Beim Anblick des Kreuzgurt-Mannes stutzte der Hüter des Gesetzes, zog die Brauen zusammen und kam dann doch mit langsamen Schritten an die Theke.
Er tippte an den zerfledderten Rand seines grauen Hutes.
»Hallo.«
Keaton erwiderte den Gruß ebenso lasch.
Soren bestellte sich einen Drink und drehte sich eine Zigarette.
Keaton spürte, daß sein Herz zu hämmern begann.
Sieben Minuten vor zwölf.
Keaton raffte sich dazu auf, dem Sheriff wie am Vortage ein Streichholz zu reichen.
Soren nutzte die Gelegenheit, mit dem Zweihandmann die gestern unterbrochene Unterhaltung fortzuführen.
»Immer noch in der Stadt?«
»Yeah, sieht ganz so aus«, versetzte Keaton härter und abweisender, als er es sich selbst in dieser Situation noch zugetraut hätte.
»Du bist Wyatt Earp! Du bist es jetzt schon«, glaubte er Peacemakers Stimme zu hören.
Sechs Minuten vor zwölf.
»Gefällt Ihnen dieses lausige Nest etwa?«
Keaton zog die Schultern hoch und ließ sie langsam wieder sinken.
Fünf vor zwölf.
Soren nippte an seinem Whisky. Es war ganz klar: Er kam jeden Tag um die selbe Zeit und genehmigte sich diesen Drink. Es war purer Zufall.
Aber Rory Keaton hielt es nicht für Zufall. Er war nicht kalt genug, sich das zu sagen.
Vielleicht hätte er geschwiegen, wenn der Sheriff ihn nicht gereizt hätte: »Was suchen Sie hier?«
Da gaben Keatons Nerven nach. Er warf den Kopf herum und fauchte: »Sie nicht!«
Jonny Soren stutzte, nahm die Zigarette aus dem Mund und schob seinen Hut weit ins Genick.
He, was war denn das? Der Mann war ja bissig.
Keaton blickte zur Uhr hoch, ohne den Kopf anzuheben, da er dies schon für auffällig hielt.
Vier vor zwölf.
Hell and devils! Wenn doch bloß dieser vertrackte Sternträger verschwinden wollte.
Der Keeper ging zur Küchentür. Ehe er den Drehgriff betätigte, sah er Keaton an und murmelte: »Sie müssen sich noch eintragen, Mister.«
Soren blickte auf. Dann sagte er: »Yeah, das ist so üblich hier. Jeder vernünftige Mann trägt sich ein, wenn er in einem Hotel absteigt.«
Keaton hatte sich mit einem Ruck steil aufgerichtet.
Er überragte den Gesetzesmann fast um einen halben Kopf.
Peacemakers Stimme war in seinen Ohren.
»Wie meinen Sie das?«
»Wie ich es gesagt habe.«
Keaton wich einen Schritt zur Seite.
»Wie haben Sie es gemeint?«
By Gosh! War er verrückt geworden? Was sollte das werden?
Drüben am Fenster saßen vier Männer beim Pokerspiel. Sie hielten inne und blickten zur Theke hinüber.
Keaton hatte noch vor ein paar Minuten gewünscht, daß der ganze Saloon voller Menschen sein müßte. Jetzt wünschte er selbst die vier Spieler zum Teufel.
Da flog die Pendeltür auf, und zwei baumlange Burschen in Weidereiter-kluft schoben sich in den Schankraum. Augenblicklich hatten sie die Situation, die sich dort an der Theke abspielte, erkannt.
»He, Joe, bleib stehen, da vorne gibts gleich Rauch. Ich habe eine Vorliebe dafür!«
Der andere Cowboy lachte röhrend.
Jonny Soren hatte die Hände ebenfalls sinken lassen. Ruhig und kühl blickte er in die Augen des Fremden.
»Was wollen Sie?«
»Ich habe eine Frage an Sie gerichtet, Sheriff!« versetzte Keaton schroff. »Und ich denke noch, daß dies keine Stadt ist, wo der Sheriff es sich herausnehmen kann, einen Fremden grundlos zu beleidigen.«
Jonny Soren wußte plötzlich, daß er zu weit gegangen war, und daß das, was der Mann da sagte, richtig war. Aber wie kam er aus dieser verrückten Situation wieder heraus?
Hämmernd zerhackten die mißtönenden Schläge der Wanduhr die Luft im Saloon.
Keaton spürte sie wie Stiche in seinen Nerven.
Soren blickte nun besorgt drein. Damned, wie hatte er so hart vorgehen können? Immerhin stand er da einem reichlich finster dreinblickenden Zweihandmann gegenüber.
Und die Uhrenschläge hatte dem Banditen seine eigene Schwäche wieder ins Gedächtnis zurückgerufen, ihm mit grausamer Deutlichkeit klargemacht, daß er in Wirklichkeit gegen den Sheriff nicht die geringste Chance im Gunfight haben würde. Todsicher konnte der Mann gut mit seinem Colt umgehen.
Und Rory Keaton war nie mehr als ein leidlicher Schütze gewesen.
Die Cowboys standen bewegungslos da.
Bis der vorderste von ihnen rief: »He, Gents, ihr werdet uns doch nicht etwa enttäuschen?«
Immer noch standen die beiden Gegner einander auf einen Abstand von kaum vier Yards gegenüber.
Der Blick des Sheriffs rutschte aus den Augen des Fremden auf dessen Waffen nieder.
Zwölf Uhr drei.
Keaton konnte ein schweres Schlucken nicht vermeiden.
Da krachte draußen auf der Straße ein Schuß.
Keaton zuckte unmerklich zusammen.
Nur Sekunden später näherte sich das Geräusch eiliger Schritte.
Dann flog die Schwingtür auf.
Ein Mann stand da, mit zwei Säcken in der Hand.
Und in der Rechten hielt er einen Revolver.
Niemand im Saloon rührte sich.
Robert Piggers übertraf sich selbst. Er starrte mit weitoffenen Augen auf Keaton und stieß dann heiser hervor:
»Damned! Wyatt Earp!«
Gleich darauf stieß er den Colt vor und gab im Zurückgehen einen brüllenden Schuß ab.
Dicht neben Keaton schlug die Kugel klatschend in die Bordwand der Theke.
Immer noch herrschte im Saloon Totenstille.
Rory Keatons Augenblick war gekommen. Er spürte förmlich, daß das Zusammenwirken der beiden, ja der drei Dinge, die da eben vor aller Augen geschehen war, die Männer bannten. Zunächst das Auftauchen des offensichtlichen Banditen mit den Geldsäcken, dann der Name Wyatt Earp – und dann der Schuß, für den Keaton Piggers hätte erwürgen mögen. Die Kugel hatte ihn furchtbar erschrocken.
Aber Keatons Schrecken war kleiner als der der anderen Männer im Schankraum. Schließlich war er nicht völlig unvorbereitet gewesen.
Er stieß sich von der Theke ab und hastete vorwärts.
Den einen der beiden Weidereiter, der ihm im Wege stand, stieß er schroff zur Seite.
»Platz da, Boy!«
Dann war er in der Tür, duckte sich und rannte los.
Piggers war bereits auf seinem Pferd und hatte die Mündung der Seitengasse schon erreicht.
Da fauchte der Schuß von der linken Hüfte Keatons los.
Wohlweislich hatte der Desperado den rechten Türflügel mit dem Rücken hinter sich offen gelassen, so daß es alle im Schankraum sehen konnten.
Piggers