In dem besonnenern Abendlande fand dieses unermessliche Beispiel nur langsame Nachahmung. Erst in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts entstehen Klöster in oder bei den Städten, und die kleinen Felseninseln des Mittelmeeres, die sonst nur als Verbannungsorte gegolten, füllen sich mit Eremiten. Begeisterte Okzidentalen reisen nach dem Orient, um dort das Ascetenleben kennenzulernen oder auch ihr Leben zu beschliessen. Mitten im Treiben der Städte selbst weihen sich Männer, Jungfrauen und Witwen fortwährend einem so strengen und andächtigen Wandel, wie er nur in einem Kloster geführt werden mochte. Es ist die Epoche des heiligen Martin von Tours, des heiligen Ambrosius, auch des heiligen Hieronymus, der dieses ganze Wesen nach seinen Licht- und Schattenseiten kannte und schilderte; bei Anlass Roms und Palästinas werden wir noch in Kürze darauf zurückkommen müssen. Gallien hatte bald das siegreiche Gefühl, den Orient erreicht, wenn nicht übertroffen zu haben778.
Ein allgemeineres Raisonnement über den sittlich-religiösen Wert und die historische Notwendigkeit des Mönchstums und der ganzen Ascese wäre hier völlig überflüssig. Die betreffenden Ansichten werden sich ewig unvermittelt gegenüberstehen. Bei einer gewissen Sinnesweise wird man diese Dinge im Leben wie in der Geschichte hassen und anfeinden, bei einer andern sie lieben und loben. Wer aber vom christlichen Standpunkt aus mit jenen alten Helden der Wüste rechten will, der sehe wohl zu, dass er nicht als der inkonsequentere Teil erfunden werde. Die Lehre von der stellvertretenden Busse ist noch nicht vorhanden, und der Ascet steht also ganz in seinem eigenen Namen da; die Busse gibt ihm damals noch so wenig als ein anderes gutes Werk Anspruch auf die Seligkeit; und dennoch strebt er nach einer absoluten Verleugnung der Sinnlichkeit und aller weltlichen Beziehungen. Woher diese Strenge? Daher, dass es überhaupt kein Verhältnis zur äussern Welt mehr gibt, sobald man gewisse Worte des Neuen Testamentes ernstlich nimmt und sich nicht mit Akkommodationen durchhilft. Es wird aber, solange es ein Christentum gibt, auch Gemeinschaften, Sekten und einzelne Menschen geben, die sich dieser ernstlichen Auslegung gar nicht entziehen können.
Fußnoten
666 Wäre dies geschehen, etwa auf einer Synode, so würde es an einer Notiz darüber gewiss nicht mangeln.
667 Wogegen die Inschrift bei Orelli 1061 zu Ehren Mercurs bei der damaligen Götteransicht nichts beweisen würde. – Vgl. oben S. 288 f. und S. 369 nebst Anmerk.
668 Panegyr. VII, 21.
669 Siehe das Zitat aus Orat. VII, fol. 228, bei Neander, K. Gesch., Bd. III, S. 13. – In den Caesares, p. 144 höhnt Julian über das andächtige Verhältnis Constantins zur Mondgöttin (Selene).
670 [Nachtrag:] »Der erste Kaiser, welcher verurteilte Christen in Masse begnadigt hat, Commodus, ist ein eifriger Mithrasverehrer gewesen.« (Zahn, Constantin und die Kirche, S. 10.)
671 [Nachtrag:] In dem mannigfach belehrenden Aufsatz von Brieger, »Constantin d. Gr. als Religionspolitiker« (Briegers Zeitschrift für Kirchengeschichte IV, Heft II, Gotha 1880) findet sich S. 176 und S. 180 eine Zusammenstellung in betreff der Münzen mit heidnischen Reversen und derjenigen (erst aus den letzten Jahren), welche etwa das christliche Monogramm tragen. Die übergrosse Häufigkeit der Münzen mit dem von mir im Text erwähnten Revers macht es indes doch wahrscheinlich, dass auch dieser bis gegen den Tod des Kaisers hin in Anwendung blieb.
672 Namentlich die von Euseb. l. c. IV, 15 erwähnten, wo er betend dargestellt sein soll.
673 So auch die folgenden Kaiser bis auf Gratian, Zosim. IV, 36.
674 Cod. Theodos. IX, 16. XVI, 10.
675 De mort. persec. 44. – Dass eine sehr ähnliche Chiffre wie diese Kreuzung von Χ und Ρ schon in der vorchristlichen Zeit auf orientalischen Feldzeichen vorkam, und zwar als eine Abbreviatur der Sonne, vgl. Zahn, Constantin d. Gr. und die Kirche, S. 14. – [Nachtrag:] Über das Monogramm, dessen beide Formen, unleugbar christlich gemeinte Bedeutung und vermutliches Vorkommen schon vor Constantin, vgl. den Exkurs bei Brieger, a. a. O., S. 194 ff.
676 Euseb., Vita Const. I, 40. Hist. eccl. IX, 9. Offenbar unrichtig aus dem Latein übersetzt. [Nachtrag:] Die Statue Constantins würde nicht, wie im Text gesagt ist, das Labarum, sondern nach Eusebs Worten ein Kreuz gehalten haben, und dies muss ich mit Brieger (a. a. O., S. 200) in jenem Augenblick für nahezu undenkbar halten.
677 Vita Const. I, 27 s.
678 En animam et mentem, cum qua dii nocte loquantur! würde Juvenal gesagt haben.
679 Euseb., Vita Const. II, 24–42 und 48–60.
680 Weshalb man in der Überschrift des Kap. παι̃ς in νέος korrigiert hat. Der Schreiber wusste nicht, wann die Verfolgung begonnen hatte. Er bezeichnet ganz wie Lactantius den Diocletian als feig, δείλαιος, worauf man sich das Wort gegeben hatte. – Es wird mir doch fast zu schwer, mit Hunziker (a. a. O., S. 156) anzunehmen, Constantin habe durch die falsche Altersangabe nur die gedankenlosen Leser verhindern wollen, zu fragen, warum er nicht damals für die Christen eingestanden sei.
681 [Nachtrag:] In der Inhaltsangabe des Ediktes vom J. 324 hätte (wie ich aus Brieger ersehe) hervorgehoben werden sollen, dass neben allen Ausdrücken der Verachtung doch die Weiterduldung des Heidentums nachdrücklich befohlen wird. Constantin will eine Art von Parität, welche freilich in der Tat zugunsten des Christentums ausschlagen musste. Er will aber nicht genau ausgerechnet sein, und es hat seine Schwierigkeit, ihn genau bei einem Prinzip zu behaften.
682 Euseb., Vita Const. IV, 18–20. Laut dem Anfang von Kap. 19 sollte man glauben, das Gebet habe nur den Heiden gegolten; nachher ist aber doch wieder von »allen Soldaten« die Rede. Das Gebet ist offenbar darauf berechnet, beiden Religionen zu genügen. – Das Verbot der Handarbeit und der Gerichtssitzungen am Sonntag stammt wahrscheinlich schon aus dem Jahr 321; vgl. Manso, a. a. O., S. 95 n. Die Heiden kehrten sich wenig daran. Vgl. Euseb. l. c. IV, 23. – Heiden feierten früher etwa den dies Saturni, vgl. Tertullian., Apolog. 16.
683 [Nachtrag].