal; darum fällt der Alleswisser jedes Mal auf die Nase.
Buddha sagt zweifellos: Lerne, still dazusitzen. Womit er aber nicht sagt: „Bleibe auf immer und ewig still sitzen. Er will damit nicht sagen, dass du inaktiv werden sollst. Im Gegenteil: Nur aus der Stille ergibt sich das Handeln. Wenn du nicht still bist, wenn du nicht still sitzen kannst, oder in tiefer Meditation still stehen kannst, wird all dein Tun nur eine Reaktion sein und keine Aktion. Du reagierst. Irgendwer beleidigt dich, drückt dir die Knöpfe und du reagierst. Du wirst wütend, du springst ihn an – und das nennst du Aktion? Das ist keine Aktion, das ist Reaktion. Er ist der Manipulierende und du bist der Manipulierte. Er hat einen Knopf gedrückt und du hast wie eine Maschine funktioniert. Als ob man einen Knopf drückt und das Licht geht an, und dann drückt man denselben Knopf und das Licht geht aus – genauso gehen die Leute mit dir um: Sie schalten dich an, sie schalten dich aus.
Jemand kommt und lobt dich über den grünen Klee und bläst dein Ego auf, und du fühlst dich ganz großartig; und dann kommt jemand und versetzt dir einen Stich, und schon liegst du flach am Boden. Du bist nicht dein eigener Herr: Jeder kann dich beleidigen und dich traurig machen oder wütend, gereizt, verärgert, gewalttätig, wahnsinnig. Und jeder kann dir so viel Honig um den Bart schmieren, dass du auf Wolken gehst und das Gefühl bekommst, der Größte zu sein – selbst Alexander der Große ist ein Zwerg neben dir! Und dabei lässt du dich nur von anderen manipulieren. Das ist kein wirkliches Handeln.
Buddha kam einmal durch ein Dorf, und die Bewohner liefen herbei und beleidigten ihn. Sie überschütteten ihn mit allen Schimpfworten, die sie kannten – allen erdenklichen Gossenausdrücken. Buddha stand da, hörte nur schweigend, sehr aufmerksam zu und sagte schließlich: „Danke, dass ihr zu mir gekommen seid, aber ich bin in Eile. Ich muss noch das nächste Dorf erreichen, wo die Leute schon auf mich warten. Ich kann euch heute leider nicht mehr Zeit widmen, aber morgen auf meinem Rückweg werde ich mehr Zeit haben. Ihr könnt euch wieder versammeln, und wenn es morgen noch Dinge gibt, die ihr sagen wolltet und nicht mehr sagen konntet, könnt ihr sie mir sagen. Aber für heute entschuldigt mich.“
Die Leute trauten ihren Ohren und ihren Augen nicht: Dieser Mann ist absolut unberührt, nichts kann ihn erschüttern. Einer von ihnen fragte: „Hast du uns nicht gehört? Wir haben dich nach Strich und Faden beleidigt, und du hast noch nicht einmal drauf geantwortet!“
Buddha sagte: „Wenn ihr eine Antwort hören wolltet, dann seid ihr zu spät gekommen. Da hättet ihr vor zehn Jahren kommen müssen – damals hätte ich euch geantwortet. Aber seit zehn Jahren hat mich niemand mehr manipulieren können. Ich bin kein Sklave mehr; ich bin mein eigener Herr. Ich richte mich nach mir selbst, nicht nach irgendwelchen anderen. Ich handle entsprechend meinem eigenen inneren Bedürfnis. Ihr könnt mich zu keinerlei Handeln zwingen. Es ist völlig in Ordnung: Ihr wolltet mich beschimpfen; ihr habt mich beschimpft. Gebt euch zufrieden. Ihr habt euren Job sehr gut gemacht. Aber was mich betrifft, ich nehme eure Beleidigungen nicht an, und solange ich sie nicht annehme, sind sie bedeutungslos.“
Wenn jemand dich beleidigt, musst du zum Empfänger werden, musst du annehmen, was er sagt; nur dann kannst du reagieren. Aber wenn du es nicht annimmst, wenn du einfach nur Abstand hältst, wenn du kühl bleibst – was kann er machen?
Buddha sagte: „Jemand kann eine brennende Fackel in den Fluss werfen. Sie wird weiter brennen, bis sie das Wasser erreicht. Sobald sie in den Fluss fällt, wird das Feuer gelöscht – der Fluss kühlt es ab. Ich bin zu einem Fluss geworden. Ihr bewerft mich mit Beschimpfungen, aber sobald sie mich treffen, auf meine Kühle treffen, wird ihr Feuer gelöscht. Sie verletzen nicht mehr. Ihr werft Dornen, wenn sie in meine Stille fallen, werden sie zu Blumen. Ich handele aus meiner innersten Natur heraus.“
Das heißt spontan sein. Ein Mensch, der aufmerksam ist und versteht, agiert. Ein Mensch der unaufmerksam, unbewusst, mechanisch, roboterhaft ist, re-agiert.
Du sagst: Der unbewusste Mensch reagiert, während der Weise beobachtet. Aber er beobachtet ja nicht nur – das Beobachten ist nur ein Aspekt seines Wesens: Er handelt nie ohne zu beobachten. Aber verstehe Buddha nicht falsch; und die Buddhas sind seit jeher nur falsch verstanden worden. Du bist nicht der erste, der ihn falsch versteht. Dieses ganze Land hat Buddha falsch verstanden; nur deshalb ist das ganze Land untätig geworden. In der Meinung, dass alle großen Meister sagen: „Setzt euch still hin.“, ist dies Land faul geworden, verfault; dies Land hat alle Energie, Lebenskraft, alles Leben verloren. Es ist durch und durch stumpf, unintelligent geworden; denn eure Intelligenz wird nur dann geschärft, wenn ihr handelt.
Und wenn du von Augenblick zu Augenblick handelst – aus deiner Bewusstheit und Aufmerksamkeit heraus, entfaltet sich eine große Intelligenz. Du fängst an zu scheinen, zu leuchten, du wirst licht. Aber dazu sind zwei Dinge nötig: Erst beobachten und dann aus dieser Beobachtung heraus handeln. Wenn das Beobachten zu Untätigkeit wird, begehst du Selbstmord.
Das Beobachten sollte dich zum Handeln führen – zu einer neuen Art Handeln. Dein Handeln bekommt eine neue Qualität. Du beobachtest, bist dabei absolut ruhig und still. Du erkennst, wie die Situation ist, und aus diesem Erkennen heraus gehst du auf sie ein, antwortest du ihr. Ein aufmerksamer Mensch antwortet; er ist ver-antwort-lich – buchstäblich!
Er vermag zu antworten, er reagiert nicht. Sein Handeln wird aus seiner Bewusstheit geboren, nicht aus Manipulation – das ist der Unterschied. Daher kann keine Rede davon sein, dass Beobachtung und Spontaneität unvereinbar wären.
Das Beobachten ist der Anfang der Spontaneität; die Spontaneität ist die Frucht des Beobachtens. Ein Mensch, der wirklich erkannt hat, handelt – handelt kraftvoll, handelt total. Aber er handelt aus dem Augenblick heraus, aus seinem Bewusstsein heraus.