Wenn im Wal die Puppen tanzen. Wiebke Otto. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wiebke Otto
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783866872011
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Am Anfang ist der Mund immer geschlossen. Mit der Silbe öffnet er sich und schließt sich weich zum Ende der Silbe. Mit ihrem Verklingen ist der Mund also wieder komplett geschlossen – oder nur halb geschlossen, wenn sofort weitere Silben folgen sollen. Ober- und Unterkiefer sind wie mit einem unsichtbaren Gummiband miteinander verbunden. So wird der Mund nach jeder Öffnung immer wieder automatisch geschlossen. Man kann sich auch vorstellen, dass die Silbe wie eine Seifenblase ist, die mit der Öffnung der Hand ausgehaucht und auf die Reise geschickt wird. Liegt hingegen der Impuls der Silbe auf dem Schließen, hat die „Silben-Seifenblase“ keine Zeit, ausgehaucht zu werden und platzt noch, bevor sie fliegen kann. Wie sie platzt auch die Illusion, dass die Puppe spricht.

      Übung: Nimm deine Hand aus der Puppe und simuliere, wie sie in ihr steckt, indem du die Hand entsprechend formst. Stell dir vor, dass um Finger und Daumen ein unsichtbares Gummiband locker gewickelt ist. Beobachte deine Hand beim pantomimischen „Tennisball-Wegschmeißen“, „Matsch-gegen-die-Wand-Klatschen“, „Superpowerstrahlen-aus-der-Handfläche-Herumschießen“ – im Gegensatz zum „Pflaumenpflücken“, „Moos-von-der-Wand-Zupfen“ oder „Meerschweinchen-wilde-Frisuren-Stylen“. Die Hand geht nach vorne und öffnet sich, anstatt geschlossen nach hinten zu gehen.

       Mit dem Unterkiefer sprechen

      Beobachtet man andere beim Sprechen, stellt man fest: Wir sprechen hauptsächlich mit dem Unterkiefer und nur wenig mit dem Oberkiefer bzw. dem ganzen Kopf. Das ist bei der Puppe genauso: Um den Unterkiefer der Puppe zu öffnen, muss der Daumen der Spielerin / des Spielers in der Puppe nach unten gehen. Dies geht aber nur bis zu einem gewissen Grad. Kippt die Spielerin / der Spieler das Handgelenk leicht nach vorne, geht der ganze Puppenkopf dabei nach unten. Das wiederum erlaubt dem Daumen mehr Spielraum nach unten, der Mund kann weiter geöffnet werden. Der Oberkopf darf aber nicht stillstehen, er sollte bei jeder Öffnung mitschwingen und sich leicht nach oben bewegen. Die größere Bewegung sollte allerdings der Unterkiefer machen. Wenn stattdessen die Finger nach oben geklappt werden, wird der Oberkopf zu weit nach hinten geschmissen. Das Publikum hat es schwer, das Gesicht der Puppe zu erfassen, da es immerzu nach oben wegklappt. Außerdem verwuscheln dabei die Haare der Puppe. Besonders für langhaarige Puppen und solche, die einen großen Oberkopf haben, ist es wichtig, dass der Unterkiefer aktiver ist als der Oberkopf. Puppen mit kleineren Köpfen dürfen ihren Oberkopf durchaus mehr bewegen, das sieht glaubhafter aus.

       Bewegung

      Bewegung ist Leben. Deshalb braucht es Bewegung in den Puppen! Wenn eine Puppe nur steht und spricht, stört einen die Textlastigkeit des Auftritts irgendwann, selbst wenn es sich um einen guten Text handelt. Daher gilt es, so oft und so viel Bewegung ins Spiel einzubauen wie möglich. Ebenso wie beim Thema „Sprechen“ sollte man sich dabei am Menschen orientieren. Je natürlicher die Bewegungen der Puppe sind, desto besser kann das Publikum sie „lesen“.

      Werden verschiedene Bewegungen gleichzeitig gemacht, kann es schnell undeutlich werden und das Publikum kann diese nicht mehr „lesen“. Es sollte immer jeweils nur eine Bewegung gespielt werden. So kann jede für sich angeschaut und gedeutet werden, bevor die nächste wahrgenommen wird. Auch für die Spielerin / den Spieler ist es eine Erleichterung, die Bewegungen nacheinander zu spielen. Es gibt unterschiedliche Bewegungen:

      •Sprechbewegung: äußert sich im Unterkiefer und Oberkopf der Puppe

      •Laufbewegung: äußert sich im Körper der Puppe

      •Blickbewegung: äußert sich im Kopf und Körper der Puppe

      •Handbewegung: äußert sich in konkreten Gesten der Puppenhand

       Sprechbewegung

      Sprache braucht einen Adressaten. Das Gesagte wird nicht in die leere Luft hineingesprochen, sondern zu jemandem „geschickt“, der das hören soll: zu einem Gegenüber, zum Publikum, zu sich selbst. An wen ein Inhalt gerichtet ist, kann auch durch Bewegung sichtbar gemacht werden. Und zwar indem sich die Puppe dem Adressaten zuwendet, etwa mit dem Kopf oder sogar mit dem ganzen Körper, was eine stärkere Zuwendung bedeutet. Innerhalb eines Textes kann es mehrere Adressaten geben, die durch diese Körpersprache angesprochen werden. Körperbewegung beim Sprechen ist nicht zu unterschätzen: Sie sorgt für Dynamik im Puppenspiel.

       Laufbewegung

      Damit eine Puppe richtig läuft, muss sie klare Schritte setzen. Dabei sollte das Schrittmaß in erster Linie zur Puppe passen – nicht zur Spielerin / zum Spieler! Wenn es an der Bühne möglich ist, empfiehlt es sich, selbst echte Schritte zu machen, die sich am Schrittmaß der Puppe orientieren. Der Schrittimpuls kann auf diese Weise durch den Körper der Spielerin / des Spielers bis in den Puppenkörper ausstrahlen – der Gang wirkt dadurch natürlicher. Außerdem wird dabei ein echtes Schrittgeräusch für die Schritte der Puppe erzeugt.

      Die Spielerin / der Spieler ordnet sich mit den eigenen Körperbewegungen der Puppe also unter und tut alles, um unentdeckt zu bleiben. So glaubt das Publikum, bei der Puppe handele es sich um ein unabhängiges Wesen. Wenn sich die Puppe dreht, dann um ihre eigene Achse, nicht um die der Spielerin / des Spielers. So vermeidet man, sich als Person hinter der Bühne zu „verraten“ – und die Puppe wird auch nicht unschön herumgeschleudert.

       Blickbewegung

      Bei der Puppe gibt es keine Augenbewegungen, sodass jeder Blick mit einer Kopfbewegung gespielt werden muss. Die Blicke der Puppe sollten klar gesetzt sein und nicht „schwimmen“. Nur so kann das Publikum deuten, wen oder was sie gerade anschaut. Durch klar fokussierte Blicke kommuniziert die Puppe auch auf der nonverbalen Ebene: Es steckt zum Beispiel eine Aussage dahinter, in welche Richtung sie blickt, was oder wen sie anschaut – oder auch nicht anschaut – und wie lange ihr Blick auf etwas verweilt. Schaut sie jemandem zum Beispiel nur kurz ins Gesicht, aber immer wieder auf den Bauch, sagt sie etwas damit aus, ohne es auszusprechen – etwa „Hast du zugenommen?“.

      Interessantes Puppenspiel kommuniziert immer auf mehreren Ebenen: auf der verbalen Ebene, durch Sprache, aber auch viel auf der nonverbalen Ebene, durch Körpersprache. Jede Puppe ist jedoch anders und muss daher für ihre Blicke justiert werden. In der Regel zeigt die Puppennase auf das, was angeschaut wird. Man kann sich aber auch vorstellen, dass der Zeigefinger der Spielerin / des Spielers, der im Kopf der Puppe steckt, auf das zeigt, was angeschaut wird.

      Übung: Lasse die Puppe dein Gesicht betrachten und beobachte ihre subtilen Bewegungen, während sie deine Nase, deine Lippen, deine Stirn usw. mustert. Die Puppe schaut immer genauer jede Wimper und jeden Pickel an, vergleicht die Mundwinkel und schaut tief ins Nasenloch. Lasse die Puppe sagen, was sie anschaut, zum Beispiel „Nase“. Wenn der Blick nicht klar genug gesetzt ist, korrigiere ihn. Verweile unterschiedlich lange mit den Blicken der Puppe auf deinen Gesichtspartien und beobachte, wie die Puppe etwas über dich denkt. Äußert sie das sogar?!

      Puppen können durch Blickkontakt mit dem Publikum interagieren. Sie können es mit ins Geschehen einbeziehen und zu Verbündeten machen, ohne hierfür Text zu verwenden. Ein Beispiel: Es ertönt ein Schrei hinter der Bühne. Die Puppe schaut zunächst selbst in die Richtung, aus der der Schrei kam. Als nächstes schaut sie ins Publikum, das den Schrei auch gehört hat. Ohne Text und allein mit ihrem Blick fragt die Puppe: „Habt ihr das auch gehört?“ Auf diese Weise verbündet sie sich mit dem Publikum und sichert sich seine Aufmerksamkeit.

       Handbewegung

      Gesten bereichern das Spiel, machen es lebendig und zeigen den Körper der Puppe in Aktion. Für konkrete Gesten wird die Hand der Puppe eingesetzt. Zum Gähnen und Niesen geht die Hand vor den Mund, zum Fürchten vor die Augen, zum Trösten einer anderen Person auf deren Schulter, zum „Sich-schön-Finden“ streichend über den Kopf, zum Jubeln verrücktwedelnd in die Luft. Auch hier sollte so gut wie möglich beim Original „Mensch“ abgeschaut werden. Mit Richtung und Abfolge der Bewegung und in Kombination mit Fingern und Körper lässt sich ein lesbarer Code transportieren. Nachdem eine Geste ausgeführt wurde, sollte die Hand nicht freischwebend irgendwo