Heraklit wird „der Verwirrende“ genannt. Er ist nicht verwirrend, er entspricht dem Leben. Was immer ist, er gibt es einfach wieder. Er hat keine Lebensanschauung, er zimmert keine eigenen Systeme zurecht, er ist einfach ein Spiegel. Was auch immer das Leben vorgibt, er gibt es wieder. Einmal bist du voller Liebe und im nächsten Moment bist du voller Hass: Der Spiegel gibt es wieder. Der Spiegel kann nichts verschleiern, er ist immer nur wahr. Aristoteles ist nicht wie ein Spiegel. Er ist wie eine leblose Fotografie, die sich nicht verändert; sie geht nicht mit dem Leben mit. Und darum sagt Aristoteles, dass etwas mit diesem Heraklit nicht stimmt, dass es in seinem Charakter einen entscheidenden Mangel geben muss. Für Aristoteles muss das Denken klar sein, systematisch, rational; Logik ist für ihn der Sinn des Lebens und Gegensätze darf man nicht vermischen.
Aber wer vermischt sie denn? Heraklit ist nicht verantwortlich dafür. Und wie könnt ihr sie trennen, wenn sie im Leben selbst vermischt sind? Ja, in euren Büchern könnt ihr das versuchen, aber eure Bücher sind dann falsch. Eine logische Aussage ist von vornherein verkehrt, weil sie nicht eine Aussage des Lebens ist. Und eine lebendige Aussage ist von vornherein unlogisch, weil sich das Leben in Paradoxen äußert.
Seht euch das Leben an: Überall ist Gegensatz – aber an den Gegensätzen selbst ist nichts verkehrt: Sie sind lediglich für euren logischen Verstand unerträglich. Wenn du zu mystischer Einsicht gelangst, wird Gegensätzlichkeit schön. Ja, Schönheit ist ohne sie überhaupt nicht möglich. Wenn du denselben Menschen, den du liebst, nicht auch hassen kannst, dann fehlt deiner Liebe jede Spannung. Sie ist dann eine leblose Angelegenheit ohne Polarität und alles ist schal.
Was geschieht tatsächlich in der Liebe? Wenn du jemanden tatsächlich liebst, dann liebst du ihn am Morgen, und am Nachmittag ist daraus schon Hass geworden. Warum? Was ist der Grund dafür? Warum ist das so im Leben? Wenn man jemanden hasst, trennt man sich von ihm; der ursprüngliche Abstand ist wiedergewonnen. Bevor ihr euch verliebt habt, seid ihr zwei getrennte Individuen gewesen. Durch eure Liebe wurdet ihr zu einer Einheit, wurde aus euch eine Gemeinschaft.
Ihr müsst dieses Wort Community – Gemeinschaft – verstehen, es ist sehr schön: Es bedeutet common unity – gemeinsame Einheit. Eine Gemeinschaft zu sein ist für ein paar Augenblicke schön, aber danach kommt es einem wie Sklaverei vor. Es ist schön, gemeinsam zur Einheit zu werden, es führt zu einem Höhepunkt, einem Gipfel, aber man kann nicht ewig auf dem Gipfel leben. Wer soll dann im Tal leben? Und der Gipfel ist nur schön, weil es auch das Tal gibt. Wenn du nicht zurück ins Tal gehen kannst, verliert der Gipfel seine ganze Gipfelhaftigkeit. Nur im Vergleich zum Tal ist er ein Gipfel. Wenn du dir auf dem Gipfel ein Haus baust, wirst du vergessen, dass es ein Gipfel ist, die ganze Schönheit der Liebe geht verloren.
Am Morgen liebst du und schon am Nachmittag bist du voller Hass. Du bist ins Tal gegangen, du bist an den Anfangspunkt zurückgekehrt, genau dorthin, wo du warst, bevor die Liebe geschah, jetzt seid ihr wieder Einzelne. Einzeln zu sein ist auch schön; es gibt Freiheit. Im Tal zu sein ist auch schön; es bringt Entspannung. Im dunklen Tal zu sein tut gut, es hilft dir, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Danach bist du dann wieder bereit, zum Gipfel aufzusteigen; am Abend liebst du wieder. Es ist ein Prozess von Trennung und Wiedervereinigung; er wiederholt sich ständig. Wenn du nach einem Augenblick des Hasses wieder liebst, dann bist du wieder in den Flitterwochen.
Wo keine Abwechslung ist, wird das Leben statisch. Wenn man nicht zum Gegenteil übergehen kann, wird alles fad und langweilig. Darum sind allzu kultivierte Menschen langweilig, sie lächeln immerzu, nie werden sie böse. Du beleidigst sie und sie lächeln; du verdammst sie und sie lächeln. Sie sind unerträglich. Und ihr Lächeln ist gefährlich. Denn ihr Lächeln geht nicht tief, es bleibt nur auf den Lippen, es ist eine Maske. Sie lächeln nicht, sie folgen lediglich ihren Anstandsregeln. Und dadurch wird ihr Lächeln hässlich.
Menschen, die immerzu nur lieben und nie hassen, die nie wütend werden, entpuppen sich regelmäßig als oberflächlich. Denn woher soll die Tiefe kommen, wenn man nicht ins Gegenteil umschlagen kann? Tiefe kommt durch das Umschlagen ins Gegenteil.
Liebe ist Hass. Eigentlich sollten wir nicht die Worte Liebe und Hass gebrauchen, sondern nur ein einziges Wort: LiebesHass. Eine Liebesbeziehung ist eine Hassbeziehung und das ist gut so! Am Hass ist nichts verkehrt, denn nur durch den Hass gelangst du zur Liebe. An einem Wutanfall ist nichts verkehrt, denn nur durch Wut gelangst du zu Stille und Ruhe.
Ist euch das schon aufgefallen? Jeden Morgen fliegen hier über uns Flugzeuge hinweg – ein sehr lauter Lärm. Und wenn das Flugzeug vorbeigeflogen ist, folgt ihm eine tiefe Stille nach. Bevor das Flugzeug kam, war es nicht so still. Wenn das Flugzeug vorbei ist, ist die Stille tiefer als zuvor.
Du gehst nachts im Dunkeln eine Straße entlang; plötzlich kommt ein Wagen. Mit voller Geschwindigkeit fährt er an dir vorbei; deine Augen sind vom Licht geblendet, und wenn das Auto vorbei ist, herrscht tiefere Dunkelheit.
Alles lebt durch den Gegensatz; durch die Spannung des Gegensatzes wird alles tiefer. Entferne dich, damit du näherkommen kannst; geh zum Gegenpol, sodass du wieder näherkommen kannst. Eine Liebesbeziehung ist eine Beziehung, bei der man immer wieder in die Flitterwochen kommt. Wenn die Flitterwochen vorüber sind und alles hat sich gesetzt, dann ist die Sache bereits tot; alles, was sich gesetzt hat, ist tot. Das Leben bleibt nur dann erhalten, wenn seine Bewegung nicht zum Stillstand kommt; alles, was sicher ist, ist schon im Grab. Eure Bankkonten sind eure Friedhöfe; dort seid ihr begraben. Wer absolut sicher ist, lebt nicht mehr, denn Leben heißt nichts anderes, als sich zwischen den Gegensätzen zu bewegen.
Krankheit ist nichts Schlechtes: Durch die Krankheit gewinnt ihr die Gesundheit zurück. In der Harmonie des Ganzen hat alles seinen Platz, und weil er das erkennt, wird Heraklit „der Verwirrende“ genannt! Laotse hätte ihm aus tiefstem Herzen zugestimmt, aber Aristoteles konnte ihn nicht verstehen. Und unglücklicherweise wurde Aristoteles zur Quelle des griechischen Denkens. Und das griechische Denken – das ist die eigentliche Katastrophe – wurde zum Ausgangspunkt des gesamten westlichen Denkens. Was ist nun die Botschaft des Heraklit, der Kern seiner Botschaft? Versteht, damit ihr weiter folgen könnt. Heraklit sieht nicht Dinge. Er sieht Bewegungen. Bewegung ist für ihn Gott. Und wenn ihr genau hinschaut, werdet ihr sehen, dass es auf der Welt keine Dinge gibt, dass alles in Bewegung ist. Und deshalb ist es ein existenzieller Irrtum, überhaupt das Wort ist zu gebrauchen, weil alles wird. Nichts ist im Zustand – nichts.
Ihr sagt: „Dies ist ein Baum“. Wenn ihr das ausgesprochen habt, ist der Baum schon weitergewachsen; eure Feststellung stimmt schon nicht mehr. Der Baum ist niemals statisch, wie kann man also das Wort ist benutzen? Der Baum wird immer nur, er wird unentwegt etwas anderes. Alles wächst, alles bewegt und entwickelt sich. Leben ist Bewegung. Es ist wie ein Fluss – immer in Bewegung.
Heraklit sagt: „Du kannst nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen“, denn wenn du zum zweiten Mal hineinsteigen willst, hat er sich weiterbewegt. Er ist ein Fließen. Kannst du dem gleichen Menschen zweimal begegnen? Unmöglich! Gestern Morgen wart ihr alle auch hier – aber bin ich der Gleiche? Seid ihr die Gleichen? Alle Flüsse sind heute weitergeflossen. Ihr mögt morgen wieder hier sein, aber mich werdet ihr nicht finden; ein anderer wird hier sein. Das Leben ändert sich ständig. „Nur die Veränderung ist ewig“, sagt Heraklit – nur die Veränderung ändert sich nicht. Alles andere verändert sich. Heraklit glaubt an eine permanente Revolution. Alles ist in Revolution. Nur so kann alles leben. Sein heißt Werden. Selbst wenn man bleibt, wo man ist, heißt das, dass man sich bewegt – du kannst nicht einfach bleiben, denn nichts steht still.
Selbst das Gebirge, der Himalaja, ist nicht statisch. Die Berge bewegen sich, bewegen sich schnell. Sie werden geboren und sterben. Der Himalaja ist eine der jüngsten Gebirgsketten der Erde und er wächst immer noch. Er hat noch nicht den Gipfelpunkt erreicht, er ist noch sehr jung, jedes Jahr wächst er um dreißig Zentimeter. Es gibt alte Berge, die ihren Höhepunkt schon erreicht haben; jetzt fallen sie zusammen, sie sind alt, ihre Rücken sind gebeugt.
Diese Wände, die ihr um euch her seht: Jedes Teilchen in ihnen ist in Bewegung. Man kann die Bewegung nicht sehen,