Die Regel, welche Pachomius dieser Heerschar gab, war eine Sache der dringendsten Notwendigkeit, zugleich aber der erste Schritt zur Veräusserlichung und Unwahrheit; die Ascese ist fortan nicht mehr das Resultat der freien individuellen Begeisterung, sondern eines gemeinsamen Gesetzes, welches die vielen Tausende ungleichartiger Menschen dauernd an eine gleichartige Übung fesseln soll. Und wer der Wahrheit die Ehre geben will, muss zugestehen, Pachomius hat einen niedrigen Durchschnitt angenommen, und seine Konstitution setzt eine überwiegende Masse Unberufener voraus, welche vor allem in Schranken gehalten sein wollen. – Dies geschah zunächst sehr zweckmässig durch die Arbeit, von der die Klöster lebten770. Es muss mit dem Aufkommen des Mönchswesens eine grosse Veränderung in der ägyptischen Industrie vorgegangen sein. Seitdem die Klöster bei weitem nicht bloss Körbe aus Nilschilf und Matten produzierten, sondern sich auch der wichtigen Linnenweberei und Gerberei bemächtigten (mancher andern Produkte zu geschweigen), fanden sich viele der bisherigen Fabriken des Landes notwendig im Nachteil, da jene unstreitig auf dem allgemeinen Markt zu Alexandrien niedrigere Preise stellen konnten. Der Ökonom eines grossen Klosters, der die Arbeit zu verteilen und die Produkte zu versenden hatte, stand einem bedeutenden Fabrikherrn gleich. Die einzeln lebenden Mönche konnten ihre Arbeit auch aus der Hand verkaufen und erwarben sich bisweilen, der Regel zuwider, ein Privatvermögen. Sonst war es herrschendes Prinzip, dass die Mönchsarbeit weniger um der Lebensnotdurft als um des Seelenheils willen angeordnet sei771 und dass der Überschuss an die Armen verteilt werden müsse. Vom Feldbau ist wenig die Rede; dagegen hielten die am Fluss gelegenen Klöster grosse Nilfähren, wahrscheinlich ebenfalls um des Erwerbes willen.
Neben der Arbeit ist das Gebet und der Gottesdienst, nebst fortlaufenden Kasteiungen aller Art, das wesentlichste Element dieses künstlich einseitigen Lebens. Literarische Beschäftigungen darf man im Hinblick auf den Ursprung und die Tendenz desselben nicht erwarten; und überdies, wohin war denn zum Beispiel das weise Alexandrien samt all seiner griechischen und orientalischen Gelehrsamkeit gelangt? Der Mönch folgte Zwecken und Idealen, welche gegen die heidnische Überbildung und Immoralität die stärkste Reaktion ausmachten, und wenn sonst zwischen den zwei sittlichen Welten, die man Heidentum und Christentum nennt, Punkte der Verständigung, ja der Annäherung vorhanden waren, so handelte es sich wenigstens hier um dauernde, prinzipielle Feindschaft. Jede Zeile aus der frühern Zeit, von der Hieroglyphe bis zur griechischen Kurrentschrift, war mit Heidentum, Götzentum oder Zauberlehre getränkt, und so blieb zum Lesen (soweit dasselbe gestattet wurde) nur die christliche Andachtsliteratur übrig, die zum Teil erst von diesen Mönchen geschaffen oder aus andern Sprachen ins Ägyptische übersetzt werden musste. Mit der antiken Kunst standen sie nicht besser als mit der Literatur; von dem Besuch des Ammonius in Rom wird zum Beispiel ausdrücklich gerühmt, dass er mit Ausnahme der Basiliken S. Peters und S. Pauls gar nichts angesehen habe772.
Die Disziplin im engern Sinne endlich773 geht zunächst darauf aus, den Mönch von allen frühern Verbindungen, namentlich von der Familie, systematisch zu isolieren, sodann, ihn mit aller Strenge zu hüten und zur Arbeit anzuhalten. Die Regula macht durch diesen überwiegend negativen Inhalt einen öden, polizeilichen Eindruck und darf sich deshalb mit der Regel des heiligen Benedict nicht von ferne vergleichen. Die Paragraphen gegen den Spott und die losen Reden von Kloster zu Kloster, gegen Zornmut und Aufhetzung erinnern recht deutlich an das Land, in welchem man sich befindet. Auch darauf ist keine abendländische Ordensregel gekommen, die Mönche einzeln in verschlossenen hölzernen Sitzen wie in einem Futteral schlafen zu lassen. Echt ägyptisch ist vollends das Geheimtun mit einer vorgeblich mystischen Sprache, die ein Engel dem Pachomius und seinen Schülern Cornelius und Syrus beigebracht haben sollte, und welche (nach den noch vorhandenen Beispielen zu schliessen) in nichts anderm bestand als in einer gemeinsam abgeredeten Bezeichnung einzelner Dinge und Personen durch die Buchstaben des Alphabets. Mit diesen letztern soll Pachomius noch eine andere Spielerei getrieben haben, indem er seine Mönche nach Begabung und Charakter in vierundzwanzig Klassen einteilte und diese nach Alpha, Beta, Gamma usw. benannte. Es ist aber schwer zu glauben, dass ein sonst so praktischer Mann so unpsychologisch gehandelt haben sollte774.
Ganz gewiss hat man in diesen ägyptischen Mönchskolonien kein Ideal christlichen Lebens zu suchen. Allein daneben dauerte das echte Anachoretentum fort, und diesem müssen wir, der damaligen Welt gegenüber, eine hohe Berechtigung zugestehen. Die meisten berühmten Einsiedler des vierten Jahrhunderts bringen einen Teil ihres Lebens in den Monasterien, wenigstens in den Lauren zu, ziehen sich aber vorher oder nachher in die tiefere Einsamkeit, wohin ihnen das Kloster nur Brot und Salz zusendet. Auch hier sind sie nicht immer geschützt vor geistlichem Hochmut, schrecklichen Versuchungen und phantastischer Schwärmerei; ihre Büssungen sind zum Teil wahrhaft mörderisch; allein nicht nur halten sie sich in der Regel für glücklich und ihre Existenz für würdig ausgefüllt, sondern sie hinterlassen auch manches tiefe und schöne Wort775, welches beweist, dass ihr Glück kein blosser Wahn, sondern aus einer beständigen Beschäftigung mit den höchsten Dingen entsprungen war. Die Namen eines Ammon, Arsenius, Elias, der beiden Macarius und mehrerer anderer gehören auf immer zu den bedeutenden Erinnerungen der Kirche.
Eine dritte Gestalt des ägyptischen Mönchstums waren die etwas verrufenen Remoboth, die zu zweien oder dreien in Städten und Kastellen wohnten und ohne Regel »nach Gutdünken« lebten, daher auch oft bittern Streit hatten. Sie erhielten sich vom Handwerk, das ihnen auf ihre scheinbare Heiligkeit hin besser bezahlt wurde als andern Leuten. Ihr Fasten wird als ruhmsüchtig getadelt, auch sollen sie sich an Festtagen bis zur Völlerei schadlos gehalten haben.
Die spätern Entwickelungen des ägyptischen Mönchstums, seine Sekten und seine Einmischung in die allgemeinen kirchlichen Zerwürfnisse gehören nicht mehr hieher.
In Palästina nahm das Mönchswesen unter Sanct Hilarion schon in ökonomischer Beziehung eine andere Stellung ein und erhielt daher überhaupt eine von der ägyptischen verschiedene Physiognomie. Der Ackerbau und Weinbau überwiegt; viele Mönche haben sogar ihr persönliches Eigentum beibehalten und sind kaum etwas anderes als unverheiratete Landwirte mit bezahlten Knechten. Der Stifter selbst wohnte noch immer in der unbebauten Einöde, und es war ihm leid genug, dass sich dieselbe um seinetwillen bevölkerte. Die »Villen« mancher seiner Genossen dagegen, wo Reben und Feldfrüchte gediehen, müssen eine bessere Lage gehabt haben. Um seine Zelle herum scheint zwar mit der Zeit ein eigentliches Monasterium entstanden zu sein, sonst aber bilden die palästinensischen Mönche eine grosse weitzerstreute, wenig zusammenhängende Laure. In Ägypten konnte Pachomius zum Osterfest alle Mönche seiner Kongregation, und zum Verzeihungsfest im Monat Mesore (August) alle Vorsteher und Beamten nach Tabenna entbieten, während in Palästina Hilarion grosse periodische Rundreisen machen musste, um seine Leute zu beaufsichtigen. Es begleitete ihn dabei ein Heer von zweitausend Mönchen, welche anfänglich ihren Proviant mit sich trugen, nachher aber von den unterweges wohnenden Landbesitzern gespeist wurden. Da der Heilige auch die entlegenste, einsamste Zelle nicht übergehen wollte, so führte ihn die Strasse öfter in saracenische Dörfer, wo er bei diesem Anlass als Bekehrer auftrat.
Weiterhin durch das ganze römische Asien und bis in das Sassanidenreich hinein gab es erweislich seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts einzelne Anachoreten776 und nicht lange darauf auch Monasterien sowohl als zerstreute Anlagen, die den ägyptischen Lauren entsprachen. Von dieser letztern Art war der Mönchsverein am Berge Sigoron bis Nisibis; man nannte diese Mönche die Weidenden, weil sie zur Essenszeit mit Sicheln ausgingen, um Kräuter zu mähen, die ihre einzige Nahrung ausmachten777.