der geistliche Hochmut in ihm erwachen? Es sammeln sich Bewunderer um ihn, die ihre Zellen in die Nähe der seinigen bauen und die er allmählich als Schüler anerkennen muss und als Gehilfen bei dem massenhaften Zudrang nicht mehr entbehren kann; halb wider Willen wird er ein »Vater«, ein Gebieter. Antonius, der diese neue Existenz mehrere Jahrzehnte hindurch ausgehalten, flieht um das Jahr 310 nach der innern Wüste und entdeckt (seitwärts von Aphroditopolis) ein Felsgebirge, dessen rieselnde Wasserbäche einen Palmenhain nähren; aber auch hier finden ihn die Brüder auf, und zweien derselben, dem Pelusian und dem Dolmetscher Isaak, muss er erlauben, bei ihm zu wohnen. Von neuem stellt sich eine grosse, ununterbrochene Wallfahrt bei ihm ein; Ketzer und Rechtgläubige, hohe römische Beamte und heidnische Priester, Gesunde und Kranke ziehen in solcher Masse herbei, dass es sich der Mühe lohnt, einen eigenen Postkurs mit Kamelen von Aphroditopolis durch die Wüste bis zu seinem Wohnsitz einzurichten
761. Er hat keine andere Wahl, als in der Höhe des Berges weit über steilen Treppen sich eine ganz unzugängliche Zelle anzulegen, in welche er sich wenigstens zeitweise zurückziehen kann. Die letzte Angelegenheit seines Lebens war, dass sein Grab verheimlicht werden möchte; denn schon lauerte ein reicher Grundbesitzer der Nachbarschaft auf die Leiche, um in seinem Landhaus – vielleicht aus Spekulation – ein Martyrium, das heisst eine Kirche mit dem Grabe des Heiligen, einzurichten. Die beiden Schüler haben in der Tat reinen Mund gehalten, wahrscheinlich selbst gegen Hilarion. – Dieser hatte nämlich eine Reise nach Ägypten unternommen, welche ebenfalls nichts anderes war als eine Flucht vor dem ungeheuern Zulauf und vor der stets wachsenden Sorge für die Tausende von Miteinsiedlern, die sich bei ihm, in der Wüste von Gaza, eingefunden. Seine Biographie, eine der interessantesten Schriften des Hieronymus, schildert das Entstehen und die Art dieses Zulaufs ganz anschaulich. Man wusste allmählich in Gaza und dessen Hafenstadt Maioma, dass ein heiliger Einsiedler in der Wüste wohne; eine vornehme reisende Römerin, deren drei Kinder das Fieber bekamen, pilgert mit ihren Dienerinnen und Eunuchen zu ihm hinauf und bewegt ihn durch vieles Flehen und Jammern, nach Gaza zu kommen, wo er die Kinder heilt. Seitdem
762 dauerte die Wallfahrt zu ihm aus Syrien und Ägypten ohne Unterbrechung, nur dass gerade in der Nähe das Heidentum sich mit der äussersten Anstrengung verteidigte. Der grosse Gott Marnas in seinem Tempel zu Gaza trat mit Sanct Hilarion in die unmittelbarste Konkurrenz, und es ergab sich in der vergnügungssüchtigen Handelsstadt eine Spaltung, von welcher man sich nur mit Mühe ein Bild machen kann
763. Sie drückt sich ganz wesentlich aus in jener Menge von Besessenen, welche man unaufhörlich zu dem Heiligen in die Wüste schleppte, und welche gewiss grossenteils nichts anderes waren als krankhaft zwischen zwei ohnehin dämonische Religionen geteilte und gebrochene Menschen. Theoretisch war man sich dessen allerdings nicht bewusst; es kann der Dämon, nach der altern verallgemeinernden Ansicht, aus eigenem Belieben seine Menschen, sogar seine Tiere aussuchen, oder sich durch Bosheit von Zauberern in dieselben bannen lassen, wie denn Hilarion einmal ein besessenes Kamel heilt. Der Dämon wird durchgängig als zweite, von dem Besessenen verschiedene Person aufgefasst und kann zum Beispiel syrisch und griechisch reden, wenn dieser nur lateinisch und fränkisch versteht. Er ist eine Personifikation der bösen Heidengötter und hier gewiss vorzugsweise des Marnas. Allerdings ist der Heilige in seinem Kampf mit dem Götzen auch einmal vom Prinzip abgewichen und hat der heidnischen Magie eine christliche entgegengesetzt. Von den Zirkusunternehmern zu Gaza war der eine, ein heidnischer Stadtbeamter, dem Marnas ergeben und hielt sich einen Zauberer, der die Pferde des Patrons zum Siege antrieb, die des Gegners hemmte. Der letztere, ein Christ namens Italicus, ging zu Hilarion, der ihn zunächst auslachte und fragte, warum er nicht die Pferde verkaufe und den Erlös den Armen schenke. Doch liess er sich erweichen durch die Gewissenhaftigkeit des Mannes, der lieber von einem Knecht Gottes als von Zauberern Hilfe holen wollte, und durch die Erwägung, dass es sich um einen Triumph des gazensischen Christentums überhaupt handle. Er gab ihm einen Napf voll Wasser, mit welchem Italicus Pferde, Wagen, Stall, Führer und Zirkusschranken besprengte. Als das Rennen unter allgemeiner gespannter Aufmerksamkeit begann, siegten die Pferde des Christen bei weitem, und auch die Heiden riefen: »Marnas ist von Christus besiegt!« – so dass dieser Tag vielen zur Bekehrung gereichte. Und doch hatte Hilarion einst einen todkranken Zirkusführer nur unter der Bedingung geheilt, dass er seiner bisherigen Beschäftigung gänzlich entsage
764.
Wie der Einsiedler Wundertäter wird, halb wider Willen, so wird er auch Mönch765; die Zellen derer, die ihm in die Wüste gefolgt sind, bilden allmählich ein monasterium, das sich mit dem grössten Eifer seiner Leitung unterzieht.
In Ägypten gab es hiefür ein Praecedens nicht bloss an den jüdischen Therapeuten, welche ein Dasein dieser Art am Mareotischen See geführt hatten, sondern auch an jenen in Zellen Eingemauerten bei den Serapistempeln (S. 214 f.); die allerhärteste Form der Ascese, welche aber doch in der ganzen christlichen Welt eine wenn auch vereinzelte Nachfolge finden sollte. Ausserdem macht das Klima die grösste Mässigkeit nicht bloss möglich, sondern auch notwendig, und selbst der industrielle Charakter des Landes erleichterte einem ehelosen Proletariat mit geringem oder gar keinem Grundbesitz die Existenz, wie wir sehen werden. Schon um die verschiedenen Aufenthaltsorte des Antonius herum hatten sich unzählige Miteinsiedler gesammelt, denen er durch Gebet, Beispiel und Ermahnung voranleuchtete; doch erkannte er seinen Lebenszweck keinesweges darin, ihnen eine feste Konstitution zu geben und sie nach einem bestimmten Plan zu leiten. Dies ist vielmehr das Verdienst des Pachomius, dessen Lebenszeit ungefähr die erste Hälfte des vierten Jahrhunderts umfasst. Als Jüngling hatte er in einem kurzen Soldatenleben den Wert einer geschlossenen Disziplin kennengelernt und verwirklichte dieselbe dann in dem berühmten Mönchsdistrikt Tabenna766 in Oberägypten, zwischen Tentyris und Theben. Hier waren schon bei seinen Lebzeiten mehrere Tausende von Mönchen beisammen, und die Regel, die er diesen erteilte, bekam dann auch Geltung in andern Mönchskolonien, welche teils damals, teils später entstanden. Die wichtigsten sind: diejenige bei Arsinoë in der Gegend des Sees Moeris (zur Zeit des Valens 10 000 Köpfe stark); die grosse Niederlassung in der nitrischen oder scetischen Wüste767 westlich vom Delta; die sogenannten Eremika unweit Alexandrien; endlich die zerstreuten Monasterien und einzelnen Zellen am ganzen Strande des Mittelländischen Meeres768 und des Mareotischen Sees nebst einigen am Roten Meer und am Sinai. Alles aber übertraf das besagte Tabenna, wo zur Zeit des Hieronymus nicht weniger als fünfzigtausend Mönche das Osterfest zu feiern pflegten, die allerdings nicht alle im Zentralkloster (Baum oder monasterium maius) wohnten, sondern aus allen Klöstern der zu Tabenna gehörenden Kongregation herbeikamen. Wie man sieht, lagen nicht alle diese Kolonien in der Wüste; noch vor dem Schluss des vierten Jahrhunderts gibt es Stadtklöster, schon zum Zweck des Kampfes gegen heidnische Reste und Erinnerungen, wie denn zum Beispiel der Tempel des Canopus in der gleichnamigen Stadt zum Kloster Metanoia (Reue) umgebaut wurde.
Der Einrichtung nach sind die ägyptischen Klöster teils Coenobien oder Monasterien, das heisst grössere Gebäude für viele Mönche, teils Lauren, das heisst sie bestehen aus vielen Zellen, welche in bestimmter Entfernung auseinander liegen und also noch gewissermassen Einsiedeleien vorstellen. Um die obengenannte Zeit waren mindestens hunderttausend Menschen in Ägypten dieser Lebensweise geweiht; auch melden sich neben den Mönchsvereinen bereits die ersten Nonnenklöster, deren eines, unter der Schwester des Pachomius, um das Jahr 320 schon vierhundert Nonnen zählte.
Eine historische Erscheinung von solchem Umfange hat ihren tiefen nationalgeschichtlichen Grund, und wenn ein Volk darob unterginge, so wäre dies eben nur die notwendige Form seines Unterganges. In Ägypten musste sich die ganze religiöse Frage in lauter Extremen bewegen; nach schwerem Kampfe herausgetreten aus dem Fanatismus des Heidentums, kannte der Ägypter in der Reaktion keine Grenzen und glaubte der neuen Religion sein Leben in einem Sinne